Seite:Die Gartenlaube (1868) 002.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Wie geht es Euch, meinem Rappen und Dir?“

„Wie es eben geht, dem Rappen besser als mir … heut’ zu Tage geht’s den Thieren besser als den Menschen; die Thiere bleiben, was sie waren, die Menschen aber müssen sich in Dinge fügen, welche ihnen an der Wiege wahrhaftig nicht vorgesungen sind. Meine arme Mutter, die ihre Wittwenpension verloren, sie hat eine Schneiderin werden müssen, und ich habe meinen Graveurstichel fortwerfen müssen, um diese lange Strohgabel in die Hand zu nehmen und Piqueur im Leibstall Seiner königlichen Majestät zu werden … Gott besser’s!“

„Darüber solltest Du eigentlich nicht so bitter klagen,“ antwortete der Lieutenant zu dem Pferde tretend und seinen glänzenden Hals klopfend, „ich kann Dir sagen, daß mit der Luft da draußen verglichen eine außerordentlich behagliche Atmosphäre in Seiner Majestät Leibstall herrscht, und wenn Dir Deine alte Liebhaberei für Pferde, Reiten und Fahren zu Deiner jetzigen bescheidenen Stelle verholfen hat, so dank’ Du Gott dafür; es giebt Leute, die mehr verloren haben, als ihre Gehülfenstelle beim Hofgraveur und die Aussicht, einmal selber ein schlecht bezahlter Hofkünstler zu werden. Und übrigens da Du mir in melancholischer Stimmung zu sein scheinst, will ich Dir noch einen Gruß bringen, der Dich heiterer stimmen wird … Du weißt, von wem er kommt.“

Wilhelm warf einen fragenden Blick aus seinen großen blauen Augen auf den Lieutenant.

„Wirklich?“ sagte er.

Der Lieutenant nickte lächelnd. „Ich habe die Frauenzimmer,“ fuhr er fort, „bis über die Ohren in Sammet, Seide, Blumen und Flittertand versunken gefunden … sie hatten Arbeit vollauf mit Maskenanzügen für die Damen vom Hofe, Deine Elise stichelte sich die Finger wund an einem Griechinnencostüm für Mademoiselle de Boucheporn …“

„Aha,“ sagte Wilhelm lächelnd, „und im Auftrage der Mademoiselle de Boucheporn haben der Herr Lieutenant auch wohl nur bei meiner Mutter vorgesprochen, um dann im Schlosse berichten zu können, wie weit die Arbeit gefördert ist …“

„Da irrst Du, Wilhelm, ich habe Deine Mutter besucht, um nach der guten Frau, bei der ich fünf Jahre im Hause gewohnt habe und die mich in dieser Zeit wie einen Sohn verpflegt hat, zu schauen. Und diesem Umstande verdankst Du es ganz allein, wenn ich Deine Elise gesehen habe und Dir Nachrichten von ihr bringen kann. Sie sieht ein wenig blaß und angegriffen aus, Deine Elise; ich hoffe, Du hast ihr keinen Kummer gemacht,“ setzte der Lieutenant scherzend hinzu.

„Ich? nein, ich bin’s nicht,“ entgegnete Wilhelm mit einem Seufzer.

„Du bist’s nicht? Das lautet, als ob’s ein Anderer wäre, der ihr Kummer machte? Ist’s etwa die Sorge um ihren Vater? Der gute Steitz sieht freilich schon lange wie ganz verändert und umgewechselt aus – ich glaube, es ist im ganzen Lande Keiner, dem, was geschehen ist, so zu Herzen geht, wie dem alten Steitz. Er scheint ohne seinen gnädigen Kurfürsten nicht leben zu können, der Mann schleicht umher wie ein Gespenst, so still und gebückt und in sich versunken.“

Wilhelm stützte das Kinn auf seine Hand und nachdenklich zu Boden blickend antwortete er:

„Was er eigentlich hat, weiß ich nicht, aber so viel ist gewiß, daß Elise sehr schwer mit ihm auskommt und daß er ihr auch zornig erklärt hat, sie müsse sich das Verhältniß zu mir ganz und gar aus dem Kopf schlagen, und ich solle mich nicht mehr in seiner Wohnung betreten lassen …“

„In der That?“ fragte der Lieutenant überrascht, „das hat der gute alte Herr doch wohl nur im Zorn gesagt …“

„Im Zorn, ja, doch ist es sein bitterer Ernst gewesen – und was ist am Ende auch daran Wunderbares? Als meine Mutter noch ihre Pension als Predigerwittwe hatte und ich die Aussicht auf eine kleine Hofanstellung, da mochte ich dem Herrn Steitz willkommen sein als Schwiegersohn. Seitdem ist meine Mutter eine Schneiderin, eine Putzmacherin und ich bin Reitknecht geworden – nichts als ein armer Reitknecht … Sie müssen gestehen, Herr Lieutenant, daß das die Sachen ändert,“ fügte Wilhelm mit einem bittern Lächeln hinzu.

Der Lieutenant war still geworden.

„Willst Du, daß ich einmal mit dem Herrn Steitz rede?“ sagte er dann.

