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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ruinen von kleinen Holzhütten mit verschiedenen Gräbern davor, auch offen im Schnee bleichende Menschen- und Thiergebeine fand. Aber trotz dieser Menschenopfer erhielt sich die Compagnie über vierzig Jahre lang, da der Gewinn aus den erlegten Pelz- und Fettthieren ein sehr beträchtlicher war, bis endlich doch das ganze Unternehmen im Winter 1851 bis 1852 mit einem furchtbaren Trauerspiele schloß.

Während des Sommers vorher hatte sich eine ungeheure Masse von schwerem Treibeise um die ganze Hvalfiskespitze und die südliche Küste in Ostspitzbergen festgestaut. Die Leute der russischen Compagnie hatten sich von ihren verschiedenen Posten her im Hauptquartiere gesammelt und warteten vergebens auf das jährliche Erlösungsschiff von Archangel. Dieses war auf dem Wege spurlos verschwunden. Das Eis weit umher hielt alle anderen Schiffe während des Sommers ab, nahe zu kommen. Erst zu Ende des August strandeten Norweger hier und suchten an den Gestaden entlang nach russischen Colonisten. Sie entdeckten wohl eine Hütte nach der andern, allein alle ehemaligen Einwohner derselben fanden sie todt und vor ihren Hütten begraben. Vor dem Hauptquartiere sahen sie vierzehn frische Gräber in einer Reihe vor dem Holzhause, und die anderen Männer lagen innerhalb ebenfalls todt, einige auf dem Flure, einer noch im Bett. Letzterer war der Vorsteher gewesen, wie sich aus dem neben ihm liegenden Tagebuche ergab. Es enthielt in furchtbarer nüchterner Prosa die Tragödie ihrer Leiden und ihres Endes.

Schon mit Anfange des Jahres hatte sich ein ansteckender Scorbut unter den Leuten eingefunden, woran viele in ihren verschiedenen Stationen gestorben waren. Die Ueberlebenden hatten sich endlich nach dem Hauptquartier geschleppt und gehofft, durch das Schiff von Archangel bald erlöst und befreit zu werden. Da sich diese Hoffnung von Tag zu Tag, von Woche auf Woche als vergebens erwies, wurden ihre Lebensvorräthe bald erschöpft, so daß sie zum Theil vom Scorbut, zum Theil von den Qualen des Hungers allmählich hinstarben und so lange begraben wurden, wie die Ueberlebenden Kraft dazu besaßen. Endlich blieben nur noch vier übrig. Die ersten Zwei davon, welche starben, konnten von den anderen Beiden schon nicht mehr begraben werden; sie blieben, vor die Hütte geschleppt, offen liegen. Die beiden Letzten legten sich zusammen in’s Bett und erwarteten hier ihr Schicksal; der Eine war nach seinem Tode von dem Letzten, dem Vorsteher und Schreiber des Tagebuches, eben nur noch aus dem Bett gedrängt worden, worauf auch dieser bald seinen Geist aus dem ausgehungerten Körper aufgab. Dies war wenige Tage vor Ankunft der Norweger geschehen.

Die Russen besaßen ein großes Galeeren- und mehrere kleine Boote am Ufer im Hafen, aber das Eis hatte jeden Gebrauch derselben nach dem Meere verhindert, und als es gebrochen war, fanden sich die Ueberlebenden bereits zu schwach und ohne Mittel, auf den Fahrzeugen ihre Rettung zu versuchen. Die schiffbrüchigen Norweger benutzten nun das Galeerenschiff, um nach Hammerfest, der nördlichsten Stadt in Europa, zu entkommen. Sie brachten das Tagebuch des letzten Russen auf Spitzbergen mit, das vom russischen Consul in Empfang genommen und nach Archangel geschickt ward. Von da erfuhr die Welt nach und nach von dem schrecklichen Schicksale und Ende der russischen Jäger auf Spitzbergen.

Seit der Zeit hat Niemand wieder den Muth gehabt, einen Winter in dieser furchtbaren Eiswildniß zuzubringen, oder nur Anderen zugemuthet, es zu versuchen. Die deutschen Helden der Wissenschaft, welche sich jetzt zutrauen, es wieder mit diesem Feinde aufzunehmen, werden daher, kommt die von Petermann angeregte Nordpolexpedition später wirklich noch zu Stande, Ursache haben, sich nicht nur gegen alle unvermeidlichen und sicher neun Monate ausharrenden tödtlichsten Gewalten des arktischen Winters doppelt und dreifach auszurüsten, sondern auch daran zu denken, daß ein Heer von Eisbergen die Küsten ringsum den ganzen Sommer hindurch gegen jede Annäherung eines befreienden Segel hartnäckig verschließen könne.


Seltsame Geburtsstätte. Ich bin genau befreundet mit der Gräfin M., einer liebenswürdigen jungen Frau, die leider kinderlos ist und ihre ganze etwas überschwängliche Zärtlichkeit auf eine Menge kleiner geflügelter Sänger übertragen hat, welche in großen Volièren in ihren Zimmern herumflattern.

