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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Ah – das ist er, da ist der Wagen!“ rief der Oberst erregt und machte einen Schritt, dorthin zu eilen, von woher das Geräusch erscholl.

Im selben Augenblick hatte Mensing ein Reiterpistol aus seiner Brusttasche hervorgezogen. Er setzte es mit gespanntem Hahn dem Obersten auf die Brust.

„Noch einen Schritt weiter, und ich jage Ihnen eine Kugel durch die Brust, Obrist La Croix!“ sagte er.

Sacre!“ fluchte der Oberst, seinen Säbel fallen lassend … er sah, daß sein Gegner die Ueberlegenheit der Waffe für sich hatte.

„Sie werden mir Ihr Ehrenwort geben,“ fuhr Mensing fort, „daß Sie mir ruhig in’s Haus folgen und dort anhören werden, was ich Ihnen zu sagen habe … Ihr Ehrenwort … binnen zwei Minuten … oder ich tödte Sie – bei meinem Ehrenwort! … Nur eine Bewegung mit Ihrem Arm, als ob Sie mir das Pistol aus der Hand schlagen wollten … und Sie haben die Kugel im Leib!“

„Desperater Schurke!“ knirschte der Oberst in seiner Wuth.

„Hab’ ich Ihr Wort oder hab’ ich’s nicht?“

„Zum Teufel, ich gebe es Ihnen! Was fragen Sie, da Sie sehen, daß ich muß?“

„So kommen Sie … hierher … in’s Haus!“

Der Oberst folgte – Mensing führte ihn in’s Haus, in das Wohnzimmer neben dem Flur, und hier wies er auf den Stuhl, den eben Elise eingenommen.

Der Oberst setzte sich, die wuthblitzenden Augen auf Mensing richtend, der ihnen gefaßt und ruhig begegnete.

Mensing setzte sich an die andere Seite des Tisches; er legte das Pistol vor sich nieder, ohne den Hahn zur Ruhe zu setzen.

„Was ich Ihnen zu sagen habe, Oberst La Croix,“ hub er an, „ist kurz gefaßt dies: Der Fourgon enthält den Schatz des entflohenen Kurfürsten. Ich habe mich entschlossen, diesen Schatz seinem Eigenthümer zu retten. Ich weiß, daß es nur auf Gefahr meines Lebens geschehen kann. Desto weniger Federlesens werde ich dabei mit dem Leben Anderer machen, die mir hemmend in den Weg treten. Sie begreifen das?“

„Vollkommen!“

„Sie begreifen also die Bedeutung dieses Pistols für Sie, der Sie weniger gut bewaffnet, wie ich sehe, noch im Ballcostum sind?“

„Ich begreife auch das!“

„Aber Ihre Leute werden Ihnen folgen – Sie hoffen darauf, daß sie jeden Augenblick da sind?“

„Ich hoffe darauf; sie würden mich bald gerächt haben, mein Herr Lieutenant.“

„Möglich! Doch ist das Gerächtwerden ein schlechter Trost für einen Todten! Lassen Sie uns deshalb eilen, zu Ende zu kommen.“

Mensing faßte rasch unter den Tisch und hob einen der Beutel darauf; er legte ihn neben das Pistol.

„In diesem ledernen Sack,“ sagte er dabei, „sind fünfzigtausend Thaler in gutem, vollwichtigem Gold. Eine Summe, fast doppelt so groß als der Preis, der auf die Entdeckung des Schatzes gesetzt ist. Und hier daneben ist das geladene Pistol. Ich aber, mein Herr Oberst, das werden Sie einsehen, bin in einer Lage, worin ich mein Heil nur durch rasches und rücksichtsloses Handeln finde. Also Eins oder das Andere. Wenn Sie ruhig heimkehren und dabei auch Die, welche Ihnen auf Ihrem Rückwege begegnen mögen, mit sich zurücknehmen wollen; wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben wollen, daß Sie mich weder selbst, noch durch Andere, weder direct noch indirect verfolgen oder hindern werden, mein Vorhaben auszuführen und dem früheren Herrn dieses Landes ein Eigenthum zu sichern, das nur ihm gehört und Niemandem in der Welt sonst … dann sind diese fünfzigtausend Thaler für Sie! Wo nicht, so ist es die Kugel in diesem Laufe, und, wenn sie fehlt, die zweite in diesem!“

Mensing zog dabei den Griff eines zweiten Pistols aus seiner Brusttasche hervor.

Der Oberst betrachtete ihn mit einem eigenthümlichen Zucken der Gesichtsmuskeln – sein Auge irrte von Mensing’s Zügen zu dem schweren Lederbeutel und zu der Mündung des Pistols und wieder zu Mensing’s Zügen, worin er nichts als den entschlossensten und drohendsten Ernst wahrnahm.

