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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

muß der Geber des Hemdes mit dem Kranken an ein und demselben Tage geboren sein. Nach Ablauf dieser vierzehn Tage wird das Hemd stillschweigend ausgezogen und vor Sonnenaufgang in einen Ameisenhaufen vergraben. Natürlich muß der Kranke bei dieser Cur sehr vorsichtig sein und ja nicht etwa beim An- und Ausziehen des Hemdes oder beim Gange nach dem Ameisenhaufen sprechen.

Fragen wir nun die Homöopathie über die Schwindsucht (Auszehrung, Lungensucht), ja da werden außer vielen anderen Mitteln so viel Hauptmittel dagegen (wie: Kalk, weiße Zaunrübe, Eisen, Jod, kohlensaures Kali, Quecksilber, Phosphor, Blei und Schwefel) in einer Weise empfohlen, daß ein Schwindsüchtiger geradezu ein Selbstmörder ist, wenn er sich nicht homöopathisch curiren läßt. Merkwürdig ist’s nur, daß solche Kranke schließlich fast stets zu einer andern, manchmal noch viel dümmeren und nebenbei auch noch schädlicheren Heilmethode (z. B. zur Kaltwassercur) übergehen, oder daß sie, wenn die Noth am größten ist, von ihren homöopathischen Heilkünstlern in ein südliches Klima geschickt werden. Geradezu spaßhaft ist die homöopathische Behandlung des die Lungenschwindsucht begleitenden Hustens und Auswurfs. Denn in Müller’s Haus- und Familienarzte werden anempfohlen: Bei trockenem Husten acht verschiedene Mittel, bei krampfhaftem Husten fünf verschiedene Mittel, andere Mittel bei Brechhusten, lockerem Husten, bei Abend-, Nacht- und Frühhusten, bei Husten, welcher durch Bewegung, Sprechen, Essen, im Freien, im Liegen erregt wird, bei Bell-, Dick-, Kitzel-, heiserem, pfeifendem oder krächzendem Husten, bei Husten mit schleimigem, blutigem, eitrigem, übelriechendem, wässerigem, zähem, grünlichem, grauem, salzigem, bitterem, süßlichem, fauligem, saurem Auswurfe. Hirschel hat auch noch einige andere Hauptmittel als Müller, z. B, Kohle, China, Jod, Bärlapp, Salpetersäure und Kieselerde. Arthur Lutze richtet sich natürlich bei Darreichung seiner Arzneien danach, ob die Lungenschwindsucht auf der rechten oder aus der linken Seite der Brust sitzt; für die linke Lunge hat er Kalk, China, Jod, Quecksilber und Schwefel, für die rechte besonders Blei. Giebt es denn wirklich noch größeren Unsinn?

Bock




Ein denkwürdiger Besuch.
Fragmente aus unsern Familienpapieren.
Von Hans Blum.
(Schluß.)


Während der Mahlzeit machte meine Mutter zu wiederholten Malen den Versuch, wenigstens einige Bruchstücke aus dem früheren Leben der Gräfin enthüllt zu sehen, namentlich das Verhältniß zu ihren Gatten – allein stets vergeblich; immer wußte ihr die Gräfin durch den Wunsch zu entgehen: daß ihr die Mutter bei der kurzen Zeit ihres diesmaligen Aufenthaltes möglichst viel von ihrem eigenen Leben erzählen und alles Uebrige einem späteren Zusammensein überlassen möchte. Dagegen wiederholte sie immer eindringlicher und öfter die Bitte, ihr unsere Ida zur Erziehung zu überlassen, und stand erst davon ab, als ihr auf’s Bestimmteste erklärt wurde, daß solche Anerbietungen ebenso nutzlos wie unangenehm seien. – Es war unterdessen Stunde um Stunde verstrichen, ohne daß der entsendete Bote zurückgekehrt wäre, und die Mutter bat unsere Wirthin endlich dringend, dessen Kommen nicht abzuwarten, da die Kleine im „Schloß“ aufwachen und sich in den ungewohnten Räumen ohne Mutter verlassen fühlen, wohl gar verletzen könne. Die Gräfin war damit einverstanden und versprach der Mutter einen Ersatz für ihre Wäsche zu liefern; wir kehrten denn in’s Schloß zurück. Wir Knaben legten uns sofort zur Ruhe und schliefen sogleich ein. Nicht so unsere Mutter. Zunächst war das von der Gräfin verabreichte Surrogat von Wäsche höchst eigenthümlicher Natur, nämlich nichts Geringeres als ein ähnlicher schmutziger, grau und weiß carrirter Ueberwurf und eine genau ähnliche Haube, wie sie selbst trug. Endlich entschloß sich die Mutter, Beides anzuziehen und sich niederzulegen – da klopfte es. Es war schon tiefe Nacht – was konnte man noch wollen? Die Gräfin trat ein.

