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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

beiden Auserwählten seines Herzens zuerst gegenüber gestanden hatte, grübelte Fra Arcangeli Tag für Tag über die Lösung seiner Aufgabe: unablässig kritzelte er Dreiecke in die Säulen der Pergola; bis jetzt hatte er indessen noch kein Dreieck zu Stande gebracht, bei dem, so meinte er zum wenigsten, nicht immer eine Linie gegen die anderen beiden zu kurz komme.

Und das ist so etwa die Geschichte, wie sie mir von jener schönen Fahrt nach Capri wehmüthig und doch hold – denn im Süden kleidet sich ja das Traurigste selbst in helle Farben – in der Erinnerung verblieben ist. Andere mögen, wenn sie Capri’s gedenken, das Bild jenes gigantischen Felsen vor sich aufsteigen sehen, von welchem Tiber seine Opfer in’s Meer stürzen ließ. Mir steht jenes letzte Haus auf Anacapri im Gedächtniß; und ich sehe, wie damals, die beiden in Trauerkleider gehüllten Frauengestalten auf dem schönen freigelegenen Dache sitzen, über ihre gemeinsame Stickerei gebückt, welche ihre Gebete für den armen Gaetano unterstützen soll. Vor Allem aber gedenke ich jener Pergola, bei deren Betreten so wenige Besucher Capri’s ahnen, wie unsäglich bange dort einst drei arme Menschenherzen gepocht haben.




Blätter und Blüthen.

Ein Theaterscandal in Rom. An demselben 26. December des Jahres 1815, an welchem im Theater Valle zu Rom Rossini’s „Torvaldo e Dorlisca“ (beiläufig gesagt, eine seiner schwächeren Productionen) gegeben wurde, machte der genannte Komponist mit dem Impresario des Theaters Argentina in Rom einen Contract für eine Buffa-Oper, die er bis zum 24. Januar 1816 fix und fertig zu liefern sich verpflichtete und für die er vierhundert römische Scudi erhalten solle. Also in neunundzwanzig Tagen – vom 26. December bis zum 24. Januar – war das Werk, welches aus zwei Acten bestehen sollte, zu vollenden; man behalte das wohl im Gedächtniß. Nun war aber durchaus noch kein Operntext vorhanden; es vergingen verschiedene Tage, ehe der Director sich mit der römischen Censur über ein Sujet zu einigen vermochte; dann mußte erst ein Dichter gesucht werden, der sich endlich in der Person eines gewissen Sterbini (eines dilettirenden Poeten) auch fand – kurz, es vertrödelte sich eine Masse Zeit, und als endlich Alles gehoben und gelegt war, blieben Rossini noch dreizehn, sage dreizehn Tage. Und in dieser unglaublich kurzen Frist brachte er denn auch sein Werk zu Stande, welches kein anderes ist, als „Il Barbiere di Siviglia“, jenes leuchtendste Juwel unter den Rossini’schen Kleinodien, jenes Musterstück der Buffa-Gattung. Aber wie arbeitete er auch! Tag und Nacht ging’s; in der einen Stube seiner Wohnung saßen er und der Dichter, in der andern die Copisten; das Versificiren und Componiren ging Zug um Zug, Schlag um Schlag, und jedes vollgeschriebene Blatt wurde gleich in’s Reine gebracht. Es war wie im Kriege: man aß, wenn man konnte, und man schlief, wo man saß oder stand. Ja, nur ganz am Ausgehen verhindert zu sein, ließ sich Rossini während der ganzen dreizehn Tage den Bart nicht abnehmen; – wegen des „Barbiers“ nicht „rasirt“ zu werden, das ist gewiß höchst komisch.

Während nun Rossini dieses wahrhafte Wunder von Thätigkeit und Genie verrichtete, während die Schreiber noch copirten und die Sänger studirten, bereitete sich ein Ungewitter gegen das neue Werk vor, das von Feinden und Neidern zusammengebraut wurde, und dem der intriguante Paesiello, obwohl fern vom Schauplatz, nicht fremd war. Hatte dieser doch auch einen „Barbier von Sevilla“ componirt, und war das Libretto desselben doch ebenfalls nach der gleichnamigen Komödie des Beaumarchais bearbeitet.

