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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Im Süden geht, wie in den Komödien Calderon’s, Molière’s und Goldoni’s, so ziemlich jede Art von Besorgung durch Dienerhände. Auch Gaetano’s Briefe hatten diesen Weg genommen, aber Sabino wußte von Gaetano selbst, daß er nur auf eine Antwort seiner Frau warte, um sofort nach Rom aufzubrechen, und da sich der vermeinte Jugendbekannte der Gattin des Wachshändlers gar ungern von Capri getrennt hätte, so hielt er’s für zweckmäßig, jene Briefe gar nicht zu befördern. Auf diese Weise und während die Genesung des Leidenden langsam vorrückte, ging der März, ging der halbe April dahin. Endlich vermochte Gaetano die Ungewißheit nicht länger zu ertragen. Er borgte sich einen Fischeranzug und ließ sich nach Neapel hinüberfahren.

Dort hatte inzwischen ein Ministerwechsel den andern gedrängt. Heute leitete der Prinz Strongoli die Staatscarosse, morgen kamen ihre Zügel in die Hände Guglielmo Pepe’s, der vor wenigen Tagen erst aus der Verbannung heimgekehrt war. Man hatte die mißliche Grundlage der octroyirten Verfassung bereits erkannt, verlangte eine constituirende Versammlung und Anschluß an den Krieg gegen Oesterreich. Dazwischen gab es Zusammenrottungen bald in diesem, bald in jenem Sinne. Alles stand in der Schwebe.

Gaetano war kaum bei Sta. Lucia an’s Land gestiegen, als er auch schon erkannt wurde. Mit Mühe entkam er, aber noch zweimal wiederholte sich das Nämliche, und als er endlich die Wohnung erreichte, wo er Beata zurückgelassen hatte und jetzt vergebens erfragte, gerieth er in die Hände eines ganzen Haufens rauflustiger Strolche. Das Inswasserwerfen ist in solchen Fällen eine in Neapel volksthümliche Belustigung. „Ein apartes Fischerchen!“ hieß es, „seht nur die feinen Hände und den weißen Hals! Er wird unsern Beistand brauchen. Zeigen wir ihm den kürzesten Weg zu den Fischen!“ Und man warf Gaetano kurzweg in die See.

Zum Glück konnte er schwimmen. Er entkam mit dem Leben. Aber sein Zustand hatte sich arg verschlimmert. Als er Abends in dem Boot eines mitleidigen Schiffers Capri wieder erreichte, war er körperlich wie geistig nahezu aufgerieben. Vor Allem freilich geistig. Denn zwischen den harmloseren Behelligungen, welche seinem Sturze in’s Meer vorausgegangen waren, hatte Gaetano noch Muße gefunden, dies und das in Neapel zu erkunden, und so war es ihm zur Gewißheit geworden, daß Beata schon seit Wochen mit dem jungen Prinzen di L. aus Neapel verschwunden war. Sabino ließ errathen, dergleichen habe er bei dem lebenslustigen Charakter seines Herrn längst gefürchtet, und er gab noch manch’ andern Wink, der schon auf vorausgegangene Verabredungen hindeutete. „Und da solltet Ihr froh sein,“ meinte Donna Agata, „wenigstens zu wissen, wie Ihr daran seid. Laßt Euch rathen und vergeßt Euer Unglück lieber heut’ als morgen.“ Biondina weinte vor herzlichem Mitleid. Gaetano selbst war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Erst ein heftiges Fieber gab seinem Zustande eine glücklichere Wendung. Es beschäftigte seinen Geist mit Phantomen und half ihm so über die schlimme Wirklichkeit hinweg.

Als er dann aber endlich – eine Woche hatte er zwischen Leben und Sterben geschwebt – aus seinen Phantasieen von Neuem zum Bewußtsein erwachte, hatte das Schicksal für den Verzweifelnden einen noch holder lindernden Balsam in Bereitschaft, und fast schien es, als solle er nicht nur dem Leben, nein, auch den sonnigsten Seiten desselben wieder geschenkt werden. Denn seine schmucke Pflegerin Biondina hatte, während sie über ihn wachte, ihr unerfahrenes kleines Herz an ihn verloren. Mit der ganzen Gewalt einer ersten Leidenschaft unter südlichem Himmel war das Unglück über sie gekommen, und schon in der ersten Viertelstunde seiner wiederkehrenden Klarheit wußte er Alles. „Ich konnte nichts dafür,“ sagte sie treuherzig rathlos, „ich habe nimmer geahnt, wie dergleichen so auf einmal Kopf und Glieder benehmen kann. Man hat noch eben die gleichgültigsten Gedanken, und plötzlich sitzt man wie mitten im Fegefeuer.“

Die Bestürzung Gaetano’s war groß. Er suchte zu beschwichtigen, aber sein Herz pochte so unruhig, daß er selber kaum wußte, was er sagte. Dazu ihre kindliche Hilflosigkeit, ihr Rothwerden inmitten einer unaussprechlichen Wonneseligkeit und wieder ihr ehrliches Betheuern, sie habe sich selber nicht wenig erschreckt, aber sie wolle auch gewiß zuverlässiger sein, als die böse Donna Beata, und ob es ihm denn auf dem lieben, friedlichen Capri nicht weit besser gefallen würde, als drüben in dem lärmenden, treulosen Neapel?

