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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Hast Du wohl wieder daran gedacht, Rosalie,“ sagte er, „daß ich Dir einst sagte, wir wollten gleich nach unserer Trauung eine größere Reise miteinander antreten, daß das Ziel derselben aber ein Geheimniß bleiben sollte, bis ich alle dazu nöthigen Anordnungen getroffen hätte?“

Sie nickte und blickte erwartungsvoll zu ihm auf.

„Nun, Rosalie, erräthst Du, wohin ich Dich zu führen gedenke?“ fuhr er fort und sah sie dabei mit glänzenden Augen an, als weide er sich schon im Voraus an ihrer Ueberraschung.

Es war, als ginge eine Ahnung in ihr auf, doch wagte sie nicht, derselben Worte zu leihen.

„Nach Spanien, Deinem Vaterlande!“ antwortete er ihrer stummen Frage.

Ein heller Jubelruf drang aus Rosaliens Brust, dann aber brach sie in Thränen aus, um ihrer tiefen Bewegung Luft zu machen. „O mein Gott, das Glück ist zu groß!“ sagte sie mit halberstickter Stimme.

„Hattest Du solche Sehnsucht dorthin und sprachst sie nie aus?“ fragte er gerührt.

„O Hermann, ich habe mir immer gedacht, wenn ich je recht glücklich werden sollte, müßte ich wieder in Spanien, dem Lande meiner Mutter, sein! Und hernach – hernach begriff ich es nicht, daß nun doch Alles anders geworden ist.“

Es war, als flöge ein leichter Schatten über sein Gesicht, aber er sagte nur: „Warst Du nicht noch sehr jung, Rosalie, als Du mit Deiner Mutter dem Vater nach Deutschland folgtest?“

„Ich war zehn Jahre, Hermann, also alt genug, um die Erinnerung zu bewahren und den Schmerz der Mutter nachzufühlen, die unzählige heiße Thränen vergoß, als sie in das fremde Land kam. Was ich nicht selbst noch wußte, erzählte sie mir, und wenn es hier kalt und trübe und neblig war, dann träumten wir uns in das schöne, sonnige Land zurück und die Mutter sagte wohl, sie würde daran sterben, daß man sie von dort fortgenommen habe.“

„Und der Vater, was fühlte er bei dem Heimweh Deiner Mutter?“ fragte Hermann.

„O, vor dem Vater wußte sie es zu verbergen, denn sie liebte ihn sehr und sagte immer, wegen derer, die man liebe, müsse man bei seinen Leiden lächeln können; und so zeigte sie ihm stets ein heiteres Gesicht, während nur ich wußte, wie krank ihr Herz war. O, ihre Liebe war sehr groß,“ fuhr sie fort, indem Thränen in ihre dunklen Augen traten, „denn als der Vater gestorben war und ich sie fragte, ob wir nun wieder nach Spanien zurückkehren würden, schüttelte sie traurig das Haupt und sagte: ‚Ohne Liebe giebt es kein Leben mehr, Rosalie! Ich werde nun auch sterben!’ Und ehe das Jahr herum war, wurde sie zu dem Vater gelegt.“

Hermann hatte theilnehmend den Erinnerungen seiner jungen Braut gelauscht. Er wußte, daß Rosaliens Vater in jungen Jahren als Kaufmann nach dem südlichen Spanien gekommen war und dort mit der Liebe die Hand der schönen Tochter seines Handelsfreundes gewonnen hatte. Als ihn später seine kaufmännischen Pläne, so wie wohl auch die Liebe zum Vaterland nach Deutschland zurückgeführt, war er selbst auf einer Reise mit der Familie bekannt geworden und in freundschaftliche Beziehungen zu ihr getreten, die bis zum Tode von Rosaliens Vater, welcher unerwartet einem hitzigen Fieber erlag, währten. Der Verlust des heißgeliebten Gatten beschleunigte dann bei der unglücklichen Mutter die Entwickelung einer Brustkrankheit, deren Keim schon länger in ihr gelegen haben mochte, und als Rosalie sechszehn Jahre zählte, waren ihre beiden Eltern bereits gestorben.

Um sie von ihren trüben Gedanken abzubringen, lenkte Hermann ihren Geist wieder ihrem Vaterlande zu und wußte ihre Erinnerungen so anzuregen, daß sie ihm mit beredten Worten und lebhaften Farben die Schönheiten und Herrlichkeiten desselben schilderte. In ihrer Erregung hatte sie sich auf den Boden niedergleiten lassen, und während sie mit auf seine Kniee gestützten Armen zu ihm aufblickte und immer begeisterter zu ihm sprach, sah er mit Entzücken in ihre glänzenden Augen, auf die von innerer Lebendigkeit gerötheten Wangen.