Als ich dieselbe neulich besuchte, fand ich sie unten auf der Treppe stehend, bemüht, einen stattlichen, buntglänzenden Hahn, der sich mit aller Gewalt und List dagegen sträubte, zur Thür hinaus zu scheuchen. Das prachtvolle Thier wies muthig alle Angriffe der Gräfin mit hochgeschwungenen Flügeln und trotzigem Kollern zurück, während es sein kluges Auge nicht einen Augenblick von seiner Widersacherin abwandte. Ich sah erstaunt und lächelnd bald die hübsche Frau, bald den streitbaren Vogel an, indem ich der ersteren aber zu Hülfe kommen wollte, wehrte sie mir und wies mich mit der Bitte zurück, ihrem besten Freunde ja nichts zu Leide zu thun. Als der Hahn nach manchen Bemühungen endlich sich doch bequemt hatte, auf den Hof zurückzukehren, erzählte mir die Gräfin folgende Geschichte über denselben.

„Ich habe ein paar Lachtauben, die ich zärtlich liebe. Im vorigen Jahre hatten diese ein Ei, welches der Täuberich leider zertrat. Die arme Taube war darüber so betrübt, daß ich ihr aus Mitleiden ein Hühnerei unterlegte. Tag und Nacht saß die Getröstete nun frohen Muthes auf dem Neste und brütete emsig wie vorher; da nun aber bekanntlich die Tauben eine kürzere Brütezeit haben, als die Hühner, so verließ die Taube, ihrem Naturtriebe folgend, das Ei, als die gewöhnliche Zeit um war.

Es dauerte mich, das junge Leben in demselben grausam zu Grunde gehen zu sehen, und ich beschloß daher, zu versuchen, ob ich dasselbe nicht selbst ausbrüten könnte. Gedacht, gethan. Ueber acht Tage trug ich dasselbe unter meiner Achselhöhle mit mir umher, es erwärmend und ängstlich behütend; kaum gönnte ich mir den nöthigsten Schlaf, aus Furcht, das Ei zu zerdrücken, und siehe da, – denken Sie sich meine Freude – nach Verlauf einer Woche fühlte ich Leben in der zarten Hülle – das gelbe Küchelchen pickte sich an das Tageslicht hervor!

Sie würden mich auslachen, Sie Spötter, wollte ich Ihnen schildern, was ich empfand, wie ich mich über das kleine, zarte Wesen freute, dem ich gewissermaßen das Leben gegeben hatte, das meinem alleinigen Schutze anvertraut war; sorgfältig packte ich dasselbe in ein Kästchen mit Watte und Federn und pflegte und fütterte es. Zu meinem Bedauern aber fing nach wenigen Tagen schon das Thierchen zu kränkeln an. Es wurde matt und matter, und so blieb mir nichts weiter übrig, als es wieder an seiner alten Stelle in Pension zu geben. Das half. Der Hahn gedieh, wuchs heran und ward schön und groß; dabei ist er dankbar und ist mir treu ergeben. Schon von ferne erkennt er meine Schritte, meine Stimme. Mit geschwungenen Flügeln und freudigem Krähen begrüßt er mich schon von Weitem und läuft mir nach wie ein Hund.

Täglich besucht er mich in meinen Zimmern; er kräht und scharrt so lange vor der Thür, bis ich ihn einlasse und ihm seine gewohnten Leckerbissen reiche, aber besonders eigenthümlich ist es, daß das dankbare und kluge Thier nirgends lieber sitzt, als auf meiner Achsel, der Stätte seiner Geburt. Und nun lachen Sie, mein Herr, so viel Sie wollen, über meine zärtlichen Gefühle gegen meinen Schützling, – was wollen Sie – bin ich nicht seine Mama, habe ich ihn nicht selbst ausgebrütet?“

