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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

bestritten, und der junge Dichter fühlte das Bedürfniß, mit geräuschvollerem Flügelschlage vom Alsterpavillon aus aufzusteigen und über die Länder dahin zu fahren. Seine Ansprüche waren groß. Er hatte auch nichts versäumt, die gemeinen Hindernisse einer breiteren Laufbahn aus dem Wege zu räumen: in Göttingen hatte er seine Promotion zum Doctor Juris zu Wege gebracht, um einen Titel und eine gewisse Anwartschaft zu haben, und von Göttingen aus war er einmal plötzlich nach Langensalza gefahren und hatte sich dort taufen lassen. Religiöse Sehnsucht nach der christlichen Gemeinschaft hatte ihn nicht getrieben, wohl aber Sehnsucht nach freier bürgerlicher Gemeinschaft. Nun saß er da in dem kaufmännischen Hamburg, welches den blassen, unqualificirbaren Doctor im Vorübergehen fragend ansah, und harrte unruhig des Windes, der ihn weiter heben sollte. Täglich trat er an der Ecke des Gänsemarktes in den Buchladen seines Verlegers Julius Campe und fragte nach Neuigkeiten. Campe war ganz geeignet, zu stacheln. Er war ein politischer Buchhändler in der doppelten Bedeutung dieses Wortes, und erkannte die Neigung des deutschen Lesepublicums sehr wohl. Humor! Humor in politischer Richtung! Das war sein Recept für neue Bücher. Heine bedurfte zwar keiner Leitung im Ganzen, denn sein eigentliches Talent vertrug sie gar nicht, es ging mit ihm selber durch. Aber Fingerzeige über die Stimmung des Tages waren ihm stets willkommen, und Reizung war immer wirksam auf ihn. Da brach die Julirevolution aus, und die Laufbahn Heine’s war entschieden. Auf den hoch gehenden Wogen des europäischen Dranges, mit veralteten Beschränkungen zu brechen, schiffte er sich ein unter politischer Flagge, schrieb zu einem Buche von Kahldorf gegen den Adel eine herausfordernde Vorrede und – ging nach Paris.

Hierdurch ist Zweierlei über ihn gekommen: er hat die Heimath verloren und ist den politischen Schriftstellern eingereiht worden. Die zweite Hälfte seines Lebens, über ein Vierteljahrhundert, hat er in Frankreich zugebracht, nur auf ein paar Wochen ist er ein einziges Mal wieder zum Besuche seiner Mutter in Hamburg gewesen. Dadurch ist er aller leiseren und feineren Uebergänge im Vaterlande verlustig geworden und hat statt dieser französische Denk- und Sprechweise in sich aufgenommen. Dies ist hochwichtig für die Beurtheilung seines Wesens.

Nicht ganz so wichtig, aber wichtig ebenfalls ist es, daß er mit der politischen Uniform bekleidet wurde. Sie hat sein wahres Bild in den Augen der Welt einfach verwirrt und hat ihn selbst nur zu oft irre geführt.

Er war ein Poet, nicht aber ein Politiker. Es war ein Zufall, und für ihn ein unglücklicher Zufall, daß gleichzeitig mit ihm Ludwig Börne aus Deutschland nach Frankreich flüchtete. Diese und manche andere Aehnlichkeit hat zwei grundverschiedene Männer aneinander gekoppelt in der öffentlichen Meinung, und sie Jahrzehnte lang einer Kritik nach gleichen Maßstäben überliefert. Solcher gleichmäßige Maßstab mußte Beiden Unrecht thun, Heine in der Gegenwart, Börne für die Zukunft. Die Gegenwart unterschätzte Heine, die Zukunft – es geschieht jetzt schon – wird deshalb Börne unterschätzen. Die Schriften Börne’s werden allmählich neben den Heine’schen den Schaffungskeim vermissen lassen, und man wird sich wundern, wie eine scharfe Tagespolemik einem Weltkriege habe gleich geachtet werden können, so wie man sich in unsern Tagen gewundert hat, daß Börne’s reiner, consequenter Charakter mit klarem, wenn auch negativem Zwecke neben dem unruhigen, wechselvollen, pietätslosen Geiste Heine’s auch nur in Vergleich kommen könne.