Plötzlich wurden Beide durch den unerwarteten Ausruf einer fröhlichen, lachenden Männerstimme aufgeschreckt. „Holla, Egmont und Clärchen, vivant hoch!“ erscholl es, und als Rosalie erschrocken aufsprang und Beide nach der Richtung schauten, woher die Worte kamen, erblickten sie die schlanke Gestalt eines schönen, jungen Mannes, dessen Näherkommen auf der Landstraße sie nicht bemerkt hatten und der sich in diesem Augenblick über die Hecke schwang, welche ihn noch von dem Garten trennte. Ehe Rosalie sich noch von ihrem Erstaunen erholen konnte, sah sie, wie Hermann dem Fremden entgegeneilte und ihn mit dem Ausruf: „Willkommen, tausendmal willkommen, mein theurer Alfred!“ in die Arme schloß. Dann nahm er ihn bei der Hand und zog ihn nach der Stelle, wo das junge Mädchen stand.

„Rosalie, das ist mein Bruder Alfred, und Alfred, mein lieber Junge, da stehst Du vor meiner Braut, die bald Deine Schwester sein wird!“

„Du sprichst, als ob wir Fremde wären,“ entgegnete Alfred, indem er seine Schwägerin begrüßte, deren ausfallende Schönheit ihn indessen in diesem Augenblick dermaßen frappirte, daß er nicht ohne eine leichte Befangenheit fortfuhr: „Erinnern Sie sich, daß wir uns vor drei Jahren gesehen haben, ehe ich zur Universität ging?“

„O ja, damals lebte meine Mutter noch und ich war ein Kind,“ entgegnete Rosalie.

Die Worte, so einfach sie klangen, berührten ihn eigenthümlich, denn sie erinnerten ihn an die Zeit, wo die schöne fremde Frau mit ihrer vierzehnjährigen Tochter bei seiner damals noch lebenden Mutter zum Besuch auf Lossau gewesen war und wo er selbst der Würde des angehenden Studenten vergessen hatte, um mit dem schönen Kinde in dem Park Haschen und Verstecken zu spielen. Nun stand statt des Kindes die Braut des Bruders vor ihm, und der Park, das Haus, in welchem er aufgewachsen, galt fast schon als ihr Eigenthum, so daß es ihm war, als habe er das Gastrecht von ihr zu erbitten, deren dunkle Augen auf seinen Zügen ruhten. Der Bruder machte jedoch in seiner freundlichen Weise der momentanen Befangenheit ein rasches Ende, indem er ausrief:

„Ich wette, Ihr werdet bald wieder die besten Freunde sein, und Rosalie wird gleich mir es Dir hoch anrechnen, daß Du gekommen bist, um zu des Predigers Segen auch den Deinen zu fügen!“

„Wann wird denn die Hochzeit sein?“ fragte Alfred.

„In drei Wochen!“ rief Hermann fröhlich, während Rosalie erröthend vor sich niederblickte. „Aber wie kannst Du nur fragen? Habe ich Dir nicht alles nach Göttingen geschrieben?“

„Richtig – ich besinne mich jetzt,“ entgegnete Alfred wie aus einer Art Zerstreutheit erwachend. „Die Nachrichten beschleunigten meine Abreise von dort, denn es drängte mich, aus vollem Herzen zu rufen: ,Haus Lossau für immer!’“

„Und jetzt werden Sie immer bei uns bleiben?“ fragte Rosalie erregt.

Alfred lachte. „Dann möchte ich drei Jahre in Göttingen vergeblich zugebracht und die Wechsel meines großmüthigen Herrn Bruders ebenso vergeblich vertilgt haben, meine schöne, kleine Schwägerin!“

„Du denkst nicht daran, liebe Rosalie,“ fiel Hermann, dem diese letzte Erwähnung unangenehm zu sein schien, rasch ein, „daß Alfred sich dem Staatsdienst widmen will, der ihn uns wohl kaum lange gönnen wird. Wohl aber dürfen wir hoffen,“ fuhr er fort, indem er dem Bruder herzlich die Hand bot, „daß er immer wissen wird, wo für alle Zeit seine Heimath ist!“

Die Gesellschaft war während des Gesprächs dem Hause zugeschritten, wo jetzt auch die Tante den Neffen, welcher ihr Liebling war, bewillkommnete. Er war gewohnt, stets in einem neckenden Ton mit der alten Dame zu reden, und dies half ihm auch jetzt dazu, daß er seine frühere Unbefangenheit vollkommen wieder gewann. So herrschte denn bald die heiterste Unterhaltung in dem kleinen Kreise. Unwillkürlich ward dieselbe auf das Gebiet der Jugenderinnerungen gelenkt und manch heitere Erlebnisse wurden aufgetischt, wie denn bei Alfred eine immer fröhlichere, fast übermüthige Stimmung Platz griff, welche ansteckend auf die Uebrigen wirkte. Nur Rosalie war stiller, als es ihre Weise zu sein pflegte, und ihr Ernst mußte Alfred auffallen, denn er bemerkte:

„Vergeben Sie uns unsere Reminiscenzen, Rosalie, die Ihnen fremd sind und Sie daher nothwendig langweilen müssen?“

„O nein, ich höre Ihnen sogar sehr gern zu!“ rief sie und erröthete dann selbst über den Eifer, mit welchem sie dies versichert hatte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_066.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)