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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Freiheit und Gleichheit man in Italien behandelt wird. Fast überall behält der Italiener den Hut auf dem Kopfe und häufig wird man, selbst von Behörden und in Zimmern, ersucht, ehe man spricht, sich wieder zu bedecken. Mir begegnete es mehrmals, daß man sagte, man spräche nicht eher mit mir, bis ich mich wieder bedeckt habe. Man sei hier dies gewöhnt und dies sei Sitte und Gleichheit vor dem Gesetze. Der Arbeiterstand und dergleichen Leute halten viel auf dies Vorrecht; sie treten häufig sans façon mit bedecktem Kopfe vor Hoch und Niedrig, vor Behörde und Gericht.

Weil das gute Bäuerlein so redselig war, so erfuhr man auch schon im Audienzsaale, was er wolle. Er hatte nämlich eine Ziege verloren und den Verlust sollte ihm der König ersetzen.

Nach dem Bauer aber kam eine hohe, feingekleidete, junge Dame mit einem etwa vierjährigen Kinde. Das Kind mit seinen großen, schwarzen Augen und seinem Lockenhaare, mit seinen naiven Fragen und Bewegungen schien die Anmuth und der Liebreiz selbst. Die Mutter, denn dies war gewiß die Dame, schien eine Officierswittwe. Sie war ganz schwarz gekleidet und spielte bald mit dem Kinde, bald suchte sie an dessen Kleidung etwas zu ordnen. Ein Bouquet, wohl für den König bestimmt, hielt das Kind in seiner Hand. Ich selbst kam neben die Dame und deren Kind zu sitzen, denn ich war der Viertangemeldete. Nach mir kamen ein Pole und ein Ungar und dann wieder eine Dame. Diese Letzte von uns Sieben war eine ältere Frau oder vielleicht auch eine alte Jungfrau. Jedenfalls war sie etwas Xanthippe und zur Herrschsucht geneigt, denn sie wollte durchaus nicht die Letzte sein, trotzdem, daß sie erst nach allen Anderen zur Anmeldung gekommen war. Der Protest der vergilbten und veralteten Jungfrau nützte aber nichts. Man sprach offen, bezugnehmend auf unsere Zahl und auf die Alte selbst, von bösen Sieben und bewies ihr deutlich, daß ihr nur dieser und der letzte Platz gehöre. Sie mußte sich, die hier wohl allein Aergerliche, in das Unvermeidliche fügen und bekam auch noch ein Lachen und Zischen mit in den Kauf. Wahrlich, Geselligeres und Ungenirteres habe ich noch nie gesehen, als hier in den Zimmern des Königs. Unsere Ausgelassenheit war so groß, daß der Adjutant mehrmals mit „Bst! Bst!“ erinnern mußte.

Nachdem wir Alle geordnet waren und Platz genommen hatten – es war noch nicht halb zwölf Uhr – öffnete sich schon die innere Thür und das Königsgemach selbst. Ein Kammerherr stand innerhalb der Thür, da, wo die Officiersschildwache außen stand. Der Ruf: „Avanti!“ – es war des Königs Stimme – ertönte und Nr. 1, der Arbeiter, erhielt vom Adjutanten das Zeichen, in den innern Saal und dann sofort in des Königs Zimmer selbst zu treten. Nur wenige Minuten blieb der Arbeiter aus, kam dann mit einem Papier und freudiger Miene zurück und entfernte sich. Nun kam es an den Bauern. Auch er war nur kurze Zeit bei dem Könige, klapperte bei dem Austritte mit Thalern in der Hand und schien somit seine Rechnung oder vielmehr seine Ziege wiedergefunden zu haben. Wieder rief es: „Avanti!“ wobei die junge und zarte Dame sichtlich erschrak, denn an ihr war nun die Reihe. Schnell und sicher erhob sie sich jedoch nunmehr und schritt zierlichen und leichten Schrittes, mit dem Kinde an der Hand, vorwärts in des Königs Gemach. Etwas länger, als die Vorhergehenden, blieb diese; sodann kam auch sie, ohne daß man eine besondere Veränderung der Gesichtszüge an ihr bemerkt hätte, wieder in unsern Saal und entfernte sich. Nur das Kind schien noch freudiger zu sein und hüpfte spielend und tändelnd an der Mutter empor. Statt des Straußes trug das Kind eine Papierrolle.

