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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Thaler in der schonendsten Weise, dann lockt sie Sie als Leidensschwester an sich, dann mit expressen Boten, bis sie Sie sicher im Netz hat.“

„Das klingt ja entsetzlich, Verehrter!“ entgegnete lächelnd meine Mutter. „Was denken Sie denn, daß die Gräfin mit uns vorhat?“

„Ja, wenn ich das wüßte, würde ich mit der Hülfe des Gerichtes, nicht mit meiner schwachen Einsicht zu Ihnen reden. Aber bitte, sprechen Sie, ist Ihnen denn bisher gar nichts Verdächtiges an ihr aufgefallen?“

Die Mutter recapitulirte rasch jedes irgendwie verdächtige Wort der Gräfin, als sie der Wirth unterbrach:

„Fragen Sie sie doch einmal, wohin ihre beiden Männer gekommen sind, die so plötzlich starben, fragen Sie sie einmal, beste Frau. Die Leute hier draußen erzählen, sie sei schon auf Tod und Leben angeklagt gewesen und der Proceß plötzlich niedergeschlagen worden durch hohe Verwandte in Rußland, und seither müsse sie etwas um den Hals tragen – doch das mag Alles hinzugedichtet sein. Fragen Sie sie einmal, ob sie nicht zu dem ver– Jesuitenorden gehöre, – Gott verzeihe mir meine Sünden! – und ihr der Orden ihre Tracht, ihr Kloster, Geißelung und all den Firlefanz auferlegt hat zur Sühne. Und sehen Sie, beste Frau, da will mir der Gedanke nicht aus dem Kopfe, der mir gleich hineinschoß, als ich Ihrer ansichtig wurde, ob sie nicht mit Ihnen oder Ihren lieben Kindern etwas Teuflisches vorhat, um ihre Buße schneller abzuquirlen. Deshalb, beste Frau Blum, gehen Sie nicht zurück, bleiben Sie unter meinem Dache!“

„Selbst wenn Alles wahr wäre, was Sie sagen, verehrter Freund – das geht nicht!“ entgegnete meine Mutter.

„Nicht? So hören Sie noch Eines! Ich sehe oft vornehme Herren von Dresden hier, und da habe ich zufällig auch erfahren, daß die Gräfin Briefe wechselt, wissen Sie mit wem?“

„Nun?“

„Mit Windischgrätz, Frau Blum!“

„Nun, wenn auch das noch wahr wäre, was wir ja Beide nicht ohne Weiteres annehmen können, so könnten wir doch nicht hier bleiben. Mein Töchterchen ist noch im Hause der Kielmansegge. Wenn ich der Gräfin Wunsch befolgen könnte und wollte,“ setzte sie lächelnd hinzu, „so müßte ich sie ihr auf immer lassen.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte er wirklich ängstlich.

„Die Gräfin, die Sie so sehr zu fürchten scheinen, hat mich auf’s Dringendste gebeten, meine Tochter ihr zur Erziehung zu überlassen.“

„Frau Blum! Um Gotteswillen …“

„Sie können sich wohl denken, daß ich unter keinen Umständen Ja sagen würde.“

„Gewiß, ich werde also Ihr Töchterchen holen lassen.“

„Nein, werthester Freund, lassen Sie das! Meine Kinder und ich werden diese Nacht noch in ihrem Hause schlafen, und verlassen sie ohnehin schon morgen. Ich habe keine Furcht, selbst wenn all das wahr wäre oder wahr ist, was Sie mir sagten. An offene Gewalt kann und wird sie nicht denken, und gegen etwaige List und Ränke werde ich, Dank Ihrer freundlichen Warnung, gewaffnet sein. Nun, seien Sie unbesorgt!“

Sie reichte ihm die Hand und wandte sich nach oben, während er ihr besorgt und kopfschüttelnd die Thür öffnete.

(Schluß folgt.)



Erinnerungen an Heinrich Heine.
Von Heinrich Laube.


II.

