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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„So denk’ auch ich,“ erwiderte Wilhelm, „es war mein erster Gedanke, wenn wir unser Leben wagen, so thun wir es Einer um des Andern willen, und Gott, hoffe ich, wird uns deshalb in seinen Schutz nehmen. – Aber um Eines bitte ich Dich, Elise.“

„Und was ist es?“

„Sag’ es meiner Mutter nicht!“

„Nein,“ versetzte sie. „Es ist nicht nöthig, daß auch sie leide, wie ich meinen Vater leiden sehe unter der Sache. Sieh, Wilhelm, wenn ich so guten Muthes, so rasch entschlossen dabei bin, so kommt es daher, weil ich jetzt endlich erfahre, was in all’ der Zeit so furchtbar schwer auf meinem armen Vater gelastet hat, und weil ich nun sehe, wie ihm die Last vom Herzen genommen werden, wie ich selbst dabei behülflich sein kann! Darum …“

„Still!“ flüsterte Wilhelm, ihren Arm ergreifend, „da ist Jemand … fort!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein denkwürdiger Besuch.
Fragment aus unsern Familienpapieren.
Von Hans Blum.

Die Wiener Octoberrevolution war zu Ende. Langsam, aber mit entsetzlicher Gewißheit wurden die Ungeheuerlichkeiten in Deutschland laut, die den Triumphzug des Siegers begleitet. Jede neue Zeitung brachte neue Gräuel, gesteigerte unmenschliche Rachgier. Aber die That, die Alle mit einstimmigem Schmerzensschrei hinausriefen in die Welt, die am längsten nachhallte und am tiefsten die Herzen ergriff – diese That hatte auch uns am tiefsten verwundet.

In diesen Tagen, am 18. November 1848, erhielt Bürgermeister Klinger in Leipzig ein Schreiben folgenden Inhalts:

„Wohlgeborner Herr,

Hochgeehrter Herr Bürgermeister!


Gestatten Sie auch mir, ich bitte herzlich, beifolgende Einhundert
Thaler für Robert Blum’s Wittwe und Kinder Ihrer
vorsorgenden Theilnahme zu übersenden.

Sagen Sie der Wittwe, die jetzt der Liebling theilnehmender,
mitfühlender Menschen ist, daß, so lange ich lebe, mein Herz ihr
angehört, so oft und so viel sie eines Frauenherzens treue Freundschaft
bedarf. Auch darum bitte ich Euer Wohlgeboren. Zudrängen
werde ich mich nicht – aber so oft Bedürfnisse in dieser
Familie stattfinden sollten, oder Wünsche, welche zu erfüllen ich
im Stande wäre, so würde ich es als ein Glück und die höchste
Ehre ansehen, nicht übergangen zu werden. Ergebenst ersuchend
um Empfangs-Schein, habe ich die Ehre mit ausgezeichneter Hochachtung
zu unterschreiben

Dresden, 16. Nov. 1848.

Auguste Charlotte Gräfin von Kielmansegge
geb. von Schönberg.“

Sorgen und Geschäfte mancherlei Art: die Unterhandlungen mit dem sächsischen Ministerium über die Auslieferung von Vaters sterblichen Ueberresten, die sich zerschlugen; die Ordnung unserer Vermögensverhältnisse; endlich das in Broschüren und selbst in einer angeblichen Note Kossuth’s aufgetauchte Gerücht, daß mein Vater nicht erschossen, sondern in einer der österreichischen Festungen gefangen gehalten werde, ein Gerücht, das nach vielerlei Nachforschungen und innern peinigenden Zweifeln, auf immer zurückzuweisen – dies Alles war es, was die Antwort auf obigen Brief bis zum 2. Januar 1849 verzögerte. Schon nach sechs Tagen lief die Erwiderung ein, den 8. Januar 1849 von Plauen bei Dresden, dem Landgute der Gräfin, datirt. Sie bezeichnete sich darin als eine Dulderin, wie meine Mutter, und meinte, daß dadurch allein schon ihre Sympathie und gegenseitige Unterstützung vorgezeichnet sei. „Mit bittern Thränen,“ fährt sie fort, „hebt eine solche Bahn an, sie endet aber mit dem Vollgefühl der unaussprechlichsten Freude …“ dann ermahnt sie ihre „theure Freundin, denn so haben wir’s ja verabredet“, auszuharren, bis sie ihrem Gatten „selig entgegentreten werde“, und schließlich fordert sie dieselbe dringend auf, mit den „lieben Kindern“ ihr einen Tag zu schenken, wobei Letztere „während unsrer ernstern Gespräche auf einige Unterhaltung rechnen können.“

Was sollte das bedeuten? fragte sich, wer auch nur immer diese Zeilen zur Durchsicht erhielt. Wozu diese Antwort überhaupt auf ein Schreiben, das mit der Danksagung meiner Mutter recht wohl die ganze Angelegenheit hätte beschließen können? Wozu jene mystischen Andeutungen über Wiedervereinigung mit geliebten Todten nach dem Tode, oder gar früher? Der Schluß des Briefes ließ wohl vermuthen, daß die Gräfin meiner Mutter Besuch aus mehr als bloßer Freundschaft oder Neugierde wünschte. Aber was hatte sie ihr in den „ernstern Gesprächen“ anzuvertrauen?

