Seite:Die Gartenlaube (1868) 028.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

großer Kräfte mag man rechten, die großen Kräfte kann man nicht hinwegleugnen und die großen Kräfte erzwingen sich stets einen ersten Platz.

Heinrich Heine hat eine Epoche gebildet in unserer poetischen Literatur, und zwar eine solche, welche durch neue Motive in der literarischen Kunst großen Einfluß, große Wandelungen mit sich gebracht. Sein Name ist dadurch unauslöschlich geworden in unserer Literatur. Warum sagst Du nicht unsterblich? höre ich ihn rufen. – Ich antworte : Ueberlaß das der Nachwelt, eitler Dämon!




Drei unvergeßliche Herbsttage.
Erinnerungen an das Wartburgfest-Jubiläum von einem Mitjubilar.

Burschenschaft, Wartburgfest und Schwarz-roth-gold werden in der Geschichte Deutschlands ewig jugendfrische Zeugen bleiben von der Sehnsucht, welche den edelsten Theil des deutschen Volks ein halbes Jahrhundert lang nach einem Vaterland erfüllte. Es bleibt Geschichte, daß in Deutschland es eine Zeit gab, wo nur noch der Jünglingsmuth an die Möglichkeit eines Vaterlandes zu denken wagte; es bleibt Geschichte, daß die Jünglinge für diesen Gedanken wie gemeine Verbrecher behandelt worden sind; es bleibt Geschichte, daß von dieser Jugend der nationale Gedanke erst in’s Volk getragen wurde und daß dieses Volk, als ein Sturm von außen ihm die Macht der Selbstbestimmung verlieh, die Fahne der Burschenschaft zur deutschen Fahne erhob. Diese volksgeschichtliche Weihe verleiht den burschenschaftlichen Erinnerungsfesten mit der höheren Bedeutung zugleich den eigentümlichen Geist, welcher Jugendfrische und Altersehrfurcht in erhebender Verschmelzung zeigt. Darum hat sich denselben die Theilnahme der Vaterlandsfreunde allezeit zugewandt, und eben darum sind wir überzeugt, daß auch unser etwas verspäteter Rückblick auf das im October des nun vergangenen Jahres gefeierte Jubiläum des Wartburgfestes, dessen Schilderung wir der Feder eines der Alten verdanken, nicht blos bei den Burschenschaftsgenossen in der Ferne, sondern in Deutschland selbst noch immer freundliche Aufnahme finden werde.

D. Red.

Wer den siebzigsten Geburtstag nicht blos von Voß gelesen, sondern selbst hinter sich hat, muß mit seinen Festen sparsam umgehen. Das habe ich gethan. Seit Jahren habe ich das letzte Wiedersehen meiner Burschenschaftsgenossen zu meinem letzten Lebensfeste bestimmt, und Gott hat es mir verliehen, daß ich es erlebte und gesund und froh überstand, ja, daß mir sogar noch durch Vermittelung eines der Gartenlaube nahestehenden Mitfestgenossen der Auftrag zu Theil wurde, meine Festerinnerungen in diesem Blatte zu veröffentlichen.

Ich übergehe die stillbeglückenden Vorfeststunden der Reise, die seit vielen Jahren wieder mein erster weiterer Ausflug war. Hatte ich doch selbst keines der großen Jubelfeste in Jena besuchen können. Ich war fünfzig Jahre älter geworden und hatte keinen meiner Jugendgenossen von der Burschenschaft wiedergesehen, nicht einmal meinen liebsten Freund. Deshalb bewegte mich fortwährend die Frage: Ob wohl Einer Dich wieder erkennt? Mit klopfendem Herzen fuhr ich am Nachmittag des 17. October in Eisenach ein und an demselben Rautenkranz vor, wo auch vor fünfzig Jahren der Festausschuß seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Gruppen von Festgenossen wandelten akademisch frei in den fahnengeschmückten Straßen und auf dem Markte umher. Ich eilte in den Saal des Festcomité, – auch da Gewoge durcheinander, – nahm mein Festzeichen, eine schwarz-roth-goldene Schleife, in Empfang, ward allerdings als Jubilar mit Auszeichnung begrüßt, aber nur von jüngeren Männern, die ich nicht kannte.[1] Da setzte ich mir einen Stuhl neben den Comitétisch, entschlossen, nun meine geheime Wiedersehensfeier zu beginnen. Nannte doch jeder Ankömmling seinen Namen für die Präsenzliste; wie konnte mir da Einer meiner Freunde entgehen? – O, wurden das wehmuthvolle Augenblicke! Wohl trat zwischen den Schaaren der Jünglinge im Alter des blühendsten Glücks und der Männer in jeder Schattirung der Haare, auch Dieser und Jener heran – ach, wie traurig einzeln! – von den „Wartburgfestjubilaren“, – ich hielt das Herz fest, um nicht aufzuspringen, – ich suchte in den Gesichtern die Züge der Jugend, aber vergeblich, – und eben so vergeblich wartete ich auf eine Wiedererkennungs-, eine Begrüßungsfreude. Ja, fünfzig Jahre machen alt! – Ich war nahe daran, mich vom Gefühl der Verbitterung übermannen zu lassen, – Da kam Der, den ich am sehnlichsten erwartet, mit dem ich so oft in einem Bette geschlafen, aus einem Becher getrunken hatte, – und auch Er ließ mich sitzen!

