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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Seiner liebenswürdigen Gewohnheit gemäß, derartige Anerbieten gleich auszuführen, griff der General nach der Feder und reichte mir dann ein Blättchen, auf welchem er geschrieben hatte:

Varignano, 7. November 1867.

          Meine theure Teresa!

Du wirst unserer Freundin, der Frau von S…, eine Copie meiner Flucht aus Caprera geben. Wir sind alle wohl und ich hoffe, daß Du Montag (am 11.) Stephan[1] bei Dir auf Caprera haben wirst.

Den Kindern einen Kuß und Allen einen Gruß

von Deinem G. Garibaldi.“

Noch an demselben Abend kehrte ich nach Livorno zurück und beförderte Garibaldi’s Zeilen an seine Tochter, sie gleichzeitig bittend, mir die bewußte Abschrift bald möglichst zukommen zu lassen. Ich beabsichtigte, mich am folgenden Morgen nach Civita Vecchia einzuschiffen, doch gewaltige Ereignisse führten mich nicht nur zum zweiten Male in diesem Jahre nach La Spezia, sondern noch öfters in das schwer zugängliche Fort Varignano. Als ich Garibaldi kurz vor seiner Befreiung zum letzten Male dort besuchen durfte, hielt ich auf der Hinfahrt an der Post an, wo ich unter anderen Briefen einige Zeilen von Teresa, nebst der eigenhändig genommenen Abschrift der Documente, die ihr Vater bei Mistreß Collins zurückgelassen hatte, vorfand. Es ist eine möglichst treue Übersetzung dieser Blätter, welche ich hierbei folgen lasse.           Rom, 28. December 1867.

Elpis Melena.

Am Abend des 14. October 1867 verließen drei Männer das Gehöft auf Caprera und während sie den nach der Fontanaccia, dem an Wasser, Bäumen und Pflanzen reichsten Theil der Insel, führenden Pfad einschlugen, kam ein Vierter aus der Thür des hölzernen Stakets, welches das eiserne Häuschen mit dem Hauptgebäude verbindet, und verfolgte den breiten Weg, auf welchem man zur Hafenbucht Stagnatello gelangt. Die eigenthümliche Tracht und die dunkle, südliche Physiognomie des Letzteren verrieth in ihm den Sarden: es war Giovanni, unser Seemann, der Capitän des Yachtschiffes, welches der „Solitario“[2] den Sympathien der großmüthigen englischen Nation zu verdanken hat.

Die drei ersten Individuen trugen ein verdächtiges Kennzeichen, nämlich ein rothes Hemd, welches bei Barberini und bei Froscianti durch den Ueberrock, bei ihrem Gefährten dagegen durch den Poncho, den bekannten südamerikanischen Mantel, nur unzulänglich verborgen blieb. Barberini, von der Natur mit keinen physischen Vortheilen ausgestattet, deshalb aber nicht minder bevorzugt, war klein und gewandt und besaß, bei einer nur schmächtigen Stimme, einen eisernen Arm und den Muth eines Löwen, während Froscianti, bei denselben Herzenseigenschaften, sich einer starken, imposanten Persönlichkeit erfreute. Ich getraue mir nicht den Mann mit dem Poncho zu beschreiben: er ist der Gegenstand der erbärmlichsten Befürchtungen und der strengsten Vorsichtsmaßregeln eines der italienischen Nation unwürdigen Ministeriums, welches von Menschen, die wahrlich höheren Zwecken dienen sollten, Grausamkeiten gegen ihn vollziehen läßt.

Der Scirocco mit seinem melancholischen Geheul durchwehte unbarmherzig die kargen, aber kräftigen Stauden der vulcanischen Meerestochter Caprera … dunkle, von dem Sturm gepeitschte, Wolken verhüllten den Teggialone, den höchsten Punkt der Insel, und bildeten um sein Haupt so dichte Nebelmassen, daß, wenn sie erhabenere Berggipfel umlagert hätten, sie in eisige Schneeflocken verwandelt worden wären.

Schweigsam verfolgten die drei Männer ihren Weg, und wo das bald steigende bald sich senkende Terrain ihnen eine Fernsicht gestattete, hefteten sich ihre forschenden Blicke auf die Bucht Stagnatello, wo drei graciös sich hin und herschaukelnde Fahrzeuge sich sehen ließen. Das verödete, menschenleere Yachtschiff stand in schroffem Contraste zu der Kriegsschaluppe mit ihrem drohenden Geschütz und dem mit Militär und Matrosen vollgedrängten Kanonenboote. Die Sonne war untergegangen, und verhieß die einbrechende Nacht auch nicht einen entschiedenen Sturm, so verkündete sie doch jenen starken Scirocco, der, mit schädlicher Feuchtigkeit geschwängert, über die sumpfigen Gegenden Sardiniens herwehend, oftmals höchst lästig ist.

