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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kurz vor seinem Tode sollten noch zwei Begegnungen, wie ein Gruß aus der fernen Heimath, einen belebenden Lichtstrahl in sein stilles Dasein senden. – In einem der Nonnenklöster von Solothurn lebte auch eine Polin, die in Folge der politischen Ereignisse ihre Heimath verlassen und in diesen Mauern eine Zufluchtsstätte gefunden hatte. Sobald der General davon vernommen hatte, besuchte er sie in strengem Incognito und unterhielt sich freundlich mit ihr in der Muttersprache. Plötzlich aber erglühte die Nonne, wie aus einem Traume erwacht, und ehrfurchtsvoll ein paar Schritte zurücktretend, rief sie aus: „Sie sind Kosciuszko! Ich habe als Mädchen in Polen Ihr Bild als Medaille an der Brust fast aller Damen gesehen und es kann kein zweites Gesicht auf Erden geben, in dessen Zügen sich so viel Hohes und Edles vereinigt, als das des großen Naczelnik.“

Die zweite Begegnung war der Besuch, den die edle Fürstin Lubomirska, eine der ersten Frauen Polens, ihm auf der Durchreise nach Italien im Zeltner’schen Hause abstattete und der auf seinen Wunsch einige Wochen verlängert wurde. Ihre feine Unterhaltungsgabe, ihre Liebenswürdigkeit und ihr heiterer Sinn beglückten noch seine letzten Lebenstage. Denn Kosciuszko war schon damals leidend und ahnte, gleich den Sehern des Alterthums, sein herannahendes Ende. Beim Abschiede, welcher sehr bewegt war, versprach ihm die Fürstin, im künftigen Frühling den Besuch zu wiederholen. Kosciuszko schüttelte aber wehmüthig das Haupt und bat sich von ihr ein Unterpfand der Erinnerung aus. Die Fürstin schickte ihm bald darauf von Lausanne aus einen goldenen Fingerring mit der Inschrift: L'amitié à la vertu. (Die Freundschaft der Tugend.) Als aber der Reif in Solothurn ankam, war die Hand, welche er schmücken sollte, im Todeskampfe erstarrt! –

Im Vorgefühle, daß sein Leben zur Neige gehen werde, hatte er auch wohl jene großartige Handlung begangen, die ganz Europa mit Bewunderung erfüllte und seinen humanen aufgeklärten Sinn in so schönem Lichte zeigte: die Freigebung seiner Unterthanen auf seinem Rittergute Siechnowice. Die denkwürdige Urkunde, die am 2. April 1817 ausgestellt wurde, erklärte die Landleute des von seiner obengenannten Herrschaft abhängigen Dorfes zu freien Staatsbürgern, zu Eigenthümern des von ihnen besessenen Grund und Bodens, frei von allen Abgaben, Gefällen und Frohndiensten an die Eigenthümer des Gutes. – Gleichzeitig ernannte er seine Nichte, Katharina Estkowa, und deren Kinder zu Eigenthümern dieser seiner Besitzung. –

Im Herbste desselben Jahres, herrschte zu Solothurn eine bösartige Typhusepidemie, die wahrscheinlich mit dem Nothstande jenes Jahres im Zusammenhang stand. Die Seuche sollte auch für den edlen Grafen verhängnisvoll werden: am ersten October wurde er von den Vorboten der Krankheit befallen. Mit der ihm eigenen Ruhe ordnete er sogleich seinen letzten Willen an. Den Haupttheil seines nicht unbeträchtlichen Vermögens, hinterließ er der Familie Zeltner und bedachte namentlich seine theuere Emilie auf’s Väterlichste. Die Armen, sowie das Waisenhaus und verschiedene andere Wohlthätigkeitsanstalten wurden reichlich ausgestattet und überdies seinem biedern Freunde und Anwälte Amiet eine beträchtliche Summe in Baar übergeben, um sie unter verschämte Arme zu vertheilen. Ausdrücklich verfügte er, daß bei seiner Beerdigung alles Gepränge vermieden werde; dagegen sollte der Sarg von sechs Armen zu Grabe getragen werden. – Nachdem Kosciuszko diese Anordnungen getroffen hatte, legte er erleichtert die Feder weg und rief aus: „Nun ist mir wohl.“ Die Ueberzeugung seines nahen Todes stand aber bei ihm fest, obgleich die Erscheinungen der Krankheit nicht bedrohlich waren und sein Geist bis zum Tode ungetrübt blieb. Ruhig unterhielt er sich mit Freund Zeltner, der kaum von seiner Seite wich, über seine Vergangenheit und über die Zukunft Polens, eine Frage, die ihn bis zum letzten Athemzuge beschäftigte.