War das nicht eine prächtige Handhabe, um Rossini zu verdächtigen, als wolle er durch eine übermüthige Concurrenz mit dem alten und berühmten Meister diesem die Lorbeeren verkümmern? Und ließ sich diese Verdächtigung nicht vortrefflich verwerthen, um Rossini überhaupt als frechen Neuerer, als Verächter classischer Traditionen und Conventionen Etwas anzuhaben? Nichts half es, daß auf die Clausel des Contracts hingewiesen wurde, nach welcher Rossini bei der Wahl eines Libretto gar keine Stimme hatte und nur dasjenige in Musik zu setzen hatte, welches der Director ihm übergeben würde, sei es alt oder neu. Nichts half es ferner, daß man dem Textbuch eine Vorrede vordruckte, in welcher alles Unterscheidende zwischen den Libretti des Paesiello’schen und Rossini’schen „Barbiers“ nachgewiesen und dem Verdacht vorgebeugt wurde, als wolle der junge Componist mit dem alten renommirten Meister in irgend welche Rivalität treten. Ja, der Respect vor dem älteren Werke war sogar insoweit gewahrt, als man die neue Oper nicht unter dem Titel des Ersteren: „Il Barbiere di Siviglia, ossia l’inutile Precauzione“, auf die Bühne brachte, sondern sie „Almaviva ossia l’inutile Precauzione“, benannte. (Nachgehends ist der Titel „der Barbier“ allerdings wieder gang und gäbe geworden.)

Also wie gesagt, alles Vorbeugen und Entschuldigen fruchtete nichts; eine Demonstration gegen das zu erwartende Erzeugniß Rossini’s war beschlossene Sache, und am Abend des 5. Februar 1816, wo der „Barbier“ zum ersten Male auf der Argentina gegeben wurde, feierten der Neid, die Bosheit und das Vorurtheil in dem Theaterscandal, den sie organisirt hatten, eine wahre Orgie. Keine Nummer der Oper, von der Ouverture bis zum zweiten Finale, wurde ruhig angehört; Verhöhnungen regneten stromweise herab auf Musik, Darsteller und Situationen, ja, sie erstreckten sich sogar auf den nußbraunen Rock, in dem Rossini am Flügel saß; Tumultuiren, Pfeifen, Gelächter, die Applaudirungsversuche einer vernünftigeren Publicums-Minorität und der Freunde des Componisten – Alles das bildete ein Charivari, ein Chaos, das unentwirrbar war.

Mußten nun auch noch Vorfälle sich ereignen, wie: daß dem Almaviva mehrere Saiten seiner Guitarre rissen, als er sich seine erste Arie accompagnirte, – daß Basilio bei seinem Auftreten hinfiel und mit blutender Nase die „Calunnia“ singen mußte, – daß, um das Maß voll zu machen, im ersten Finale eine Katze sich auf die Bühne verirrte und, scheu gemacht durch die Lichter, den Lärm und die Musik, wie toll herumras’te! Und Rossini? Natürlich war er machtlos gegenüber dem Scandal; doch ließ er sich nicht insoweit werfen, daß er nicht hin und wieder den gegen ihn geschleuderten Invectiven und Interpellationen derbe Repliken entgegensetzte, auch wohl auf seinen Stuhl stieg und den gemißhandelten Darstellern seines gemißhandelten Werkes Muth zum Ausharren zusprach oder Beifall zuklatschte. Daß er damit nur Oel in’s Feuer goß, ist ersichtlich.

So ungefähr war die erste Vorstellung des „Barbiers“ beschaffen. Die zweite zu dirigiren hatte er auf’s Entschiedenste verweigert; denn die Behandlung, welche er erfahren hatte, war ihm denn doch ein wenig zu hahnbüchen, und er fürchtete eine Wiederholung derselben. Ruhig blieb er daher am Abend der zweiten Vorstellung in seinem Zimmer. Da hörte er mit einem Male einen Tumult, erst aus der Ferne schallend, dann immer näher heranbrausend; aus dem Gewirre lösen sich Rufe mit seinem Namen los. Kein Zweifel, im Theater war wieder der Teufel los gegangen; die Pöbelhaftigkeit wollte sich ihr Hauptopfer nicht entgehen lassen und kam nun, um im eignen Hause den gehaßten Rossini zu insultiren. Wer aber malt sein Erstaunen, als er in den die Treppe Heraufstürmenden und in sein Zimmer Dringenden statt einer Rotte von Gegnern eine Schaar von Freunden erblickt, die ihn jubelnd umringt mit der Verkündigung, daß der erste Act seiner Oper nicht nur mit Ruhe angehört, sondern auch mit Enthusiasmus aufgenommen worden sei; daß das Publicum stürmisch nach ihm verlange, und daß er mit in’s Theater müsse, um den zweiten Act zu dirigiren. Die unten vor dem Hause versammelte Menge hatte sich inzwischen mit Fackeln versehen, und beim Scheine derselben wurde der Componist im Triumph zur Argentina geleitet, wo man nun eben so überschwänglich in Gunst- und Ehrenbezeigungen gegen ihn war, als früher in Schmähungen und Verlästerungen. Erkläre sich diesen Umschlag wer will und kann; genug ist’s, daß mit ihm der „Barbier“ in seine Rechte eingesetzt wurde und daß Neid und Cabale ihr Werk umsonst gethan hatten.