„Karl,“ rief ich aufspringend, „auch Du kennst mich nicht mehr?“ ich nannte mit zitternder Hast meinen Namen, und wir lagen uns in den Armen – lange, lange. Dann betrachteten wir unsere Gesichter mit deutscher Gründlichkeit.

„Wohin sind Deine schönen braunen Locken gekommen?“

„Sie sind denselben Weg wie Dein blondes Bärtchen gegangen.“

„Nichts ist treu geblieben, als die Augen.“

„Und das Herz, Alter, das Herz!“

„Nun rasch fort, hinaus in’s Freie!“ – Wir Zwei hielten uns fest, Arm in Arm geschlungen, wie ein Paar Jünglinge in der ersten Freundschaftsverliebtheit, und so gingen wir von dannen. Draußen sahen wir mehr solcher Pärchen und Grüppchen, alle stillwonnig daran, gegenseitig rückwärts zu blättern in den Bilderbüchern ihres Lebens.

Nach köstlichen Wiedersehensfeierstunden eilten wir in den Erholungssaal zum Fest-Kneibabend! Jetzt begann mein stiller Triumph über meine Mitjubilare: ich konnte sie mit dem Namen anrufen und stolz fragen: „Und wer bin ich?“ O welch’ herrliches Umarmen, wie uralte Lippen preßten da aufeinander! Ich konnte nun das Häuflein der Unseren übersehen: nicht viel über Fünfzehn der Fünfhundert von 1817 brachte ich zusammen! Nur das rüstige und stattliche Aussehen der Meisten tröstete Mich über ihre geringe Zahl. Da saß mein alter Gabler, jetzt Superintendent in Dornburg, Hörschelmann, Superintendent in Schloß Tonndorf, Anacker, Superintendent in Uelleben bei Gotha, die Eisenacher Pfarrer Friderici und Appellationsgerichtsrath Schmidt, die Jenenser Archidiaconus Klopfleisch und Schüler, der Oberappellationsgerichtsrath und tapfere Volksvertreter in Parlament und Landtag, die Oekonomen Huschke von Zwätzen und Sturm von Cella, die Pommern Pastor Loholm von Sanzkow und Professor Zober von Stralsund, und dort wieder Trainer, Advocat in Triptis, und mein treuer Franke, Oberlehrer in Mühlhausen, und noch drei geistliche Herren, Walch, Archidiaconus in Salzungen, Klapproth, Pfarrer in Tüngeda, und unser ehrwürdiger Cotta, Pastor in Willerstedt bei Weimar, der uns als Student mit der ersten Composition von Arndt’s „deutschem Vaterland“ erfreute, nun Mitglied des Wartburgfestcomité und heute unser Kneipwart war. Außer den eigentlichen Jubilaren waren noch andere alte Herren da, welche erst nach 1817 die Universität bezogen hatten, wie Naundorf aus Leipzig, Hofbaurath Demmler aus Schwerin, Weißenborn, Frenzel, Venus und Heym aus Eisenach, Krüger aus Schenkenberg, die Pfarrer Rasch von Thal und Busch von Moosbach, Professor Guericke von Halle, Dr. Buff von Nidda, Amtmann Oehlmann aus Köthen, Dr. Lommel aus Nürnberg etc.; jetzt war’s schwer zu unterscheiden, wer von ihnen damals bemoostes Haupt oder Fuchs gewesen.

Im Saale herrschte Commers-Ordnung, ein Dutzend Jenenser Burschen in Festwichs, mit Baretten, Schärpen und Schlägern besetzten

  1. Das Festcomité bestand aus dem Wartburgsjubilar Pastor Cotta, der bei meiner Ankunft seinen Platz noch nicht eingenommen hatte, Dr. Friedrich Hofmann aus Leipzig und Dr. Robert Keil aus Weimar, deren energischem Zusammenwirken wir die Durchführung des Festes verdanken, ferner Keil’s Bruder, Dr. Richard Keil aus Apolda, und dem Diaconus U. R. Schmid aus Lobeda bei Jena. Von den nöthigsten geistigen Festarbeiten hatte Schmid die Begrüßung am Kneipabend, Cotta die Begrüßung auf der Wartburg, Hofmann das Festlied und Robert Keil die Feuerrede übernormnen. Uebrigens wird in diesen Tagen eine alle Reden, Gedichte und Zuschriften enthaltende ausführliche Beschreibung unseres Festes von Dr. Robert Keil erscheinen, für deren Erlös dem wackeren Scheidler ein Grabdenkmal im Gottesacker zu Jena errichtet werden soll.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_028.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)