Wieder erscholl der bekannte Ruf „Avanti!“, diesmal, wie mir schien, noch stärker, als zuvor. Es galt jetzt also mich selbst. Bei mir machte jener Ruf jedoch gerade die umgekehrte Wirkung, wie bei der Dame. Er erinnerte mich an die volle und helle Stimme eines Feldherrn und eines Patrioten. Das „Avanti!“ war hier für mich das Commando eines gewaltigen Kriegers, der seine Truppen vorwärts sendet zur Schlacht. Des Königs Ruf ermunterte und ermuthigte mich. Rasch und freudig mich erhebend, eilte ich festen und sicheren Schrittes durch die Gemächer, um mich dem König vorzustellen. Jetzt stand ich vor ihm und jetzt erst konnte ich dessen Gemach überblicken. Es war freundlich und schön. Es schien ein Arbeitszimmer des Königs, denn viele Papiere und Bücher sah man in demselben. An einem kleinen Tische saß ein Secretär mit der Feder in der Hand. Der König selbst, eine hohe und stattliche Gestalt, mit einem großen und dichten Schnurr- und Knebelbarte, trug einen einfachen Civil- oder Jagdrock. Nur ein einziges Bändchen – es war das Band zur Erinnerung an den Unabhängigkeitskrieg – zierte ein Knopfloch des Rockes. Die Gesichtszüge des Königs schienen auf den ersten Blick streng und markirt, doch sprach bei näherer Betrachtung eine ungemeine Gutmüthigkeit und Leutseligkeit aus den Augen des Monarchen. Er stand gerade aufrecht, wie ein Soldat, sich nur mit einer Hand auf einen großen runden Tisch stützend. Auf dem Tische selbst lagen wieder viele Papiere und unter einem marmornen Briefbeschwerer zeigten sich auch verschiedene Banknoten. Eine große silberne Schüssel war fast voll von Thalern, eine andere mehr tellerartige flache Schüssel war angehäuft mit Goldstücken. Zur Seite des Königs stand ein graubärtiger General in voller Uniform und mit vielen Orden geschmückt. In einer Ecke des Zimmers aber lag auf einem einfachen Teppiche ein großer Jagdhund und schlief den Schlaf des Gerechten. Der treue Hund mochte wohl wissen, daß sein Herr und Gebieter nichts zu fürchten habe. Im Ganzen zeigte das Zimmer weniger Luxus und Reichthum, als die beiden äußeren Säle. König, General und Secretär richteten bei meinem Eintritt die Augen fest auf mich und schienen nicht unangenehm berührt zu sein. Ich aber trat bis auf drei Schritte auf den König zu und brachte nach einer kurzen Kopfneigung sogleich mein Anliegen vor. „Bene!“ sagte der König, „Sie zeigen sich als Mann und als Soldat. Melden Sie sich morgen bei meinem Adjutant und nun addio!“ Indem ich mich abermals etwas verbeugte, trat ich einige Schritte rückwärts und entfernte mich, um meinem Nebenmanne, dem Polen, und den noch Uebrigen Platz zu machen. Somit war die Audienz schnell und leicht beendigt.

Ich bemerke ausdrücklich, daß diese Audienz noch in Turin, also vor der Uebersiedelung nach Florenz stattfand, zur Zeit, als der König noch in der höchsten Volksgunst stand. Jetzt ist das anders. Man zürnt dem König, die Garde grüßt ihn nicht mehr so enthusiastisch wie früher, und er selbst ist um Vieles verschlossener, zugeknöpfter. Nur im engsten Kreise seiner Vertrauten thaut er auf und es mag wahr sein, was neulich der Mailänder Correspondent der Independance mitgetheilt. „Ich glaube,“ erzählt dieser, „man macht sich über Victor Emanuel viele Illusionen außerhalb Italiens. Man denkt ihn sich gewöhnlich wie einen biedern Landjunker, großen Nimrod und ,flotten Kerl’, der seine Minister regieren läßt und nur hier und da auf der Bühne erscheint, wenn er die Kanonen der Schlachten donnern hört. Die, welche dies behaupten, befinden sich im tiefsten Irrthume. Der König beschäftigt sich viel mit Politik, er hält sehr fest an seinem Königreich Italien und hat nicht immer so große Lust abzudanken, wie die Blätter häufig aussprengen. Und noch mehr, er hat viel röthere Ansichten oder wenigstens Geschmack für rothe Ansichten und ihre Vertreter, als die Royalisten seines Parlaments. Er verabscheut durchaus nicht die ,Corporale der Linken’, und ich würde Sie sehr in Erstaunen setzen, wenn ich Ihnen die ,Fortschrittsmänner’ nennte, die er jede Woche einmal zu Tische einladet. Neulich waren Crispi und Nicotera dabei. Letzterer hat selbst folgende Episode der lieblichen Tafelgespräche berichtet. Man trank tüchtig. Der König neckte Nicotera mit seinem ,eiligen Rückzug’ nach Neapel. Dieser wurde ärgerlich und sagte:

,Unter solchen Umständen wären Sie auch fortgelaufen, Majestät!’

,Ich brauche gar keine Courage zu haben,’ sagte lachend der König, ,dazu sind die Rothjacken da.’

,Die Mentana noch röther gemacht hat,’ sagte Crispi sehr beißend.

,Nun – wir zahlen’s den Leutchen noch einmal heim,’ erwiderte Victor und sein Gesicht verdüsterte sich. Und darauf declamirte er – eine der furchtbarsten Tiraden Alfieri’s gegen die Franzosen, welche bekanntlich der Turiner Poet ärger als den Tod haßte.

,Die Verse sind gut,’ sagte Nicotera.

,Und wir werden sie einmal in Prosa übersetzen,’ sprach lachend der Monarch, der offenbar sehr guten Vino d’Asti bei Tische führt.“

v. G.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_072.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)