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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Der Genius der Kraftbenutzung und Raumveränderung ist bei keinem Volke so energisch ausgesprochen. Wollen Sie wahrhaft ursprünglich Erdachtes, ohne alle Erinnerung an befangende Vorgänge auf den Zweck direct Losschreitendes sehen, so müssen Sie nur in die amerikanischen Departements der Ausstellung gehen.“

„Und doch haben wir noch keine Britanniabrücke gebaut,“ äußerte der Amerikaner hierauf mit ehrerbietiger Verbeugung gegen den Meister.

„Das Eisen ist das Brückenbaumaterial, das dem Charakter unserer Zeit entspricht,“ sagte Wild. „Unsere Zwecke sind keine ewigen mehr, wie in den antiken Zeiten. Die Bedeutung der Straßen und Brücken wechselt nach den Fluctuationen des Weltverkehrs und somit reicht die Dauer des rostenden Eisens für den Zeitraum aus, wo sie ihren Beruf zu erfüllen haben. Hingegen fordert die Hast unserer civilisatorischen Wechselwirkungen, daß wir unsere Straßen über Meeresbuchten und Meeresarme und große Ströme werfen, an deren Ufern sich der Verkehr früherer Zeiten behagliches Aus- und Einschiffen gefallen ließ. Und für diese weiten Brückenspannungen, die fast in der Luft schweben müssen, ist das Eisen das einzige auserwählte Material.“




Der Grindefang auf den Faröer-Inseln.
Von einem Augenzeugen.

Seit einigen Monaten in Thorshavn, einem dänischen Städtchen von etwa achthundert Einwohnern und dem Hauptort der Faröergruppe, hatte ich häufig schon vom Grindefang in Ausdrücken sprechen hören, die in mir ein starkes Verlangen erregten, einer solchen Scene beiwohnen zu können. Der sogenannte Grind, ein kleiner Walfisch oder Delphin, auf dänisch „Grindehval“ genannt, besucht nämlich oft, zumal in den Sommermonaten, in Schaaren von einem bis zu mehreren Hunderten, ja bis zu tausend Stück und darüber, die faröischen Küsten und wird dann von den Eingeborenen meist in großer Anzahl gefangen.

Meine Neugierde sollte bald befriedigt werden, denn eines Morgens erscholl der ersehnte Ruf: „Grindebud!“ die Nachricht, daß Grinde sich zu zeigen begannen. Alles, Männer und Frauen, Jung und Alt, stürzte in wirrer Eile aus den Häusern, dem Orte zu, wo man den Ruf zuerst vernommen, um Näheres zu erfragen, sich einander die frohe Kunde mittheilend und aus hundert Kehlen den Ruf: „Grindebud!“ wiederholend. Auf allen Gesichtern strahlte freudige Erregung. Einige tanzten und sprangen wie toll herum, während sich Andere sogar im Uebermaße des Entzückens umarmten, und als man endlich auf die wild durcheinander gebrüllten Fragen: „Wo ist der Grind?“ „Wie groß?“ „Von wem gesehen?“ etc. erfahren, daß derselbe, unweit Thorshavns von Fischern zuerst entdeckt, jetzt auf unsern Hafen zutreibe und daß somit im Fall des Gelingens der eigentliche Fang oder „Grindedrab“ in unmittelbarer Nähe der Stadt vor sich gehen werde, so erreichte die allgemeine Freude und Spannung ihren Höhepunkt. Die Männer eilen raschen Laufes dem Strande zu, ihre Boote zur Theilnahme an der Jagd in Bereitschaft zu setzen, während Frauen und Kinder Mundvorrath und Geräth herbeitragen, sämmtlich wetteifernd, wer zuerst fertig werde. Signalfeuer lodern an dazu bestimmten Punkten auf, um durch den Rauch das freudige Ereigniß weiter zu verkünden und die Bewohner der nächsten Inseln und Dörfer zur Betheiligung am Fange herbeizurufen.

