Seite:Die Gartenlaube (1867) 828.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und daß das Schnellwasser an den Ufern, welches uns die glatte Bahn verschaffte, vollkommen gefroren war. Da ging es nun darauf los, wie im Wettrennen, mit der Schnelligkeit von vier, fünf, sechs Stunden in einer. Ein Horn diente als Signal, die Mannschaft zusammenzuhalten, denn die Kräfte sind auch unter Rennern ungleich. Die Sonne wirft eine Strahlensäule vor uns auf die glitzernde Bahn, auf welcher wir mit Jubelschrei dahinsausen, die Luft scheint in destillirten, reineren Atomen uns zuzuströmen, es ist, als würde man von einem begeisternden Aethertrank, nach Art der Olympier, berauscht. Am Ufer springt ein Hase auf, nach und nach zwei, drei, zwanzig, fünfzig im Laufe des Tages. Sie rennen eine Zeit lang mit, dann querfeldein, mühsam im tiefen Schnee, der sie an’s Ufer getrieben, um den Hunger an den Weidenrinden zu stillen.

Schlittschuh-Laufgestelle für Damen.

Einer läuft länger mit, als wolle er uns auf die Probe stellen; da sieht er, im Laufe um sich blickend, uns näher rücken. Hui, wie greift er da aus, keine Möglichkeit mehr, ihm nachzukommen! Wir biegen um eine Ecke, ein Jauchzer: Siehe da das Städtchen Höchst mit seinen mittelalterlichen Thürmen, seinem alten und seinem neuen Schloß! Vorbei! Vorbei Schwanheim mit seinen tausendjährigen Eichen und Griesheim mit seinem dampfenden Riesenschlot, Sindlingen mit seinem Landhaus und Garten im Rococostil. Vorbei! Links ragt die Windmühle von Kelsterbach; vorbei! Dort die Insel, das Eldorado der Entenjäger, der Schlupfwinkel unseres prächtigen, alten Pfaff; vorbei! Heute giebt es eine andere Jagd, er sieht sich kaum nach seinem geliebten Wild um. Die Mühle rechts, um die der Bach von Hofheim einmündet, sie ist unser Wegstein, sie zeigt uns, daß wir bereits zwei Meilen zurückgelegt, schon halbwegs Mainz angelangt sind. Da ist Kriftel! Halt, laßt uns die Nachzügler erwarten. Das Wirthshaus winkt am Strande. Das Horn ruft den Bergherrn, eine Flasche wird geleert, ohne auszuschnallen, auf dem Eise. Die Bauernkinder umgaffen uns, auch die Alten staunen ob der seltenen Gäste. Sie konnten sich nicht erinnern, je solche fahrende Schüler aus der alten Kaiserstadt gesehen zu haben, obwohl zwischen da und Flörsheim die Dorfjugend auch schon des Stahlschuhes sich bedient. „Auf, nach Valencia!“ Weiter fliegt die wilde Schaar. Flörsheim rechts, Rüsselsheim links! Vorbei! Dort aber braust der Eisenbahnzug, uns einholend; eine Zeit lang suchten wir Stand zu halten, die Schaar stäubt auseinander, Einer hinter dem Andern zurückbleibend, je nach den Kräften. Da kommen die Buhnen, welche zwingen, Zickzack zu fahren. Vorbei braust der Zug! Ein wenig gedemüthigt[WS 1], eilen wir an Hochheim vorbei, seines goldenen Weines im Fluge gedenkend. Jetzt, um eine Ecke biegend, was erblicken wir? – die Thürme des „goldenen Mainz“ über das grünsilberne Eis herschimmernd. Ein Jubelschrei aus allen Kehlen: „Das goldige Mainz!“ Die Bahn wurde immer breiter, glätter, glänzender, immer freudiger die Schaar. Bald wurde eine Rune in’s Eis geschnitten, bald ein Satz über eine Buhne gemacht, bald vorgebeugten Leibes die Stahlsohle geliebäugelt, wie sie in rasender Eile unter sich das grüne Eis verschlang. Kostheim ist erreicht, die Rheinbrücke mit ihren hohen eisernen Fischbauchbogen kommt in Sicht. Die Dorfbewohner sind zahlreich auf dem Eis und machen einen Ringelreihen.

„Trägt die Eisdecke bis Mainz?“ fragte ich.

„Wir wissen es nicht. Noch Keiner hat es erprobt.“

„Wollen es selber thun. Vorsichtig, mir nach! Ich bin der Schwerste, mein Stock der stärkste. Wenn es uns Beide hält, dann seid Ihr geborgen!“

Im Gänsemarsch geht’s vorsichtig weiter. Wir nähern uns der Mündung des Mains in den Rhein.

Da wo der Main dem Rhein sich eint, stoßen wir an eine offene Stelle. Langsam und vorsichtig wird vorwärts geglitten, von Meter zu Meter mit dem Stock sondirt. Links erscheint jetzt die Brücke, vor uns der Dom von Mainz und das ganze reizende thürmereiche linke Rheinufer. Rechts aber – was sehen wir rechts?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gedehmüthigt
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_828.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)