H. H.

Bonapartistin und Legitimistin. Julie Récamier, die seltene Frau, die durch ihre Schönheit wie durch ihre Tugend so berühmt war, traf im Jahre 1821 in Rom mit der reizenden Königin Hortense zusammen. Beide Frauen kannten sich schon in Frankreich zur Zeit des höchsten Glanzes Napoleon’s des Ersten, in Rom aber durften sie nicht mit einander umgehen, weil die Bourbonen wieder allmächtig waren und Julie Récamier fürchten mußte, sich und ihre Freunde, zu denen Chateaubriand und der Herzog von Montmorency gehörten, aus der Gunst derselben zu verdrängen, wenn sie mit einer „Bonaparte“ verkehrte. Die beiden schönen Frauen liebten sich jedoch aufrichtig, und namentlich wollte die edle Récamier der gestürzten Königin nicht den Trost ihres Umgangs entziehen; sie verabredeten deshalb heimliche Zusammenkünfte wie ein Liebespaar. Bald trafen sie sich tief verschleiert in irgend einer Kirche, bald im Coliseum oder in einer Gemäldegalerie. Einmal aber gingen Beide ganz gleich gekleidet, in einem Domino von weißem Atlas mit Rosen bekränzt, auf einen Maskenball und machten sich das Vergnügen, fortwährend verwechselt zu werden. Der strenglegitimistische französische Gesandte war der Cavalier der schönen Récamier, Jerome, Exkönig von Westphalen, der von Hortense. Ohne daß beide Herren es merkten, hatten die Damen ihre Rollen getauscht und der Gesandte führte die Königin am Arm, Jerome die Récamier, wobei die Unterhaltung die pikantesten Wendungen annahm. Die Verwechselten erregten jedoch den Zorn des düpirten Diplomaten und mußten in Folge dessen ihren unschuldigen heimlichen Umgang aufgeben. Später hat die Königin Hortense, die den Glanz ihres Sohnes nicht erlebte, der Récamier den Spitzenschleier in ihrem Testamente vermacht, welchen sie bei den Zusammenkünften in Rom trug.

– v. –

Karl Vogt, der berühmte Naturforscher und unser hochgeschätzter Mitarbeiter, hat nun auch hier in Leipzig eine Reihe von Vorlesungen begonnen, die sich mit dem von den Ultramontanen in Aachen so brutal befeindeten, hoch interessanten Thema, der Urgeschichte des Menschen, beschäftigen. Es hieße mehr als Eulen nach Athen tragen, wollten wir über den Werth dieser Vorlesungen, ihren gediegenen Inhalt wie über ihre geistvolle Form und den hinreißenden Vortrag nur ein Wort beifügen; wir sehen voraus, daß auch hier sich ereignet, was in Köln und Elberfeld und anderswo eintrat, wo schon nach der dritten und vierten Vorlesung auch die weitesten Säle des Ortes nicht mehr ausreichten, die Zahl der Besucher zu fassen.


Kleiner Briefkasten.

G. B. in St. P…g. Die heutige Nummer unseres Blattes erfüllt Ihren Wunsch und die Wünsche sehr vieler Abonnenten der Gartenlaube: sie bringt Ihnen das lebenswahre Portrait von E. Marlitt. Wollen Sie ein solches aber zugleich Ihrem Album einverleiben, so nehmen Sie gefällig Notiz davon, daß photographische Bildnisse im Visitenkartenformat – zum Preise von 5 Ngr. – ebenfalls von Herrn Chr. Beitz in Arnstadt angefertigt worden sind. Die Verlagshandlung der Gartenlaube ist sehr gern erbötig, ihr direct oder im Wege des Buchhandels zugehende Bestellungen auf dies Portrait auszuführen. – Dagegen sind wir leider für jetzt noch nicht in den Stand gesetzt, die Lebensschicksale der hochbegabten Schriftstellerin unseren Lesern zu erzählen.

R. T. in M…n. In der neuen Novelle von Levin SchückingDer Schatz des Kurfürsten“ haben Sie durchaus kein Werk der bloßen Fiction vor sich, vielmehr sind die in der Novelle auftretenden Hauptpersonen, Inspector Steitz (nicht Seitz, wie in einigen Exemplaren irrthümlich gedruckt), Lieutenant Mensing etc., wirklich geschichtliche Persönlichkeiten, ebenso wie der Autor die hinsichtlich des kurfürstlichen Schatzes erzählten Einzelheiten und Episoden genau der Wahrheit gemäß berichtet hat.

Mrs. E. C. in Dublin. Ihr Brief an Frau Dr. Beta in Berlin, jetzt Hirschelstraße 35, in Betreff ihres Pensionates für junge Damen ist wahrscheinlich wegen des Umzugs der Genannten nicht an seine Adresse gelangt. Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, daß alle Anfragen, die in Folge einer früheren Notiz in der Gartenlaube über dieses Pensionat an uns ergangen sind und noch kommen könnten, am kürzesten an Frau Dr. Beta selbst gerichtet werden und daß in der Familie unseres alten Mitarbeiters besonders günstige Gelegenheit für gesunde, tüchtige Ausbildung geboten wird.


Inhalt: Der Schatz des Kurfürsten. Historische Erzählung von Levin Schücking. (Fortsetzung.) – Das Portrait der Verfasserin von „Goldelse“ und „das Geheimniß der alten Mamsell“. – Ein denkwürdiger Besuch. Fragment aus unsern Familienpapieren. Von Hans Blum. – Erinnerungen an Heinrich Heine. Von Heinrich Laube. II. – Drei unvergeßliche Herbsttage. Erinnerungen an das Wartburgfest-Jubiläum von einem Mitjubilar. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Deutsche Wissenschaft auf Spitzbergen. – Seltsame Geburtsstätte. – Bonapartistin und Legitimistin. – Karl Vogt. – Kleiner Briefkasten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_032.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)