Bald sind die Zurüstungen am Strande beendet, und eine kleine Bootflotille verläßt mit raschen Ruderschlägen, jedes Boot durch die kräftigen Arme von acht Fischern getrieben, den Hafen, entfaltet die lateinischen Segel, steuert der Gegend zu, wo angeblich der Grind gesehen worden ist, und verschwindet bald am Horizont als weiße Pünktchen. Die Zurückgebliebenen, meist alte Männer, Frauen und Kinder, sowie die wenigen dänischen Beamten und einige Kaufleute, zerstreuten sich wieder in ihre Wohnungen, um bis auf Weiteres ihre unterbrochenen Arbeiten fortzusetzen, oder bilden sich, an den eine gute Aussicht gewährenden Punkten, zu Gruppen, welche die Chancen des Erfolges besprechen und von Zeit zu Zeit erwartungsvoll nach der Seite hinblicken, wo die Boote vorhin am Horizonte verschwanden; kurz den ganzen noch vor einer Stunde so ruhigen Ort hat wie durch Zauberschlag eine so plötzliche und fieberhafte Aufregung ergriffen, daß sein Charakter total verändert ist. Alle sind wie elektrisirt, und einige der Ungeduldigsten, denen ich, als der Ungeduldigste von Allen, mich anschloß, unternehmen einen Spaziergang nach dem mehrere hundert Schritte entfernten, an dem östlichen Eingang des Hafens auf einer Landspitze errichteten kleinen Fort, das früher Hafen und Rhede beherrschte, jetzt aber keine einzige brauchbare Kanone mehr besitzt, um von seinen Wällen die weite Fernsicht zu benützen. Unser unausgesetztes, eifriges Spähen von der Höhe dieses unseres improvisirten Observatoriums wird endlich belohnt, denn am äußersten Gesichtskreise tauchen dunkle Pünktchen auf, die, beständig sich nähernd und an Größe zunehmend, bald deutlich sich als die zurückkehrenden Boote erkennen lassen. Ein Augenblick gespanntester Erwartung tritt jetzt ein, indem es noch unentschieden, ob die Beute in petto den Booten voraus und in Annäherung, oder bereits entschlüpft ist. Hoffnung und Furcht, Zweifel und Zuversicht wechseln je nach den Bewegungen und Schwenkungen der Boote, bis endlich diese so weit herannahen, daß wir deutlich den Grind oder die Walfischheerde unterscheiden können, in weitem Bogen von der nunmehr zu reichlich hundert Fahrzeugen herangewachsenen Ruderflotille eingeschlossen und umkreist und durch Steinwürfe, Rufen und Klopfen mit den Rudern auf die Boote, in immer enger werdendem Halbcirkel, dem Eingänge des Hafens zugetrieben. Die kolossalen Fische, bald untertauchend, bald wieder an der Oberfläche erscheinend, spritzten aus ihren Blaselöchern fontainenartige Wasserstrahlen empor, die, oben in feinen Staubregen aufgelöst, wie Diamanten in der klaren Morgenluft funkelten. Sorglos, ohne Ahnung der nahen Gefahr, eilt die Heerde ihrem Verderben entgegen; bei jedem Abweichen von der gewünschten Richtung wurde sie durch das Auswerfen größerer und kleinerer Steine, mit denen sich alle Boote reichlich versehen zurückgescheucht und in Schranken gehalten und wie eine Schafheerde zusammengepfercht und zur Schlachtbank getrieben, während doch einige Schläge ihres Schwanzes genügt hätten, die ganze Flotte ihrer Verfolger zu zertrümmern. Wir verließen jetzt unseren Posten, um eilends den Sandstrand am Hafen, den eigentlichen Wahlplatz, zu erreichen und in unmittelbarer Nähe dem bevorstehenden Schauspiele beizuwohnen, oder an demselben theilzunehmen.

Der Hafen von Thorshavn, im Hintergrunde von den hölzernen Häuschen der Stadt halbmondförmig eingeschlossen, wird durch eine aus dem Mittelpunkte derselben hervorragende, dicht bebaute Landzunge in einen östlichen und einen westlichen Arm getheilt. Der östliche Hafenarm, von dem hier die Rede, ist kaum einen Büchsenschuß breit, etwa doppelt so lang und wird zu beiden Seiten von niedrigen Klippen eingefaßt; am inneren Ende läuft er in einen flachen Sandstrand, welcher während der Ebbe etwa fünfzig Schritte weit hinaus trocken liegt, indeß die Fluth nur einen schmalen Streifen bis zu den nächsten Häusern frei läßt. Längs beiden Seiten erstrecken sich ebenfalls noch verschiedene Häuser, bis sich auf der äußersten Ecke, hart am Eingange, das erwähnte Fort erhebt. Theils auf jener Sandfläche, theils auf der äußersten, unbebauten Spitze der vorgenannten Landzunge versammelten sich jetzt sämmtliche zurückgebliebene Bewohner Thorshavns beiderlei Geschlechts und harrten erwartungsvoll der Dinge, die da kommen sollten. Die Männer und auch viele des schönen Geschlechts hatten sich entweder mit Messern oder mit starken, scharfen eisernen Haken bewaffnet, an welchen letzteren ein etwa zehn Klafter langes, starkes Seil befestigt ist. Alle Hunde waren sorgsam eingesperrt worden, um nicht durch unzeitiges Bellen die Jagd zu vereiteln, und endlich hatte man nicht vergessen, die nach der See hingehende Kirchenthür, sowie die Schalllöcher des Thurmes zu öffnen – eine Vorsichtsmaßregel, die zu einem guten Erfolge wesentlich beitragen soll. Somit war Alles wohl vorbereitet.

Jetzt zeigen sich über der Landspitze beim Fort die Wasserstrahlen der nahenden Walfische, gleich darauf kommt der Vortrupp derselben hinter der Biegung des Landes zum Vorschein, dann


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_104.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)