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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mädchen hatte beim ersten Eintritte in’s Haus sein Herz erobert, und da sich auch die Kleine mit dem ganzen Enthusiasmus einer erregbaren Natur an den Alten anschloß, entstand ein rührendes Verhältniß zwischen diesen zwei an Alter so verschiedenen Seelen, das bis zum Tode des Generals fortdauerte. Dieser hatte sich ausbedungen, die höhere Ausbildung der kleinen Freundin selbst zu besorgen, und so gab er ihr denn täglich gewissenhaft Stunden in Geographie und Geschichte, namentlich des alten Roms. Noch besitzen wir die Berichte gebildeter Polen, die zufällig Zeugen solcher Stunden waren und mit Rührung des innigen Verhältnisses zwischen ihrem angebeteten Helden und „sa chère petite amie“ gedenken, Aber auch außerhalb der Lehrstunden war Fräulein Zeltner der Lieblingsumgang Kosciuszko’s. Er war von jeher ein Kinderfreund gewesen und stellte die Naivetät des weiblichen Wesens über Alles; und wie er nie ausging, ohne seine Taschen voll Zuckerwerk zu haben, um die ihn auf der Straße jubelnd begrüßenden Kinder zu beschenken, so wurde auch Emilie von ihm bei allen Anlässen beschenkt und gefeiert. Ihr zu Ehren veranstaltete er kleine Kinderbälle, wo er sich mit rührender Herzlichkeit unter die Jugend mischte, an den Spielen Theil nahm und mit den Kindern scherzte und lachte. Ja, so groß war Emiliens Einfluß auf ihren väterlichen Freund, daß sie zuletzt die Vermittlerin zwischen ihm und der Außenwelt wurde; sie mußte ihm Bittschriften überreichen, Unterstützungsgesuche übermitteln und dergleichen.

Der Friedhof von Zuchwil mit Kosciusko’s Grabmal.0 Nach der Natur aufgenommen von Süterlin.

Im Uebrigen lebte Kosciuszko in Solothurn sehr zurückgezogen, auf einen kleinen Kreis bewährter Freunde beschränkt, Gelehrte, Kaufleute, Officiere, die sich jeden Abend zu einer Tasse Thee bei ihm einfanden. Höflichkeitsbesuche machte er keine und die müßige Neugierde, die sich so gern berühmten Männern an die Fersen heftet, hielt er sich fern. Am liebsten verkehrte er mit Landleuten, Handwerkern und Taglöhnern; stundenlang konnte er den Landwirthen bei ihrer Feldarbeit zusehen, sie über Einzelnes befragen und sich die verschiedenen Gebräuche erklären lassen. Auch in den berühmten Steinbrüchen bei Solothurn war er ein häufiger und gern gesehener Gast, und nicht selten legte er beim Bewegen von Lasten und dergleichen selbst Hand an. Seine Ausflüge in der Umgebung der Stadt machte er meist zu Pferde und ohne alle Begleitung, die Heerstraßen vermied er, schlug einsame Feld- und Waldwege ein und suchte die armen Hütten der am Jura sich hinziehenden Dörfer, die niedrigen Behausungen armer Steinmetzen und Tagelöhner auf. Wo er da einen bedürftigen, mit der Noth des Lebens ringenden Familienvater, einen Kranken auf dem Siechbette wußte, stieg er vom Pferde, band es an einen Baumstamm, trat unter das arme Dach und brachte Trost und reichliche Gaben. Zu diesem Behufe hatte er denn auch immer bei diesen täglichen Besuchen in den Satteltaschen seines Pferdes ein paar Flaschen alten Weines, die er als Lebensessenz armen Kranken brachte. Lange ahnte Niemand, wer der hohe freundliche Greis mit dem liebevollen Blick und der immer offenen Hand war; denn ehe die Armen aus ihrer Ueberraschung über seine Liebesspenden gekommen waren, saß er zu Pferde und trabte einer neuen Hütte der Armuth entgegen. Doch auch die Bettler auf der Straße, der reisende Handwerksgeselle und Invalide wurde nicht vergessen, und nie machte er sich auf die Straße, ohne eine Hand voll Scheidemünze in seiner Tasche zu tragen. Sein Pferd war mit den Gewohnheiten seines Herrn so vertraut, daß es bei jedem Armen, der an der Seite der Straße lag oder den bittenden Blick zu seinem Reiter emporhob, stehen blieb und nicht von der Stelle wich, bis das übliche Scherflein gespendet war. Da diese Wanderungen täglich, ohne Rücksicht auf Regen und Schneegestöber statt fanden, so kannte der General bald die Armentopographie der Umgebung bis auf stundenweite Entfernungen.

Der Winter des Jahres 1816–17 war bekanntlich ein sogenanntes Hungerjahr und die Theuerung erreichte eine Höhe, daß selbst die Wohlhabenden sich viele Beschränkungen auflegen mußten. Die segensreiche Thätigkeit, die Kosciuszko um diese Zeit entfaltete,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_012.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)