„Sie werden mir’s gewiß nicht verargen, wenn ich den Wunsch ausspreche, noch ein Stündchen mit Ihnen zu plaudern,“ sprach sie und setzte sich vor das Bett.

Wie gesagt, hatte Alles, was meine Mutter gesehen und gehört, sie zu sehr aufgeregt, als daß sie vor der Hand auf Schlaf hätte rechnen können. Sie willigte daher gern in die erbetene „Plauderei“, namentlich weil sie hoffen durfte, daß die Gräfin ihr nun, innerhalb ihrer eigenen Mauern, wohl eher etwas über sich selbst mittheilen werde, als im Gasthaus. Doch auch diesmal blieben alle dahin zielenden Versuche fruchtlos.

„Erzählen Sie mir von Ihrem theuren Gatten,“ bat die Gräfin, nachdem sie längere Zeit über andere Dinge gesprochen hatten, „erzählen Sie von Ihrer Liebe, Ihrer Ehe.“

Die Geschichte der Liebe war einfach und bald erzählt. Indessen dabei war der Gräfin wieder etwas eingefallen.

„Ihr Gatte war vorher schon einmal verheirathet?“

„Ja, Frau Gräfin, seine erste Frau starb schon im vierten Monat der Ehe.“

„Und er liebte sie?“

„Außerordentlich. Es war eine schöne junge Frau. Er war sehr unglücklich bei ihrem Tode.“

„Und ist sie ihm nie darauf erschienen?“

„Wenn Sie das ,erscheinen’ nennen wollen, was uns unsere erregte Seele im Traum vorführt, mehrmals. Er hat einige höchst merkwürdige Aufzeichnungen hinterlassen über die Gespräche, die er dann mit ihr über das Jenseits zu führen meinte. Doch was soll das Alles? Frau Gräfin, glauben Sie denn an Erscheinungen?“

„Gewiß! Die wahre Liebe fesselt zwei Seelen über das Grab hinaus aneinander. Diese geheimnißvolle Sympathie zeigt sich ja schon im Leben, wenn unsere Liebe anfängt, und je inniger sie wird, um so schöner, deutlicher. Haben Sie es nicht stets im Voraus gewußt, wann und daß er Sie besuchen würde, als Sie sich noch nicht erklärt hatten?“

„Allerdings – aber das lügt man sich selbst vor. Man erwartet den lieben Besuch stets, unaufhörlich, und wenn die Hoffnung eintrifft, meint man eine Ahnung gehabt zu haben.“

„O, schätzen Sie das nicht so gering, werthe Frau, glauben Sie mir – ich kann darin von merkwürdigen Dingen erzählen.“

„Nun?“

„Ach, das ist lange, lange vorüber – reden wir nicht davon. Beantworten Sie mir nur noch einige Fragen. Wie war es Ihnen zu Muthe, als er in Wien war; ich meine zu der Zeit, am Tage oder in der Nacht seiner – seines Todes?“

„O Gott, gnädige Frau, erlassen Sie mir das – wie hätte ich das ahnen, fürchten können – daß er mir so bald entrissen würde! Ich hatte an seinem Todestage einen beruhigenden, ja heitern Brief aus seinem Gefängniß von ihm erhalten, und als ich mich anzog, um diesen Brief einigen seiner Freunde mitzutheilen, da muß eine plötzliche Schwäche über mich, mein Auge gekommen sein; ich stand vor dem Spiegel – kurz ich sah mich in Schwarz gekleidet –“

„Sehen Sie!“ rief die Gräfin mit einer Art triumphirender Hast – „aber ich rege Sie zu sehr auf, gewiß – und möchte Sie doch so gern trösten!“

Sie ergriff meiner Mutter Hand mit ihren kalten, knöchernen Fingern, als ob sie nach ihrem Puls fühlte, und sah ihr mit ihren herzlosen blauen Augen prüfend in’s Antlitz. Es entstand eine lange Pause; endlich begann die Gräfin von Neuem:

„Glauben Sie überhaupt daran, daß er todt ist?“

„O Frau Gräfin, wenn Sie wüßten, mit welcher Pein ich diese Zweifel niedergekämpft habe – Sie würden mich darnach nicht fragen! Ich muß es ja glauben. Er ist gewiß und wahrhaftig todt!“

Wieder ließ die Gräfin einige Minuten verstreichen; dann sagte sie mit scharfer Betonung:

„Das mögen Sie glauben und alle Welt – oder das mag man Ihnen glauben gemacht haben – allein ich – –“

„Was wollen Sie sagen, Frau Gräfin?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_041.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)