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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Stadt wohnte und deren Persönlichkeit ihm zu dein Zweck geeignet schien, mit der Bitte, Rosalie eine Zeit lang bei sich aufzunehmen, bis sich ihre Gesundheit, die durch heftige Gemüthsbewegungen erschüttert sei, gekräftigt habe. Die Antwort fiel zustimmend aus, und schon nach wenigen Tagen konnte Rosalie nach dem Orte ihrer vorläufigen Bestimmung abreisen.

Krank und gebrochen verließ sie Lossau, wie Hermann denn in der That nichts Unwahres berichtet hatte, als er von ihrem physischen Zustande schrieb; derselbe machte es ihr bis zu ihrer Abreise fast unmöglich, ihr Zimmer zu verlassen, so daß auch Hermann sie nach jener Unterredung kaum wiedergesehen hatte. Seine Pflege wies sie zurück und noch entschiedener die der Tante, welcher Hermann im Allgemeinen von den trüben Ereignissen so viel mitgetheilt hatte, wie er für nöthig hielt, um sich und Rosalie vor neugierigen und peinigenden Fragen zu schützen.

Ihr letztes Lebewohl sagte sie ihm schriftlich und bat ihn zugleich, sich und ihr die Qual einer nochmaligen Begegnung zu ersparen. Er ehrte ihre Bitte, und als der Wagen sie davon trug, bemerkte sie nicht, daß oben im Hause ein Mann im Fenster stand, halbverdeckt von den Vorhängen, der ihr mit trüben Blicken nachschaute. „Sie war das Licht meines Lebens,“ murmelte er, als er sie nicht mehr sah und das Geräusch der forteilenden Räder verhallt war.

Als sie auf dem Wege, der durch das Wäldchen führte, an der Stelle vorbeikam, wo der Blitz vor wenigen Tagen die Eiche getroffen hatte, lehnte sie sich aus dem Wagen hinaus, um nach den Trümmern zu sehen, die noch nicht fortgeräumt waren – dann richteten sich ihre düstern Augen gen Himmel – aber es war nicht zu unterscheiden, ob es ein Gebet um Vergebung oder um Rache war, das sie hinaufsandte.

In dem Cursaale von H. herrschte das gewohnte bunte Leben und Treiben. Es war hier wie auf einer Weltbühne, wo sich jedes Alter und jedes Geschlecht zusammen fand; die elegantesten und die abenteuerlichsten Gestalten drängten sich durcheinander und das Gewirr der Stimmen verrieth, daß hier jede europäische Nation vertreten war. Die stets wechselnden Gruppen, die modernen Toiletten, welche wiederum zu der glänzenden Decoration der Säle paßten, bildeten ein anziehendes Schauspiel für den Beobachter, doch interessanter noch war es, in dem Saale, wo die Bank aufgestellt war, die verschiedenen Physiognomien zu betrachten, die Wirkung des Spiels auf die Einzelnen zu studiren und dabei alle Stadien der Leidenschaft kennen zu lernen. Auch ein paar Officiere, die auf einem der Seitendivans Platz genommen hatten, schienen diese Art von Unterhaltung der Betheiligung an dem Spiel selbst vorzuziehen, denn sie hatten schon eine geraume Weile ihre Beobachtungen gemacht und sich einander mitgetheilt, wobei der eine von ihnen, welcher offenbar schon länger hier gewesen und mit den verschiedenen Persönlichkeiten vertrauter war, in der Regel den Erklärer machte.

„Ah, die schöne Spanierin,“ sagte er in diesem Augenblick, als eine Dame, begleitet von einer älteren, die ihre Gesellschafterin sein mochte, in den Saal trat und auf die Bank zuschritt. Sie war in der That von auffallender Schönheit und einer Haltung, die trotz ihrer augenscheinlichen Jugend – sie mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein – etwas Imponirendes hatte. Dabei war sie außerordentlich reich und zugleich geschmackvoll gekleidet, so daß sie in jeder Beziehung selbst an diesem Ort noch Aufsehen erregte. Sie selbst schien dies kaum zu beachten, denn ruhig und stolz nahm sie es an, daß sich der Kreis der um die Bank gedrängten Zuschauer vor ihr theilte, worauf sie selbst näher herantrat und gleich darauf zu Pointiren begann.