Als die drei Flüchtlinge das Feld der Fontanaccia erreicht hatten, sagte Froscianti: „Hier verlasse ich Euch und biege links ein, um die Punta dell’ Arcaccio[3] auszukundschaften.“

Seine beiden Freunde verfolgten ihren Weg, sie öffneten und schlossen wieder hinter sich die vier Gatter, durch welche man gehen muß, um zu dem Muro a secco, d. h. einer ohne Kalk, nur aus unebenen Felsenstücken zusammengesetzten Mauer, zu gelangen, die den bebauten Boden der Fontanaccia von dem brach liegenden Terrain trennt, welches sich bis zum Meeresufer erstreckt. An der Mauer angekommen, legte der Solitario seinen Poncho ab und vertauschte seinen weißen Hut gegen eine Kappe seines Sohnes Menotti. Die Kleidungsstücke, deren er sich entledigt, gab er an Barberini und nachdem er sich überzeugt, daß Niemand sich jenseits der Mauer befände, erklimmte er sie und sprang von derselben herab, mit einer erstaunlichen Behendigkeit.

Eine Erinnerung aus seiner abenteuerlichen Jugend begeisterte ihn und er fühlte sich um zwanzig Jahre jünger. Und übrigens, waren seine Söhne und seine Waffenbrüder nicht im Gefechte gegen die Söldlinge der Kuttenherrschaft begriffen? Konnte er sich ruhig verhalten? sich vielleicht mit dem Ausästen seiner Bäume begnügen und die schändliche Existenz der Moderati[4] führen? Als der Solitario die Mauer glücklich hinter sich hatte, sagte er zu Barberini: „Noch ist es zu hell, wir wollen uns ein Weilchen hier niederlassen und eine ,halbe Cigarre’ rauchen;“ darauf zog er ein Feuerzeug – es war ein werthes Andenken der liebenswürdigen Lady S… – aus seiner linken Tasche hervor, bediente sich desselben und reichte dann seinem Gefährten, der eine Cigarita in Bereitschaft hielt, seinen angezündeten Cavour. Diese lange, schwarze, toscanische Cigarre, die etwa einen halben Silbergroschen kostet, pflegt der Solitario nämlich in der Mitte durchzuschneiden und nur die Hälfte zur Zeit zu rauchen.

Die nächtlichen Schatten fingen bald an, die Atmosphäre zu verdunkeln, doch im Osten war ein schwacher Schimmer als erster Bote der einsam herannahenden Königin der Nacht erkennbar.

„Binnen drei Viertelstunden wird der Mond hinter den Bergen emporsteigen,“ bemerkte der Solitario, „wir dürfen nicht länger säumen.“

Die beiden Männer brachen auf und begaben sich nach dem Hafen. Giovanni war hier auf seinem Posten. Mit seiner und Barberini’s Hülfe glitt der Beccaccino, unser kleinstes Boot, welches nur zur Entenjagd dient und so flach ist, daß die einzige Person, die darin Platz hat, am Boden liegen muß, um es mit dem einen Ruder weiter zu bewegen, bald auf der Wasseroberfläche. In einem Nu nahm der Solitario, nur auf seinen Poncho gelagert, seinen Platz am Boden des Kahnes ein. Nachdem Giovanni das leichte Fahrzeug dem Meere zugestoßen und sich überzeugt hatte, daß Alles seine Richtigkeit hatte, stieg er selber in seine Becca, ein Boot, welches, nur in größeren Dimensionen, ganz und gar wie der Beccaccino gebaut ist, und ruderte laut trällernd in der Richtung des Yachtschiffes.

„Halt, wer da?“ riefen die zu „Alguazils“, zu Polizeidienern, herabgewürdigten Soldaten der Kriegsboote dem Sarden zu, der sich indessen dadurch weder in seinem heimathlichen Liede, noch in seiner Fahrt stören ließ.

Als aber eine dritte Aufforderung zu seinen Ohren drang, antwortete er: „Ich gehe an Bord,“ denn wie erfolglos auch die in nächtlichem Dunkel nicht zu richtenden Flintenschüsse sein mögen, so verfehlen sie nie, einem unerfahrenen Menschen Schrecken einzujagen, und auch dieses Mal war es der Fall bei dem sonst beherzten, tapferen Giovanni, der übrigens ohne Zweifel von jenen Kriegsherren erschossen worden wäre, wenn er auf ihren dritten Ruf nicht geantwortet hätte. Der Solitario, seinen Beccaccino bald mit Abstoßen, bald – wie es auf den amerikanischen Canoes üblich ist – vermittels eines kleinen Ruders fortbewegend, verfolgte einstweilen seinen Lauf der Küste von Paviano, zwischen dem Hafen Stagnatello und dem Vorgebirg Arcaccio, entlang, und wahrlich, der Kolibri, wenn er die duftenden Blumen der heißen Zone umflattert und nach Art der emsigen Biene an ihren süßen Kelchen nippt, ist geräuschvoller, als der federleichte Beccaccino es

war, indem er über die Fluthen des tyrrhenischen Meeres rasch

  1. Stephan Canzio, Teresa’s Mann, der Garibaldi’s Haft in dem Fort Varignano theilen durfte.
  2. Solitario (Einsiedler) nennt Garibaldi sich selbst im Verlauf dieser Erzählung seiner Flucht.
  3. Ein kleines Vorgebirge an der nordwestlichen Küste der Insel Caprera.
  4. Die der gemäßigten Partei angehörenden Politiker.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)