Glaubte sie etwa gar an das Märchen, daß der Vater noch lebe? Hatte sie den Schlüssel, ihr Räthsel zu lösen? Nur die Zeit konnte diese Fragen beantworten, und wahrscheinlich am besten ein Besuch bei ihr selbst.

Unterdessen war der Vorschlag Karl Vogt’s, daß wir Kinder in der Schweiz (Bern) zu erziehen seien – Dank der Energie unserer Mutter – von den sächsischen Behörden endlich nach zähem Widerspruch genehmigt und die Zeit unserer Abreise auf die ersten Tage des Mai festgesetzt worden. Es galt also Abschied zu nehmen von den Freunden des Vaters, von denen eine nicht geringe Anzahl damals ihren Sitz auf dem Landtage in Dresden gefunden hatte. Was war natürlicher, als daß meine Mutter bei einer Reise nach Dresden zugleich eine Lösung jener Räthsel sich zu verschaffen suchte, welche die merkwürdige Frau auf ihrem Schlosse im Plauenschen Grunde bei Dresden einem flüchtigen Blatte anzuvertrauen sich offenbar scheute?

Sie schrieb daher am 17. April an die Gräfin, sie werde am 20. mit dem Frühzuge in Dresden eintreffen und sich, wenn die Gräfin nicht gerade abwesend wäre, die Ehre eines Besuches gönnen. Andern Tags schon kam folgende Antwort:

„Theure Freundin! In diesem Augenblick … erhalte ich Ihre Zeilen, sende sogleich einen reitenden Boten nach der Post, damit meine Antwort noch die Eisenbahn erreiche. Kommen Sie, kommen Sie, Alle, mein Herz hat Raum für Alle und für Alles. Schenken Sie mir die ganze Zeit, Mittags, Abends, die ganze Zeit … Ihre treue Freundin in Plauen – A. K.“

Auch das Couvert trug die Spuren der Hast und der ängstlichen Sorge der Gräfin, sich diesen Besuch um keinen Preis entgehen zu lassen. Dort hatte sie eigenhändig bemerkt, daß der Brief durch einen Expressen „noch heute“ bestellt werde.


Der 20. war ein recht unfreundlicher Apriltag. Regen und Sturm luden nicht gerade dazu ein, uns Kinder früher als gewöhnlich zu wecken. Wir fuhren daher erst mit dem Zwölfuhrzug und stiegen im Hotel L…g ab, das wir stets bei einem Aufenthalte in Dresden bezogen hatten. Wenige Monate vorher, bei Gelegenheit der Unterhandlungen mit dem sächsischen Ministerium über die Auslieferung von Vaters Leiche, war meine Mutter hier gewesen; um so mehr mußte ihr der Wechsel in der Person des Wirthes auffallen, der sich bei der freundlichen Theilnahme des frühern Besitzers sehr fühlbar machte. Indessen Zeit zu Fragen war nicht gegeben – der Hotelwagen, der uns zur Gräfin bringen sollte, war vorgefahren.

In einer halben Stunde hatten wir die ersten Häuser von Plauen erreicht. Einen Steinwurf weiter, rechts von der Landstraße, tauchte ein gelbangestrichenes, einstöckiges, vielfensteriges Haus auf, das wohl nur bei einer so höflichen Bevölkerung, wie der Sachsens, sich den stolzen Namen „das Schloß“ erobern konnte. Als der Wagen vor dem Hausthor hielt, dessen angrenzendes Spalier in einen geräumigen Hofraum blicken ließ, war der Totaleindruck der gräflichen Behausung, soweit sie sich von außen beurtheilen ließ, nichts weniger als einladend. Alle Fenster des Hauses waren durch verschossene grün-gelbliche Läden dicht verschlossen und die paar im Erdgeschoß dem Lichte zugänglichen dicht verhangen.

Als der Wagen davoneilte, standen wir frierend in dem rauhen Winde vor dem Thore, das sich dem Klingeln der Mutter nicht öffnen wollte, bis endlich am Parterrefenster hastig ein runzliges Gesicht hinter dem Vorhang hervorhuschte und dann ebenso plötzlich wieder verschwand. Erst geraume Zeit später erschien dieses

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_022.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)