Eine Wohlthat für Viele. Es giebt ein Hausmittel gegen ein kleines, aber recht empfindliches Uebel, das andern Mitteln beharrlich trotzt. Das Uebel heißt Hühnerauge und tritt oft so unbescheiden auf, daß Proppen nicht mit Unrecht behauptet, er hätte eines, welches so groß wäre, daß er nicht mehr wüßte, wer das Hühnerauge und wer die Zehe ist.

Gegen Hühneraugen, die äußerlich unmittelbar mit dem Schuhwerke in Berührung stehen, sind Ringe aus Leder oder Filz, mit Heftpflaster um das Hühnerauge befestigt, mit gutem Erfolge angewendet worden. Anders verhält es sich aber, wenn Hühneraugen beseitigt werden sollen, welche zwischen zwei Zehen sich angesiedelt. Hier helfen die Ringe nicht mehr, da sie leicht hart werden oder sich verschieben, zumeist aber wohl darum nicht, weil sie auf die bereits empfindliche, oft entzündliche Stelle der mit dem Hühnerauge behafteten Zehe aufgesetzt werden.

Die Hühneraugen zwischen den Zehen entstehen fast immer in Folge des Druckes, den die hervorragenden Knochen der Zehengelenke auf die benachbarten Zehen ausüben. Mit liebenswürdiger Ausdauer pflegen diese Knochentheile die Kinder ihrer Laune großzuziehen und zu unterhalten, und das um so eifriger, je mehr sie darin durch die meist ungeschickte, aber seitens der Herren Schuhmacher mit Stolz vertheidigte, auf das Zusammenpressen der Zehen hinzielende Façon des Schuhwerkes unterstützt werden. Der Versuch, dem Verbrecher direct auf den Leib zu rücken, durch Aufkleben eines passenden Ringes auf die Stelle der Zehe, welche durch ihren Druck auf der Nachbarzehe ein Hühnerauge verursacht – (das Auseinanderhalten der beiden feindlichen Nachbarn vermittels des Ringes) – hat die beste Wirkung gehabt; die arme Hühneraugenzehe, froh, von dem Drucke der Knochen ihres Nebenmannes befreit zu sein, beeilte sich nicht blos, keine Schmerzen mehr wahrnehmen zu lassen, sondern in der kurzen Zeit von zwei bis drei Wochen auch ihr Hühnerauge, in Form eines harten, linsenförmigen Körperchens, abzustoßen.

Das gepriesene Mittel besteht also 1) in einem kleinen Ringe aus Gummi elasticum (weiches Gummi, wie solches zum Auswischen von Bleistiftstrichen benutzt wird), den sich Jedermann leicht mit der Scheere zurechtschneiden kann, 2) aus einem ungefähr einen halben Zentimeter breiten und achtzehn bis zwanzig Centimeter langen Striemen mit Heftpflaster bestrichener Leinwand, und 3) aus einem mit Heftpflaster bestrichenen Leinwandläppchen von der Größe des Ringes.[1] – Das Leinwandläppchen wird unter den Ring gelegt und dieser mit sammt dem Läppchen an die Stelle der Zehe angehalten, welche die Ursache des Hühnerauges war; dann wird, behufs Befestigung des Ringes, der Leinwandstriemen so um Ring und Zehe geschlungen, daß die dem Hühnerauge zugekehrte Ringöffnung nicht überdeckt werde. Die Ringe bleiben auch Nachts liegen; das Heftband pflegt eine Woche lang, ohne ein Verrutschen zuzulassen, zu halten.

  1. Kann Einfachheit halber auch wegbleiben, da das Läppchen nur dazu dienen soll, dem Ringe auf der Zehe eine ebene Unterlage zu bereiten.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_047.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)