Da lebten sie denn in Paris neben einander und in den ersten dreißiger Jahren versuchten sie es, freundschaftlich neben einander zu leben. Vergebliches Bemühen! Ein Bemühen wenigstens von Seiten Börne’s, welcher gerne vermieden hätte, das Ansehen der Partei zu schwächen durch einen Bruch mit Heine. Es war unmöglich innerhalb der Naturgesetze, welche jedem von Beiden innewohnten. Börne hatte ein bestimmtes Ziel, ein politisches. Demokratische Freiheit war der Inhalt seines Strebens. Die Schrift, welche er drucken ließ, war ihm nichts weiter als die Waffe. Hätte er eine andere wirksamer zu handhaben gewußt, er hätte diese andere Waffe vorgezogen. Nicht um Literatur, nicht um Kunst, nicht um Consequenzen, welche über Politik hinaus liegen, war es ihm zu thun. Was literarisches Talent an ihm war und was er in stiller Frankfurter Zeit als Herausgeber der „Wage“ zu heitern Genrestücken ausgebildet hatte, das war in ihm selbst zurückgetreten wie Dilettantenthum. Die politische Mission, in welche ihn die Revolutionszeit geführt, war ihm Alles geworden, und wenn er einmal an etwas Speculatives herantrat, so geschah auch dies nur in specifisch politischem Sinne. Nur der Mensch im Staate beschäftigte ihn.

Der Mensch im Staate war aber für Heine nur ein kleiner Theil des Menschen. Er behandelte diesen kleinen Theil auch vielfach, aber er that es leichtsinnig; es interessirten ihn zahlreiche andere Theile des Menschen nicht minder. Und so mußte er das gewissenhafte Lebensinteresse Börne’s bei hundert Gelegenheiten verletzen. Wie konnte ein solches Gespann gleichen Schritt halten! Ein Arbeitsroß und ein Flügelroß! Pflügen wollte das eine, fliegen das andere! So kam es denn zwischen ihnen zu jenem Bruche, welcher die Liberalen in Deutschland peinigte. Das Resultat dieses Bruches war nach Börne’s Tod ein Buch über Börne, welches Heine schrieb, welches kunterbuntes Aergerniß verursachte und widerwärtigen Parteiscandal, ja ein Duell Heine’s zur Folge hatte.

Um die Zeit, da er mit diesem Buche schwanger ging, lernte ich Heine in Paris persönlich kennen; brieflich war ich seit Jahren mit ihm in Verkehr gewesen.

Heine war damals (1839) auf der Höhe seines Lebens, körperlich wie geistig. Sein Leib war feist, seine Geistesstimmung munter und behaglich; er glich einem Abbé aus dem achtzehnten Jahrhundert. Hing er doch überhaupt, da er noch im vorigen Jahrhundert geboren war, mannigfach zusammen mit diesem geistreichen Säculum, ein Seitensprößling Voltaire’s, in der Poesie mit stärkerer deutscher Milch aufgesäugt, im Witze mit französischem Weine getränkt. Es ist nichts Zufälliges, daß in den fünfziger Jahren seine in’s Französische übersetzten Schriften so tiefen Eingang finden konnten bei den französischen Schriftstellern, so tiefen Eingang, wie ihn seit Jahrhunderten kein unfranzösischer Autor gefunden. Man lese Beuillot’s „Odeurs“! Dieser giftige Franzose, welcher für die Interessen der Kirche zu schreiben vorgiebt, sagt es zum ersten Male grimmig heraus: „Den tiefsten Einfluß, und natürlich verderblichsten Einfluß, auf die modernen Schriftsteller Frankreichs hat Henri Heine ausgeübt.“


„Der alte Feldherr“ in Solothurn.

Nach Mittheilungen eines Zeitgenossen.

In Zuchwil, eine Viertelstunde von Solothurn, der Hauptstadt des gleichnamigen Schweizer-Cantons, liegt ein stiller Dorfkirchhof, zu dessen Besuch ich heute die Leser der Gartenlaube einladen möchte. Nicht als ob es einer jener herrlichen Friedhöfe wäre wie der Père Lachaise in Paris oder die Friedhöfe von Berlin, Frankfurt, München u. dgl., wo wir in einem Pompeji der herrlichsten Grabmäler wandeln und ob all’ der monumentalen Pracht vergessen, daß der Fuß über ein Leichenfeld wegschreitet; oder als ob er gar mit einem der classischen Campi santi von Italien wetteifern könnte, wo der ewig blaue Himmel und der Reflex des Meeres selbst den düstern Schatten der Cypressen zu mildern vermögen. Ein einfaches Kirchlein, auf allen Seiten von Gräbern umgeben, die mit Buchs eingefaßt und mit wilden Nelken geschmückt sind, ein paar Trauerweiden und Ulmen, eine niedrige Mauer als Einfriedung und rings herum üppige Obstbäume und patriarchalische Strohdächer, die grüßend gegen die Stätte des Todes sich hinneigen – das ist der Gottesacker von Zuchwil! An der innern Seite der Einfassungsmauer aber erhebt sich ein hohes Grabmal aus Jurakalk, das die einfache Unterschrift trägt: Viscera Thaddei Kosciuszko. Und unter diesem Denksteine ruht das Herz des großen polnischen Helden, des Siegers von Dubienka.

Am 15. October waren es fünfzig Jahre, seit der greise Feldherr in Solothurn sein edles Leben aushauchte. Dort hatte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_010.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)