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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

die Enden der langen Tafeln, „Ad loca!“ und „Silentium!“ wurden respectirt. Aber – soll ich hier einen Kneipabend beschreiben? Das Aeußerliche eines solchen weiß doch Keiner zu schätzen, der nicht den Pietätswerth des eigenen Jugendgefühls dazu legen kann. Und heute wär’s ein Kneipabend, zu welchem die Burschenschafter eines halben Jahrhunderts aus allen Gauen des Vaterlandes zusammengekommen waren und wo Geister der verschiedensten politischen und religiösen Richtung zusammentrafen, die Alle aber ein Herzenswunsch zu Brüdern macht, der Wunsch und das Ziel: Heil, Heil dem deutschen Vaterland!

Wir Jubilare hatten für den Festzug den Schwert- und Fahnenträger und deren Begleiter aus unserer Mitte zu wählen. Das Geschäft war rasch abgethan: wer war würdiger, das Ehrenschwert der Burschenschaft zu tragen, als derjenige, welcher gestern vor vierundfünfzig Jahren - auf dem Schlachtfeld von Möckern das Schwert für’s Vaterland geführt und sich das eiserne Kreuz erkämpft hatte, der Pastor Loholm, genannt, der alte Husar? Die Burschenfahne aber erhielt Oekonomierath Sturm, und mit Recht, denn eine Sturmfahne ist sie allezeit in Deutschland gewesen.

Gespräche, Gesänge und Reden füllten den Abend sicherlich für Alle zu gleichem Genuß aus; nur was uns Alten sehr am Herzen lag, wie vor fünfzig Jahren uns auch auf diesem Wartburgfest der Versöhnung und Vereinigung der jetzt so vielgetheilten Burschenschaft zu erfreuen, mißlang. Die Jugend gehört eben einer anderen Zeit an und hat sich in ihrer Weise auf die Kämpfe vorzubereiten, die wir nicht mehr erleben. Möge sie nur ihre Schuldigkeit so treu thun, wie wir die unsere gethan haben!

Wie ein Freudenschuß wirkte plötzlich auf die Versammlung, ein großherzogliches Telegramm von Weimar, welches dem Feste die Wartburg öffnete und dem Commandanten derselben (Obristlieutenant v. Arnswald), fröhliche Feier wünschend, die Begrüßung der Ankommenden auftrug. Die Freudigkeit der Geister wurde dadurch bedeutend belebt und die akademische Lust schwamm auf immer Höheren Wogen, unsere müden Köpfe bedurften aber der Ruhe, und so schlich ich mit meinem Freunde still von dannen.

Wir thaten einen langen kräftigen Schlaf und stiegen am Hauptfestmorgen zum Markt hernieder, als es schon auf ihm von Volk und Festgenossen, wogte. Und wieder frischten hundert „Gutmorgen“ und Handdrücke des Herzens Lust an. Es ging lange bunt durcheinander, bis- endlich um uns Alte die übrigen Festgenossen einen Kreis bildeten. Aus dem Rautenkranz zogen, von Robert Keil geführt, Loholm mit dem Schwert, Sturm mit der Fahne und die chargirten Studenten in Festwichs zu uns her. Nun harrten wir der Dinge, die da kommen sollten. Und siehe, da öffnete sich nach der Karlsstraße neben dem Rathhause hin ein Spalier, die Musik erhob einen Tusch und heran schwebte, geführt von Friedrich Hofmann, eine Schaar Jungfrauen in weißen Gewändern, mit Epheu das Haar und mit schwarz-roth-goldnen Schärpen die Brust geschmückt und mit Eichenkränzen in den Händen. Und gerade vor den alten Husaren hin trat eine hohe schöne Jungfrau und sprach laut und klar:

„Gestattet uns, ehrwürd’ge Greise,
Daß wir dem Dank des Vaterlands
Gestalt verleih’n in uns’rer Weise:
Euch schmücke heut’ ein deutscher Kranz!

Ein Kranz von unsern Wartburgeichen,
Für deutsche Treue, deutsche Kraft
Das schönste Männerehrenzeichen
Euch Vätern uns’rer Burschenschaft!“

Dann wand sie einen Kranz um seinen Hut und einen andern um den Schwertgriff; ebenso wurden gleicher Zeit Sturm und die Fahne geschmückt. Und nun entfaltete sich der weiße Zug und flatterte zu uns heran, wie Frühlingsblüthen auf morsche Stämme, wie ein Friedenstaubenflug zu grauköpfigen Adlern. O, wie da junge und alte Augen selig in einander strahlten in Rührung und Dank! Wie mußte Der sich freuen, in dessen Kopf der schöne Gedanke entsprungen war!