„Wenn ich für das Geld meine Dienstpflicht verrathe, wer steht Ihnen dafür, daß ich nicht auch mein Ehrenwort verrathe?“

„Ich glaube an das Ehrenwort eines guten Soldaten – das sind Sie, Oberst …“

„So könnte ich auch an das Ihrige glauben, das ich mir doch auch ausbitten müßte …“

„Ich verstehe Sie und sehe, daß Sie gewählt haben!“ fiel Mensing hochaufathmend ein. „Ja, Sie können an mein Ehrenwort glauben, daß nie Jemand diesen Handel erfahren soll … ich werde schon deshalb nie vergessen, was ich Ihnen schuldig bin, weil Sie mir eine der größten Wohlthaten erweisen, die ein Mensch dem andern erweisen kann … weil Sie mir die Nothwendigkeit ersparen, einen Mord zu begehen! Nehmen Sie das Geld! Es gehört Ihnen!“

Der Oberst zog es mit raschem Griff an sich und stand auf.

„Der Teufel mag lange wählen,“ sagte er plötzlich auflachend. „Lieutenant[WS 1] Mensing, ich will Ihnen wünschen, daß Sie glücklich durchkommen! Von mir sollen Sie nichts mehr zu befürchten haben. Aber täuschen Sie sich nicht darüber, wenn Sie auch mit mir fertig geworden sind, verfolgt werden Sie doch – die Sache wird doch ruchbar werden und ich kann meine Mouchards nicht hindern, zu spüren. Es wäre schade um Sie, wenn man Sie faßte und füsilirte. Sie sind ein Mensch von respektabler Entschlossenheit. Aber der König würde gegen einen solchen Deserteur keine Gnade kennen. Also – nehmen Sie sich in Acht – und Adieu!“

„Ich habe Ihr Ehrenwort, Herr Oberst,“ antwortete Mensing; „Ihre Mouchards ängstigen mich nicht!“

„Sie haben mein Wort!“

Der Oberst ging und Mensing begleitete ihn auf den Hof.

Das Pferd stand draußen an der Thür angebunden – der Müllerbursche hatte sich aus dem Staube gemacht.

Mensing hielt das Pferd und den Beutel, während der Oberst aufstieg – dann reichte er diesem die goldene Last hinauf – Oberst La Croix verbarg sie unter seinem Mantel und ritt mit einem letzten lakonischen „Adieu!“ davon, über den einsam und stille daliegenden Hof.

Mensing blickte ihm hoch und frei aufathmend nach. „Dem Himmel sei Dank!“ sagte er. „Der wäre unschädlich gemacht! Und nun sehen wir nach unserem Schatze!“




5.

Der Schatz war für’s Erste gerettet. Mensing eilte auf die Felder hinaus, und beim Grauen der Dämmerung fand er bald den Fourgon und Wilhelm, Elise und die Mutter beschäftigt, die schweren Kisten in den Brunnen zu versenken, der etwa nur sechs Fuß Tiefe hatte. Er selbst griff wacker zu, und bald war Alles geschehen; die Oeffnung des Brunnens wurde mit Feldsteinen ausgefüllt und überdeckt.

Wilhelm nahm nun sein Gespann und fuhr damit in der Richtung eines nordwestlich, nach Cassel hinaus liegenden Dorfes. Noch bevor er dies Dorf nach einer halben Stunde erreicht hatte, begegnete er einem auf sein Geschäft ausziehenden Metzgergehülfen.

„Wollt Ihr ein starkes Trinkgeld verdienen?“ redete er ihn an.

„Weshalb nicht?“

„So fahrt diesen Wagen auf die Wilhelmshöhe – in den Marstall.“

„Wem gehört der Wagen?“

„Dem König.“

„Ah – und ich soll ihn auf die Wilhelmshöhe bringen?“

„Ja. Aber Ihr sollt sagen, Ihr hättet ihn so, wie er ist, ohne Führer hier in dem Felde haltend gefunden, und da Ihr an der Krone daran das königliche Eigenthum erkannt, brächtet Ihr ihn zurück. Wollt Ihr das?“

Der Mensch sah ihn mißtrauisch an.

„Wollt Ihr nicht, so finde ich schon einen Andern, der sich das Trinkgeld verdient!“

„Nein, nein, gebt nur die Zügel her!“

Wilhelm sprang vom Bock und ließ den Menschen aufsteigen, der mit dem Wagen weiter dem Dorfe zufuhr, aber, von Zeit zu Zeit sich zur Seite beugend, verwundert dem zurückeilenden Wilhelm nachblickte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Leutenant
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_079.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2021)