Es war im schönen Monat Mai. Die Myrthen blühten, die Orangenkelche dufteten, die Vögel sangen, durch’s offene Fenster strich die Seeluft erquickend herein und die Sonnenstrahlen schienen nicht müde zu werden mit dem krausgoldnen Lockengeringel des schönen Kindes ihr Spiel zu treiben. Gaetano lag wie in dem Doppelbann des zum Leben und zum Lieben Wiedererwecktseins. Träumte er noch? War wirklich die Nacht der Schmerzen hinter ihm versunken? Durfte er noch einmal vertrauen? Er wußte selber nicht deutlich, was er that, aber er öffnete seine Arme, und der Bund war geschlossen.

Die Reue folgte. Gegen die Mitte des Mai-Monats zog sich über Neapel wieder ein politisches Gewitter zusammen. In dem Municipalitäts-Gebäude des Monte-Oliveto hatten sich die Deputirten zu vorbereitenden Sitzungen eingefunden. Sie beriethen die Eidesformel und unterhandelten mit dem Ministerium darüber so endlos lange, bis der Meinungszwiespalt aus der Versammlung auf die Straße drang und der Toledo sich mit Barricaden füllte. Am 15. Mai Vormittags zwischen zehn und elf Uhr fiel ein Schuß in der Nähe des Café di Peluso. Er traf, und der Krieg zwischen dem bewaffneten Volk und den Schweizer Truppen war dadurch eröffnet. Das Castell St. Elmo zog seine rothe Fahne auf und verkündete, wie am 27. Januar, durch drei Kanonenschüsse den Belagerungszustand. Castel Nuovo begann mit Kugeln und Kartätschen aufzuspielen. Und von da an taumelte die Kriegsfurie mordend, raubend, brandstiftend zwölf lange Stunden durch die angsterfüllten Straßen der paradiesischen Stadt.

Der Kanonendonner hatte Gaetano aus seinem Frühlingstraum aufgescheucht. Er schiffte sich in Hast nach Neapel ein und suchte, dort angekommen, seinen Platz auf den Barricaden. Als eine nach der andern den Schweizern und deren Verbündeten, den Lazzaroni, preisgegeben werden mußte, schloß er sich den Vertheidigern der Taverna penta an. Er hatte unter der freiwilligen Besatzung des arg bedrängten Hauses Bekannte zu erkennen geglaubt, und jetzt gewahrte er, daß der Prinz di L. selber hier den Oberbefehl führte. Die Augen der beiden Männer trafen sich, aber schon in der nämlichen Secunde trennte sie eine Wolke von Pulverdampf und die nächste Viertelstunde gehörte dem Kampfe mit den Feinden draußen.

Dann, als der Sturm glücklich abgeschlagen worden war und für eine kurze Weile die Kriegsarbeit feierte, zog der Prinz den Gatten Beata’s in einen Seitengang und stellte sein Leben zur Verfügung Gaetano’s. „Ich habe Ihr Vertrauen schlecht gelohnt,“ sagte er, „fällen Sie mein Urtheil, Signore.“

„Und wo ist sie?“ fragte Gaetano, vor Erregung kaum der Sprache mächtig.

„Auf dem Wege nach Capri.“

„Auf dem Wege zu mir?“ Er hob seine Doppelbüchse. „Wollen Sie mich auch noch verhöhnen?“

„Die Treue Ihres Weibes,“ sagte der Prinz und wagte Gaetano’s Blick nicht zu begegnen, „hat jeder Versuchung widerstanden. Sie haben einzig mit mir, dem Versucher, abzurechnen. Wollen Sie mir noch die Muße gönnen, meine Schuld hier im Kampfe gegen die Feinde unseres Vaterlandes zu sühnen? Wo nicht, so thun Sie, was Ihre beleidigte Ehre Ihnen eingiebt. Meine Blouse ist leicht zu durchbohren. Hier stehe ich.“

Gaetano stürzte fort. Er war wie von Sinnen. Er wußte nicht aus und ein. Am Abend erreichte er Capri, fand Beata in der Pergola neben Biondina stehend, bleich und verweint die Eine wie die Andere, – und brach unter der Wucht des unlösbaren Wirrsals zusammen.

Man hob ihn auf, man trug ihn in’s Haus. Vier Augen wachten Wochen lang Tag und Nacht über seinem Lager. Aber das Licht seines Geistes wollte seine frühere Klarheit nicht wiedergewinnen. Und so dichtete sein Irrsinn das Erlebte allmählich zu einer fremden Historie um, und das kuttenähnliche Kleid, das man ihm auf sein Begehren anzog, und der Name Fra Arcangeli, den er sich beilegte, halfen die Selbsttäuschung vervollständigen. Er war, so erzählte er seitdem, der Beichtvater eines Unglücklichen gewesen, welcher zwei Lieben, aber nur ein Leben gehabt hatte; wo, wann, wie? das war ihm entfallen. Damals hatte er dem Unglücklichen sehr streng in’s Gewissen geredet, aber seitdem war ihm seine Härte leid geworden; er hoffte allen Dreien noch helfen zu können. Es galt, meinte er, nur drei Punkte so zu verbinden, daß Jedem sein Recht werde. In der Pergola, wo Gaetano den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_046.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)