Die beiden Officiere waren ihren Bewegungen gespannt gefolgt, und jetzt wandte sich wieder der, welcher sie kannte, zu seinem Gefährten und sagte:

„Ist es nicht ein herrliches Weib?“

„Wahrhaftig, ich habe nie eine stolzere Schönheit gesehen! Diese Haltung – eine Königin könnte von ihr lernen! Und Spanien, sagst Du, ist so glücklich, ihr Vaterland zu heißen?“

„Man sagt, daß sie dorther stammt!“

„Ihr Name?“

„Sie heißt – warte einen Augenblick! nein, der Name will mir nicht beifallen. Ich weiß aber, daß ihr Mann ein deutscher Baron ist.“

„Vermählt? O Jammer und Elend! Man könnte toll werden vor Neid gegen den glücklichen Sterblichen!“

„Hm,“ lachte der Andere, „das Tollwerden möchte Dir der vielleicht schenken. Eine Musterehe soll er gerade nicht mit ihr führen.“

„Mit dem Götterweibe? Dann ist er ein Vandale! Aber wahrscheinlich verleumdet hier die Welt wieder einmal …“

Der Gefährte zuckte die Achseln. „Thatsache ist mindestens,“ fuhr er fort, „daß er in Paris lebt und sie sich einstweilen hier aufhält, ohne dem Anschein nach eine Cur zu gebrauchen, wie man denn davon spricht, daß die Trennung keine temporäre bleiben soll. Man sieht sie täglich an dem grünen Tisch. Sieh nur, mit welchem Anstand sie die Karten besetzt, mit welcher großartigen Ruhe sie dem Croupier ihre Verluste hinschiebt! Kein Zug des Gesichts verräth irgend einen Unmuth, keine Muskel zuckt – man sollte glauben, es handelte sich um Rechenpfennige. Ist denn gar kein Blut, keine Leidenschaft in dieser schönen Gestalt?“

(Fortsetzung folgt.)


Bilder aus den deutschen Alpen.[1]

Nr. 1. Das Fingerhackeln.

Es ist später Herbst, um die Nachmittagszeit. Draußen im Isarthal, in den oberbairischen Bergen, steht die riesige Benedictenwand und schaut herein durch die angelaufenen Scheiben – drinnen, in der Wirthsstube, ist tiefe behagliche Ruhe. Jetzt kann man’s schon leiden, wenn tüchtig eingeheizt wird. Lustig knistert das Feuer im dicken Ofen und daneben sitzt der dicke Wirth und denkt an die – Weltgeschichte. Wenigstens liegt der „Volksbot“ da drüben, die Nummer von vorvorgestern, und er nickt so ernsthaft mit dem Haupte! Es ist eine Ruhe voll Anstand und Würde.

Nicht viele Gäste stören seine Muße. Nur ein paar Flößer, die heut Blaumontag machen, sitzen am „grünen Tisch“ und spielen. Doch es ist nicht Roulette; der Tisch ist nur grün angestrichen, und daneben steht ein Croupier mit der Heugabel.

„Jesses – der Hansei!“ rufen die Spieler, als auf einmal die Thür knarrt. Nachlässig und stolz schlendert eine hohe Gestalt herein, und nachdem sie ringsum genickt, kauert sie schweigend am kleinen Tische nieder. Der Hansei mag nicht lange warten, „das ist ein scharfer Regent“, und deshalb hat er noch kaum mit den Augen geblinzt, so stellt schon die Kellnerin den schäumenden Krug vor ihn. Der rothe Jörgl von der Jachenau, der gegenüber sitzt, läßt sich auch nochmals einschenken, der hat gern „an Haingart“ (ein trauliches Beisammensitzen), und der Hansei war schon lang nicht mehr sichtbar, ’s ist nicht deswegen, weil ihm der Wirthshausbesuch von Oben verboten ist; darum schmeckt’s ihm nur um so besser, aber vielleicht „leidet’s sein Madl nicht“. So denkt sich wenigstens der schlaue Jörgl, und in neckendem Ton beginnt er:

„No, Hansei, mich freut’s nur, daß Dich Dein Dirndl doch alle Monat einmal auslaßt, denn so lang ist’s bald, daß wir Dich nimmer gesehen haben. Aber die hat Dich am Bandl!“

Hansei rückte den Hut aus die Seite, und das war ein schlimmes Zeichen. Die Stellung des Huts ist beim Bauern ein Barometer der Stimmung, und man kann nach den Winkelgraden berechnen – wann’s losgeht.

„Ich hab’ mir mein Dirndl schon besser dressirt,“ erwiderte er trotzig, „die geht auf’n Pfiff, da g’schieht, was ich will!“

  1. Unter dieser Gesammtüberschrift werden wir eine Reihe von Skizzen über die eigenthümlichsten Sitten und Gebräuche, Spiele und Kämpfe der baierischen und österreichischen Alpenvölker bringen und denselben durch Illustrationen von der Hand tüchtiger Künstler ein erhöhtes Interesse verleihen.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_084.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)