Seite:Die Gartenlaube (1868) 025.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

er ganz wie Ihresgleichen erschien. Bei einem Morgenbesuche habe ich das einmal erfahren, zu welchem uns George Sand annahm, obwohl sie eben erst aus dem Bette aufgestanden war. Sein Verhältniß zu ihr war ein sehr freundschaftliches. Sie war Heine’s frivolen Wendungen fremd, aber sie hatte doch Achtung vor seinem Geiste. Es fanden sich zu diesem Lever allmählich recht verschiedene, aber lauter interessante Personen ein: der Musiker Chopin, damals Günstling der Sand, der Schauspieler Boccage, ein geistvoller Mann, ein Rochefoucauld (Sosthène) mit Traditionsgedanken des französischen Adels, und endlich Lamennais. Zwischen ihm und der Sand gab es ein inneres Bündniß religiösen Sinnes. Er übersah ihre sinnlichen Bedürfnisse, sie übersah seine kirchlichen Anknüpfungen und Wünsche. Das ehrliche, religiöse Herz war ihnen gemeinschaftlich, ihr beiderseitiges Verhältniß zu Heine war der freie Geist, welchen ihm Beide zutrauten und welchen Heine an jenem Morgen gegen Lamennais fast mißbrauchte – zu meinem Erstaunen mißbrauchen konnte, denn es gehörte dazu eine volle Beherrschung der französischen Sprache. Er hatte mir zugeflüstert, daß Lamennais einmal nahe daran gewesen, Papst werden zu können, und daß es den gesellig schüchternen Mann in Verlegenheit setzen werde, wenn das Gespräch nach dieser Richtung hin geleitet würde. Dies that Heine, und zwar in den mannigfaltigsten sarkastischsten Wendungen. An jenem Morgen sprach er französisch, wie ich es nie wieder von ihm gehört; ein Beweis, wie sehr er Mensch der Stimmung war und wie viel Vorbereitetes in ihm zerstreut lag, was bei erhöhter Stimmung zu einer mächtigen Wirkung gesammelt werden konnte.

Im Grunde war es mit seiner deutschen Rede nicht viel anders. Kopfweh war seine immer wiederkehrende Noth. Er glich oft einer hysterischen Frau, die ewige Krisen in Migräne durchmacht. Da sprach er dann abgebrochen und wüst, die Sätze nur halb fertig, die nothwendigsten Worte oft mühsam suchend. Man meinte, eine verdrießliche Unfähigkeit vor sich zu haben. Hunderten von deutschen Besuchern hat er damit den widerwärtigsten Eindruck gemacht, denn Geringschätzung Anderer, Ungezogenheit vielfältigster Art fehlten selten dabei; wohl aber fehlte Alles, was man human nennt. Und derselbe Mensch war in der nächsten Stunde ein ganz anderer. Körperlich wohler und gut angeregt von den Gegenständen des Gesprächs, oder auch nur von den Sprechenden, denen er schmeicheln oder die er bekämpfen wollte, entwickelte er eine Suada voll Inhalt, Raschheit und Lebendigkeit.

Seine Stimme war Tenor, weich und angenehm, wenn er guter Laune war. Er konnte dann fein schmeicheln und so liebenswürdig sein, wie er’s mit Franzosen war, auch mit denen, die ihm gleichgültig waren. Sein Auge war nicht groß, aber sehr fein. Es schloß sich auch noch zur Hälfte, wenn sein Antlitz in Bewegung gerieth. Trotzdem war es sehr beredt, und besonders für alles Schalkhafte und Schlimme äußerst hülfreich. Ebenso sein Mund, welcher die abwechselnden Stimmungen treulich begleitete. Er spielte eine große Rolle im Gesicht, da Heine immer sauber und vollständig rasirt war. Ich habe ihn nie mit einem Barte gesehen. Sein länglich volles Gesicht war von zartem Teint und wohlgefärbt, das weiche Haar blondbraun, die Nase leicht gebogen und gut geformt, Stirn und Kinn kräftig. Der ganze Kopf, reich ausgebildet, trat Einem entgegen wie der Kopf eines sinnlichen Weltgeistlichen, oder auch wie der eines hinterhältigen Diplomaten, welcher geneigt ist, die wichtigsten Dinge rasch und beiläufig abzufertigen. Dieser Kopf saß auf einem kurzen Halse und auf einem mittelgroßen Körper, welcher wohlgenährt, ganz ohne Taille und von weißem, schönem Fleische war. Seine Hände namentlich waren weiß und fleischig. Nichts an ihm – vielleicht der etwas platte Fuß ausgenommen – erinnerte an den Typus der jüdischen Race. Er erschien immer sauber, auch wenn er sich vernachlässigte, und trug feine Wäsche. Ueberhaupt war in seinen Bewegungen etwas Weiches und Geschmeidiges, so daß man auf den Gedanken kam, er habe viel mit Frauen verkehrt. Das war denn auch so. Eine große sinnliche Reizbarkeit hat ihn durch’s ganze Leben begleitet, und ihr hat er nachgegeben bis zur Schwäche, bis zur Schwächung seines Lebensmarks. Die grimmige Krankheit, welche schon 1846 begann und ihn ein ganzes Jahrzehnt zu Tode gepeinigt hat, ist von einer Beschädigung des Rückenmarks ausgegangen und hat keine Heilung zugelassen.