„Nein,“ versetzte Wilhelm, „das ist für’s Erste unnütz und würde nichts helfen. Es ist unnütz, denn die Elise und ich bleiben uns doch treu, das weiß ich von ihr und sie weiß es von mir, ein glühendes Eisen brächte uns nicht auseinander. Und helfen wird uns nichts, als bis einmal der Wind von einer andern Seite bläst und diese Franzosen …“

„Pst!“ machte der Lieutenant und räusperte sich … Der Stallbediente, welcher die Laternen anzündete, war bis zu der gekommen, welche unmittelbar neben ihnen hing, und zog sie jetzt tief zu sich herab, um den Docht darin zu entflammen.

Als er sie wieder in die Höhe geschoben und Wilhelm zu dem aufflammenden Lichte empor sah, nahm der Lieutenant in den Zügen des jungen Mannes, in welche der helle Schein fiel, einen tief schmerzlichen Ausdruck wahr … Dieser blonde, so ernst und nachdenklich aussehende jugendliche Kopf paßte nicht zu der grauleinenen Stalljacke und der langen Strohgabel Wilhelm’s.

„Du hast Recht,“ sagte der Lieutenant, als der Laternenanzünder gegangen war … „auch ich denke, es können und es müssen andere Zeiten kommen … ich glaube jedoch nicht, daß sie so rasch kommen, wie Viele sagten, und ich fürchte, Du und Deine Elise, Ihr könntet Beide darüber alt werden. Aber deshalb verliere den Muth nicht, Du weißt, der König beehrt mich mit seiner besonderen Gunst …“

„Das thut er freilich,“ fiel Wilhelm ein, „sonst hätte er Ihnen den Rappen da nicht geschenkt …“

Unten im Stalle wurde in diesem Augenblick ein lauter Stimmenwechsel hörbar, und die in dem langen Raume Anwesenden versammelten sich dort zu einer Gruppe, die immer dichter wurde.

Der Lieutenant schritt hinab, um zu sehen, was der Grund des kleinen Auflaufes sei.

Als er näher kam, sah er inmitten der Gruppe einen großen, stattlichen Mann in Uniform, der alle Andern überragte und in großer Heftigkeit auf einen kleinen, in einen braunen Civilrock gekleideten Herrn einredete und dabei im höchsten Zorn weit lauter schrie, als es nöthig war, um sich dem dicht vor ihm stehenden Civilisten verständlich zu machen.

„Aber so nehmen Sie doch Vernunft an, Herr Oberst,“ rief dieser, „wenn ich Sie doch versichere, daß wir gar keinen Platz für Ihre zwei Pferde haben …“

„So werfen Sie meinethalben zwei Dienstklepper hinaus, um Platz zu schaffen,“ schrie der Oberst, „ich sage Ihnen, daß ich ein Pferd für mich und eins für meine Ordonnanz hier untergebracht und versorgt sehen will, und das schon morgen, mein Herr Moulard.“

„Ich werde die Befehle des Königs darüber einholen und befolgen, nicht die Ihrigen, mein Herr La Croix,“ schrie der Stallmeister Moulard dagegen; „bis dahin müssen Sie sich gedulden, und wenn der Graf Boucheporn mich als Maître de Logis versichert, daß Sie auch die Zimmer im Schloß nicht haben werden, welche Sie verlangen, so weiß ich überhaupt nicht, was Sie mit dem Platz für Ihre Pferde wollen!“

„Das hat Graf Boucheporn Sie versichert? Also Graf Boucheporn ist einmal wieder der, welcher hinter der Sache steckt? Jarnitonnerre! Graf Boucheporn wird nicht müde, mir Liebesdienste zu beweisen. Nun, wir werden doch sehen, ob der König oder sein Maître de Logis im Schlosse zu befehlen hat. Graf Boucheporn soll sich hüten vor mir! Ah, Lieutenant Mensing – Sie sind da? … Sie sind ja so etwas wie Hausfreund bei Boucheporn und seiner hübschen Tochter … Sie mögen gehen und es ihm sagen – ich kümmere mich den Teufel drum!“

Der Lieutenant Mensing legte, als er sich so unvermuthet von dem Obersten angeredet sah, salutirend die Hand an seine Dienstmütze, der Stallmeister Moulard aber kehrte ihm den Rücken und ging davon; der Oberst wandte sich jetzt auch und ging fluchend und wetternd den langen Mittelgang hinab, um den Stall zu verlassen.

„Diese Franzosen haben immer Zank und Streit,“ sagte Wilhelm, als der Lieutenant wieder zu ihm getreten war, „und dann gerathen sie gleich in einen Zorn und in ein Toben, daß man meint, sie werden sich wenigstens den Hals brechen. Was war’s?“

„Der Gensd’armerie-Oberst La Croix beansprucht eine Wohnung für sich im Schlosse und Platz für zwei Pferde im Stalle,“ antwortete der Lieutenant, „und der Graf Boucheporn, der sich, ich glaube schon früher, in Paris mit ihm überworfen hat, will sie ihm nicht einräumen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_002.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2021)