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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sie zum Kirchhof, der eine kleine Erhöhung bildete und die oben befindliche Kirche umgab.

„Lassen Sie uns hier einkehren!“ bat Rosalie und trat in das offen stehende Thor.

„Warum?“ versetzte er etwas unmuthig, „warum wollen wir uns den heiteren Sinn trüben? Ich halte nicht viel von Kirchhofsstimmungen.“

„Und mich zieht ein Friedhof oft wunderbar an!“ sagte sie, plötzlich zu einem eigenthümlichen Ernst übergehend, und beugte sich nieder, um die Grabschrift auf einem der Leichensteine zu lesen. „Aus Tod Leben!“ las sie und blickte sinnend auf das in ziemlich roher Arbeit ausgehauene Symbol, einen Schmetterling, der sich der Hülle entwunden hatte.

„Gott grüß’ die Herrschaften!“ tönte in diesem Augenblick eine bescheidene Stimme hinter ihnen, und als Beide aufblickten, gewahrten sie ein altes, ziemlich ärmlich gekleidetes Mütterchen, das zur Seite einer jüngeren Frau, welche ein kleines, mit einem Tuche verhangenes Kind auf den Armen trug, der Kirche zuschritt. „Wir danken Euch, Mutter!“ sagte Alfred, und er wie Rosalie traten unwillkürlich näher.

„Gehört Ihr zu dem Kinde?“ fragte die Letztere.

„Ja, es ist mein Enkelkind und ich geleite es zur heiligen Taufe. Wir sind aus Wellbach, und da wir keine eigene Kirche haben und meine Kräfte nicht ausreichten für den weiten Weg, hat die Marthe, unsere Nachbarin, das Kleine hergetragen.“

„Und seine Eltern?“ fragte Rosalie weiter.

„Meine Tochter ist noch nicht vom Kindbett erstanden.“

„Und der Vater?“

„Ja, sehen Sie, liebe Dame, das ist eine traurige Geschichte! Der Jakob, welcher der Liebste meiner Tochter war und sie sicher geheirathet hätte, ist als Matrose auf der See gestorben und der Gram darüber hat meiner Anna schier das Herz abgefressen. Als dann der arme Wurm da zur Welt kam, wollten die Leute, die sie früher Alle lieb gehabt, nichts mehr von ihr wissen – und darum müssen wir denn auch so allein zur Kirche gehen,“ setzte sie mit einem kummervollen Seufzer hinzu.

Ein Ausruf des Unwillens entfuhr Rosaliens Lippen und sie wandte sich nach der jungen Bäuerin, die während der Unterhaltung auf einem der Steine Platz genommen hatte.

„Wollen Sie die Kleine sehen?“ fragte diese und schlug das Tuch zurück, welches das Kind bedeckte. Aus der ärmlichen Umhüllung blickten Rosalie ein Paar dunkle Augen, ein Gesichtchen an, das sie durch seine feine Bildung überraschte. Gerührt sah sie auf und begegnete den Blicken Alfred’s, der gleichfalls näher getreten war, um das kleine Geschöpf zu betrachten. Es kam ihr eine plötzliche Eingebung:

„Alfred, wollen wir die Pathen des Kindes werden?“ fragte sie.

„Ja,“ entgegnete er rasch, „wenn die Alte darein willigt, daß es Rosalie genannt wird.“

„Wollt Ihr das, gute Frau?“ fragte das junge Mädchen.

(Fortsetzung folgt.)




Die Inselburg im Rhein.

Welches stolze Schloß entsteiget
Dort dem grünen Rhein?
Seht die Fluth, die seitab weichet,
Brandend an dem Stein.
Wie ein Kriegsschiff kommt’s geflogen
Auf den schnell bewegten Wogen,
Streckt der Thürm’ und Thürmchen viele
Wind und Rhein zum lust’gen Spiele.
                                             G. C. Braun.

Mitten im Rhein, umspült von des Stromes grünen Wogen, steht fest und sicher, dem Zahne der Zeit schon seit Jahrhunderten trotzend, die malerische Inselburg Pfalz.