1839 und 1840, die Zeit, während welcher ich fast ein Jahr persönlich mit ihm verkehrt, war noch frei von jeder schweren körperlichen Sorge. Er war glücklich und heiter, soweit er dies eben sein konnte bei einem Wesen, welches für seine Sicherheit und seinen Ruhm Tag und Nacht sorgen zu müssen glaubte, welches der Mehrzahl gebildeter Menschen schlechte Absichten und tief angelegte Intriguen zutraute. Er hatte etwas von einem Raubthier, das ununterbrochen auf der Hut ist, und hierin am meisten zeigte sich seine Herkunft von einem verfolgten Geschlechte. Wenn ich ihn mahnte, diese Unruhe doch endlich einmal aufzugeben, dann rief er halb grimmig, halb komisch: „Wie kann ich aus meiner Haut, die aus Palästina stammt, und welche von den Christen gegerbt wird seit achtzehnhundert Jahren! Das Taufwasser von Langensalza hat daran nichts verbessert, und der Ausdruck ,ewiger Jude’ hat tausendfache Bedeutung!“

Um diese Zeit – 1839 – hatte er ein Liebesverhältniß zu einem Eheverhältnisse erhoben. Das heißt im Pariser Sinne, welcher dazu weder Zeugen noch Autoritäten in Anspruch nimmt und trotz dieser fehlenden Bestätigung zu den Pflichten der Monogamie sich bekennt. Er stellte ein junges, stattliches Mädchen als seine junge Frau vor. Sie war eine volle Figur mit heiterem runden Antlitz und von angenehmem Wesen. Heine hatte die größte Freude an ihrem naiven fröhlichen Naturell und hat diese Freude an ihr nie verloren. Stets, bis zu seinem letzten Athemzuge, hat er sich glücklich gepriesen in ihrem Besitze, und er selbst hatte immer etwas Naives und Kindliches, wenn er von ihr erzählte und sie schilderte. In keinem andern Verhältnisse habe ich ihn so viel kleine liebenswürdige Züge und Wendungen enthüllen sehen, welche aus seinen besten Gedichten mit Kindesaugen hervorblicken.

Er war durchaus lieb und gut und fein und liebenswürdig mit seiner sogenannten „kleinen Frau“. Daß sie nichts von seinen Schriften verstand, war für ihn ein Triumph. „Sie liebt mich persönlichst, und die Kritik hat dabei gar nichts zu thun!“ rief er vergnügt. In der That war das sehr drollig, wenn sie fragte, ob es denn wahr wäre, daß ihr Henri ein berühmter Dichter sei? Sie fand das sehr anmuthig und wollte mit der Zeit auch Deutsch lernen. Ich erinnere mich nicht, daß ihr diese Zeit gekommen wäre. Heine war aber doch darauf bedacht, sie auch systematisch in Kenntnissen und Bildung weiter zu bringen: er gab sie in ein Pensionat und besuchte sie nur Sonntags. Eines Sonntags nahm er uns mit. Die jungen Pensionärinnen hätten einen kleinen Ball, und wir sollten seine „kleine Frau“ tanzen sehen. Sie war bei Weitem die größte unter allen, tanzte aber zum Entzücken ihres Mannes mädchenhaft und graziös, wie der kleinste Backfisch. Wie glücklich war er damals, wie unbefangen im Zauberkreise der Neigung! Jede Stufe der fortschreitenden Schulbildung gab ihm Stoff zu lustigen Betrachtungen, besonders in Geographie und Geschichte. Daß sie die Reihe der ägyptischen Könige jetzt besser auswendig wußte, als er selbst, und daß sie ihn belehrt habe über den wunderlichen Vorfall mit der wollespinnenden Lucretia, das fand er reizend über die Maßen.

In so behaglicher Epoche seines Lebens hatte er das polemische Buch über Börne geschrieben, treu seiner innersten Natur, immer auf dem Kriegsfuße zu bleiben und für jede Stunde sich eines siegreichen Feldzugs fähig zu erweisen. Lächelnd gab er mir das Manuscript und war sehr erstaunt ob meiner Bestürzung. Ich war aus tausend Gründen dagegen. Zunächst aus strategischen im Sinne der liberalen Operationsarmee. Wozu diesen Zwiespalt der liberalen Kräfte enthüllen und erweitern?! Ganz ohne Noth und Zwang. Alsdann aus literarischen Gründen. Ich suchte ihm auseinander zu setzen, wie tief der Unterschied sei zwischen ihm und Börne, der Unterschied der Aufgaben und Fähigkeiten; daß Börne einen Parteikampf zu führen gehabt und mit scharfem Talente, mit unleugbarer Bravour geführt; daß Heine dagegen größere Fähigkeiten, größere Aufgaben zu lösen habe. Das Schicksal des Menschen, nicht blos das Schicksal des Staatsbürgers, sei ihm überantwortet für sein Talent und seinen Geist. Heine verleugne seinen weiteren Beruf, wenn er ohne dringende Nöthigung ein Duell aufführe wegen persönlicher Differenzen in untergeordneten Dingen.

Es war umsonst. Der Trieb nach persönlicher Rache, oder wenigstens nach persönlicher Genugthuung, war zu stark in Heine’s Naturell. „Aug’ um Auge, Zahn um Zahn“, war jüdisch-biblisch tief eingeprägt in sein Wesen. – „Nun denn,“ schloß ich nach tagelangen Debatten, „wenn Du also dem Gelüste absolut nicht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_025.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)