Feierlich und ergreifend war der Augenblick, als Kosciuszko von seinem Freunde und dessen Familie Abschied nahm. Alle knieten an dem Bette des theuren Kranken nieder, Jedem ertheilte er seinen Segen, für Jeden hatte er ein Wort der Liebe. Dann ließ er sich nach alter Sitte seinen Säbel reichen, schaute ihn ein paar Augenblicke wehmüthig an und legte ihn dann an seine Seite, als wollte er ihm die Wache über seine Asche anvertrauen. – Am 15. October gegen Abend nahmen seine Kräfte rasch ab und Allen drängte sich die Ueberzeugung auf, daß es mit seinem Leben zur Neige gehe. Auf einmal richtete er sich, mit Anstrengung aller Kräfte auf seinem Lager auf, reichte Herr und Frau Zeltner seine Hände, grüßte mit sanftem Lächeln seine Emilie[1] – und sank mit einem Seufzer todt in die Kissen zurück. –

Die Leiche wurde am folgenden Tage obducirt und dann einbalsamiert. Sie war über und über mit den Spuren alter Wunden bedeckt; mehrere tiefe Narben schmückten seine Brust und auf seinem Kopfe kreuzten sich mehrere Hiebe. Beim Entkleiden der Leiche fand man auf seiner Brust ein weißes Taschentuch, das er seit seiner Jugend immer dort getragen hatte und dessen Bedeutung nur Wenige kannten. Es war das letzte Liebespfand von Louise Sosnowska, der Tochter des Marschalls von Lithauen, das er seit vierzig Jahren als theure Reliquie seiner reinen und einzigen Liebe auf dem Herzen trug. Vierzig Jahre früher, als der berühmte Todte noch ein unbekannter Capitän war, hatte er um die Hand der jungen Dame angehalten. Die stolzen Eltern hatten den unbegüterten Edelmann hart abgewiesen. Eine Entführung war die Folge dieses Bescheides, und schon waren die beiden Liebenden unter dem Schutze der Nacht entflohen und dem Ziele ihrer Wünsche nahe, als bewaffnete Verfolger sie erreichten. Kosciuszko vertheidigte sich wie ein Löwe, wurde aber überwältigt und sank schwerverwundet zusammen. Als er aus seiner Betäubung erwachte, war Alles, was er von seiner Geliebten fand, ein Taschentuch, das sie fallen gelassen und das mit seinem Blute befleckt war. Er hob es auf; es war dasselbe Taschentuch, das man nach seinem Tode vorfand. Um dieser unglücklichen Liebe willen verließ der junge Officier den polnischen Dienst und widmete seinen Degen der Befreiung Amerikas. In der Erinnerung an diese Liebe mied er auch später jede Gelegenheit einer ehelichen Verbindung. – Fräulein Sosnowska wurde später die Gattin eines hochgestellten Polen, allein auch sie bewahrte in treuester Freundschaft die Erinnerung an ihren geliebten Thaddäus.

Das Leichenbegängniß des Helden war einfach, ohne alles militärische Gepränge, aber erschütternd durch die allgemeine Trauer, durch die Schaaren derer, denen er Vater gewesen und die nun wehklagend dem Sarge folgten. Sechs arme Greise trugen den Sarg. Voran schritten Waisenkinder mit Trauerschärpen, Blumen in den Händen tragend. Der Sarg war unbedeckt, damit ganz Solothurn noch einmal die theuern Züge des edeln Freundes sehen könnte. Jünglinge schritten an der Seite und trugen des Todten Schwert, Hut, Feldherrnstab, den amerikanischen Cincinnatusorden und Lorbeer- und Eichenkränze auf schwarzsammtnen Kissen. In der Jesuitenkirche von Solothurn wurde die Leiche, nachdem der feierliche Gottesdienst zu Ende war, in einen bleiernen Sarg gelegt, dieser mit dem obrigkeitlichen Siegel versehen, in einen zweiten Sarg von Eichenholz geschlossen und in dem Grabgewölbe der Kirche beigesetzt.

Groß war in Polen der Schmerz bei der Kunde vom Tode des großen Bürgers! Unerträglich schien der Gedanke, daß der große Vaterlandsvertheidiger in fremder Erde ruhen sollte. Im Namen des polnischen Volkes wurde Kaiser Alexander angegangen, zu gestatten, daß die Leiche des enthusiastisch verehrten Feldherrn dem heimathlichen Boden zurückerstattet werde. Dieser Fürst, der bei wiederholten Anlässen seine Hochachtung und Sympathie für Kosciuszko bezeugt hat, genehmigte das Gesuch auf das Bereitwilligste. Die Regierung von Solothurn ehrte die Ansprüche Polens, und so wurde denn die Leiche wieder aus ihrer Gruft gehoben und feierlich, unter Begleitung des Fürsten Jablonowski, Kaiser Alexanders Kammerherrn, nach Polen gebracht. Sein Herz aber war bei der Einbalsamirung in eine metallene Kapsel gebracht und auf dem Kirchhofe von Zuchwil beigesetzt worden. „Das Herz des polnischen Feldherrn hat für die ganze Welt geschlagen, möge es denn auch hier der Verehrung der ganzen Menschheit zugänglich sein!“ Herr Altlandvogt Zeltner, der diese Anordnungen getroffen, hatte mit diesen Worten die Auslieferung dieser Reliquie an Polen verweigert. –

Und so sind wir wieder auf dem Punkte angelangt, von welchem diese Erinnerungen an den großen Polen ausgingen, auf dem Friedhof von Zuchwil, vor dem einfachen Denksteine aus Jurakalk, bei dem schon so manche Thräne geflossen, so manches wehmüthige Erinnerungsfest gefeiert worden, zu dem Hunderte und

Hunderte von gebeugten polnischen Flüchtlingen gepilgert sind.

  1. Die hier vielgenannte junge Dame ist die jetzt noch lebende Frau Gräfin Morosini in Mailand.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_014.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)