Wer den Rhein zum ersten Male bereist und in der Strombiegung – bei Oberwesel rheinauf oder hinter Bacharach rheinab – dieses phantastische Felsennest gewahrt, dem dürfte schwerlich sofort ein vernünftiger Zweck für die Erbauung dieses wunderlichen Castells einleuchten. Wer aber gar in mondheller Sommernacht, auf dem Verdecke eines Rheindampfers stehend, die Pfalz zum ersten Male erblickt, dem drängt sich ein Vergleich dieses wundersamen Baues mit einem bewimpelten Kriegsschiffe unwillkürlich auf, ein Vergleich, den die sonderbare Gestaltung des Stromes, der hier wie ein bergumgrenzter Landsee erscheint, und der hohe Mittelthurm in seiner abenteuerlichen Form unterstützt. Kleine Thürmchen flankiren die Seiten des sechseckigen Baues, hier schiebt sich ein Erker, dort eine „Pechnase“ aus dem Hauptrumpfe vor, zahlreiche Schießscharten lugen unter der Schieferbedachung heraus und eine vergatterte Einlaßpforte, hoch genug und dem zeitweilig hohen Wasserstande entsprechend, bietet den einzigen Zugang zu dem Gebäude. Die Pfalz ist in der That die sonderbarste und eigenthümlichste der rheinischen Burgruinen.

Auf einem Thonschieferfelsen der „Valckenaue“, wie dies kleine Eiland nach seinen früheren Besitzern, den Falkensteinern, ehemals genannt wurde, erhob sich nach chronistischen Nachweisen schon um 1267 ein bescheidener Bau, der von den Zollerhebern Philipp’s, des Altherrn von Bolanden, bewohnt war. Die rheinische Geschichte sagt uns wenig darüber, wann die Erbauung der jetzigen „Pfalz“, der „Burg auf dem Rhein“, stattfand; sie erscheint um 1329 in dem Vertrag von Pavia wieder als der „Pallenz Gravenstein“ (Pfalzgrafenstein) und diente auch hier als altpfälzische Zollstätte, eine Bestimmung, welche muthmaßlich der ebenfalls mitten im Rhein auf einer Insel stehende Mäusethurm mit ihr theilte.

Damals aber erhob sich nur der neunzig Fuß hohe, ursprünglich vierseitige, höher – durch eine Aenderung der beabsichtigten Grundform auf der südlichen Seite – in einem Fünfeck verlaufende Mittelthurm auf der Falkenau. Seine Bestimmung verdoppelten die Elemente; er diente gleichzeitig als Eisbrecher und stand, ein treuer Schützer, fest gegen alle Unbill des Hochwassers, gegen die treibenden Eisschollen – ein rüstiger Kämpe, niemals besiegt, niemals gestürzt.

Zur Zeit, als Caub und der Inselthurm pfälzisch wurden, Ende des dreizehnten Jahrhunderts, entstanden, muthmaßlich als Ringmauern um den Hauptthurm, erst die äußeren Baulichkeiten, ein Sechseck mit fünfundzwanzig Thürmchen, gekrönt von Wetterstangen, und die Burg ward abermals – eine ausgesprochene Stromplage, eine Zollerhebungsstätte, welche Handel und Verkehr auf dem Rhein nicht wenig bedrückte. Die Stärke der Mauern mußte wohl, dem mächtigen Anprall des Treibeises entsprechend, in so gewaltiger Weise hergestellt werden; sie beträgt ungefähr sechs Fuß. Die zugespitzte Untermauerung aus rothen Sandsteinquadern ist mit armdickem Eisenwerk verbunden. Gleichzeitig richtete man vorsorglich den ganzen Bau zur Vertheidigung her. Unnahbar war die Veste, denn von den Pechnasen und Erkern aus war jedes herankommende Schifflein zu beschießen und ein doppelter Wallgang deckte die Besatzung von Armbrustschützen, die hier ihres doppelten Amtes, der Unterstützung der Zollerhebung und des Kriegsdienstes, wartete.

Die Rheinpfalzgrafen trieben hier das Raubrittergeschäft gar arg. Schier unaufhörlich läutete die Stromwache das Glöcklein auf dem Thurme der Pfalz, um die Fahrzeuge zu signalisiren, und die rheinischen Schiffer kannten das Zeichen; es hieß: Anhalten und Bezahlen. Bis auf die neueste Zeit aber behielt der Ort Caub seine Zollstätte – das nassauische Steueramt, bis auch dieses durch die Abschaffung des Rheinzolles und die Einverleibung in Preußen beseitigt wurde. Indeß diente ehemals der Thurm der Pfalz auch als Wahrschau für die Schiffer, und sein Thurmglöcklein hat wenigstens in dieser Beziehung Nutzen geschaffen; es warnte die Schiffe vor nahenden Flößen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_068.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)