Mit welchem Stolze würde es Heine erfüllen, hätte er die Anerkennung erlebt, welche die Franzosen seinem Einflusse zu Theil werden ließen! Damals (1839) nach neunjährigem Aufenthalte in Paris war er wohl schon mit allen notablen Autoren Frankreichs bekannt, mit einigen auch befreundet. Aber die Bekanntschaft und Freundschaft war doch noch eine unsichere. Heine kannte sie, sie aber vermutheten nur, ihn zu kennen. Deutsch verstand natürlich keiner, und die Bruchstücke von Uebersetzungen Heine’scher Schriften waren eben nur Bruchstücke. Sie flößten Respect ein und weckten die Ahnung von einem sehr eigenthümlichen, geistig sehr überlegenen Poeten, dessen ganzer Umriß noch in Nebel zerrann. Erst in den fünfziger Jahren, als Heine auf traurigem Siechbette die Übersetzung seiner Schriften in’s Französische mit eben solcher Sorgfalt und Genauigkeit betrieb, wie er die kleinen stachligen Verszeilen seiner Gedichte zehnmal zu redigiren strebte, erst da bildete sich die Heine’sche Gestalt in festen Umrissen aus vor den aufmerksamen Franzosen, erst da begann sein deutlicher Einfluß auf junge französische Autoren, welchen Veuillot in den sechziger Jahren so ärgerlich kennzeichnen mochte als antikirchlich und verderblich.

Die älteren Schriftsteller, mit denen Heine damals befreundet oder wenigstens bekannt war, verkehrten sehr zuvorkommend mit ihm und sehr artig. Ich konnte die Nuancen dieses Verkehrs studiren, denn Heine nahm sich die Mühe, mich mit den meisten derselben persönlich bekannt zu machen. Nicht in Gesellschaften, wo man eben nur vorgestellt wird, sondern indem er mich zu ihnen in’s Haus führte. Dies ist in Frankreich nicht leicht, der französische Schriftsteller ist sehr karg mit seiner Zeit, und namentlich Ausländer interessiren ihn herzlich wenig. Einer Heine’schen Anfrage aber zeigten sie sich alle zugänglich, selbst Victor Hugo, dessen Schwulst und Bombast dem Spotte Heine’s näher lagen als der Verehrung. So lange die gegenseitige Abneigung nicht schriftlich und grell manifestirt worden, verdecken die französischen Autoren die inneren Antipathien recht geflissentlich und zeigen sich freundlichst als Männer von Welt, die Höflichkeit einschiebend als einen Wall von Blumen. Davon hatte auch Heine viel mehr gelernt, als ich ihm zugetraut, und sein artiger Umgang mit französischen Poeten, deren Poesien ihm gar nicht zusagten, verrieth keinen Zug des rücksichtslosen deutschen Schriftstellers. Nur gegen den deutschen Landsmann, gegen mich, verleugnete er bei diesen Besuchen nicht immer die heimathliche Art. Bei Alfred de Vigny zum Beispiele, der mit einer recht langweiligen, dicken Engländerin verheirathet war, überantwortete er mich unbarmherzig dieser Ehehälfte und unterhielt sich abgesondert mit de Vigny. Glücklicherweise kam mir dieser selbst, ein feiner, etwas melancholischer Cavalier, endlich zu Hülfe, Heine aber lachte wie ein Straßenjunge der „Reisebilder“, als wir herauskamen und ich ihn ernstlichst versicherte: es sei mir weniger um die Bekanntschaft dieser gewiß sehr braven Engländerin zu thun gewesen. „Sehr brav!“ fügte er seinem Lachen hinzu, „und de Vigny ist sehr dankbar, wenn ihm die Kosten häuslicher Unterhaltung eine Weile abgenommen werden.“

Am vertrautesten war er mit Jules Janin, Alexander Dumas Vater und Gautier. Ihnen ergänzte er durch mündliche Unterhaltung, was sie aus seinen unverständlichen deutschen Schriften nicht erfuhren – den witzigen Geist. Er sprach gerade nicht besonders gut französisch, weil er in guter Stimmung und bei frischem Gedächtniß sein mußte, wenn die fremde Sprache ihm leicht fließen sollte, aber er sprach charakteristisch. Wie er sich im Deutschen immer genau die überraschenden und treffenden Ausdrücke hervor suchte, so hatte er sich auch im Französischen vorbereitet. Der schlagende Ausdruck war ein immerwährendes Studium Heine’s. Tagelang prüfte und fragte er: wie drückt man diesen Begriff, wie drückt man dieses Wort am besten im Französischen aus? „Ich hab’s!“ – rief er eines Tages bei mir eintretend – „ich hab’s! Les élèves de Charles! muß man Carlsschüler übersetzen.“ Mit dieser simplen Entdeckung hatte er sich tagelang beschäftigt. Aber gerade dadurch war er eindrucksvoll auf die Franzosen. Die Ausfüll-Phrasen wurden gleichgültig, weil die entscheidenden Punkte trefflich zum Vorschein kamen. Er war ihnen wie ein Gesicht, von welchem man nur die prächtigen Augen sieht und beachtet.

Uebrigens war er in guter Stimmung vollkommen befähigt, ein inhaltsvolles Gespräch mit den begabtesten Franzosen so zu führen, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_024.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)