Als die Jungfrau, die mir einen prächtigen Eichenkranz um meinen Hut befestigt hatte, in die Reihe der Uebrigen trat und ich mich nun umschaute, lachten schon all’ die alten Gesichter meiner Genossen unter dem grünen Schmuck und, einzelne der Festjungfrauen suchten für die übrig gebliebenen Kränze noch würdige Häupter. Bescheiden am Rand des Kreises stand ein hoher Mann mit grauem Bart; kaum hatte eine der Jungfrauen erfahren, daß dies ein blinder Dichter, Ludwig Wucke von Salzungen, sei, so eilte sie zu ihm und setzte ihm den Kranz auf’s Haupt. „Ach, wenn ich Das sehen könnte!“ rief der arme Beglückte aus. Noch andere anwesende Poeten, wie Müller von der Werra, von dem am Abend beim Commers „ein neues Wartburglied“ gesungen wurde, und der Rothenburger Einsiedler (Fr. Beyer von Kelbra), wurden geschmückt und schließlich erhielten auch die Comité-Mitglieder die wohlverdiente Auszeichnung.

Der Zug vom Markt durch die Stadt und zur Wartburg hinauf war ein Glanzstück des Festes; wir von den Festjungfrauen geführten und begleiteten Grauköpfe fühlten uns so munter, daß, uns der Uebermuth trieb, steil bergauf manches alte Leiblied anzustimmen. Und mit dem Herzen schwelgte das Auge, jemehr rings um uns Thüringen seine Berg- und Wälderpracht entfaltete.

Es war elf Uhr vorüber, als die Spitze des Zuges das Thor erreichte und dort, auf den gestern Abend telegraphisch ausgesprochenen Wunsch des Großherzogs von Weimar, vom Commandanten mit feierlicher Begrüßung, von der Wachtmannschaft mit präsentirtem Gewehr empfangen wurde. Im Burghof entfaltete sich ein schönes Bild. Während sämmtliche jüngere Festgenossen der Freitreppe des Landgrafenschlosses gegenüber eine halbkreisförmige Gruppe bildeten, hatten wir Jubilare uns unter die Halle der Freitreppe, die Jungfrauen unter die Hallen zur Rechten davon zurückgezogen, zur freien Höhe der Treppe aber stiegen die beiden Festredner hinauf, denen zur Rechten Loholm mit dem Schwert, zur Linken Sturm mit der Fahne, Beide hinter sich ihre jugendlichen Begleiter in akademischem Festschmuck, sich aufstellten.

Der Festact war einfach, aber gediegen. Luther’s „feste Burg“ eröffnete ihn, Cotta’s herzige Begrüßung des Thüringer Landes, der Lutherburg, der Burschenfahne, „des edlen Kleinods einer hehren, großen Zeit“, und Hörschelmann’s kernige Rede, die den treuen Kampf der alten Burschenschaft für „Freiheit, Ehre und Vaterland“ vor den Augen der Jugend als mahnendes Vorbild erhob, unerschrocken der Wahrheit und der auf Wahrheit gegründeten Volksveredelung und Volksbefreiung zu dienen, bildeten den erhebenden Mittelpunkt, und Fr. Hofmann’s „Wartburgfestlied“ schloß ihn und gab ihm durch den Wechselgesang zwischen den Alten und Jungen eine an die Stätte des Sängerkriegs sinnig erinnernde dichterische Weihe.

Als ob die Natur sich unserer Gemüthsstimmung freundlich anschließen wolle, zogen wir unter nun heiterem Himmel zur Stadt zurück. Auf dem Markte löste der Festzug sich auf, wir bedurften, nach der ungewohnten Anstrengung und Aufregung, der leiblichen Stärkung und geistigen Ruhe, um mit Leib und Seele wieder für den Zug zum Festfeuer gerüstet zu sein. Mein alter Freund wich nicht von meiner Seite.

Um fünf Uhr bestiegen wir einen der für uns zur Fahrt auf den Wadenberg bestimmten Wagen und langten mit einbrechender Finsterniß auf der Höhe an. Wiederum eine geschichtliche Stätte. Hier hatten wir vor fünfzig Jahren Luther’s Bullenverbrennung nachgeahmt und dadurch die Rache aller Lichtscheuen und Deutschfeindlichen auf uns gezogen. Sie Alle sind von der Zeit beseitigt und von der Nation vergessen; wir aber standen hier vor dem Jubelfeuer mit den alten patriotischen Grundsätzen und neuen Hoffnungen ihres völligen Sieges in der deutschen Zukunft. Und das sprach in herrlichen Worten Robert Keil, der Feuerredner, aus, nachdem mit den prasselnden Flammen das Lied „Stoßt an, Eisenach lebe!“ sich in die Luft erhoben hatte. In drei Hochs mündete der gewaltige Strom seiner Rede: das erste galt uns Jubilaren von 1817, das andere der deutschen Burschenschaft, das dritte dem einigen, freien deutschen Vaterlande. Daß wir daran auch diesmal das Fragelied knüpften: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ ist nicht gefährlich mehr heute, wo selbst im Norddeutschen Bunde kein rechter Mann als Antwort singen wird: „Das halbe Deutschland soll es sein!

Jetzt erst, wo ich mich dem Thal von Eisenach zuwandte, während die Festgenossen ihre Fackeln am Feuer anzündeten, ward ich durch den Anblick der festlich beleuchteten Wartburg überrascht, die über dem tiefen Dunkel, des Thals und des Bergs wie ein Feenschloß auf den Wolken schwebend erschien. Man konnte des bezaubernden Bildes nicht satt werden, und wir schieden nur von ihm, als der Fackelzug nicht weniger lockend seine Feuerlinie den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_030.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2023)