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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

den Stil jener Tage zeigt, haben wir in der Godehardikirche vor uns, die, um die Mitte des zwölften Jahrhunderts vollendet, sich im südlichen Theile Hildesheims erhebt. In ihr finden wir schon in allen Dimensionen das Emporstreben ausgesprochen, welches die Gothik bezeichnet. Sie ist eine Basilika, deren Grundgestalt das Kreuz ist; ihr Schiff dreifach, indem von der Mitte durch je zwei Säulen und einen Pfeiler Seitenräume abgetrennt sind. Das Mittelschiff zeigt eine auffallende Höhe und erscheint infolge dessen etwas zu schmal. Ohne Strebepfeiler, nur mit einem einfachen, rundbogigen, unter dem Dache hinlaufenden Fries geschmückt, steigen Mittelschiff und Seitenräume in wirkungsvoller, edler Einfachheit empor. Ueber der Vierung, der Stelle, wo das Querschiff das Hauptschiff kreuzt, erhebt sich der polygonale Hauptthurm, zwei andere Thürme stehen am Westende des Gebäudes. Ein reich gesicherter Kranz von Absiden schließt die östliche Hälfte, wo sich der Chor befindet, dessen Wände und dessen Fußboden in Mosaiknachahmung bemalt sind und auf welchen Fenster mit Glasmalereien bunte Lichter fallen lassen.

Auch diese Kirche war lange Jahre vernachlässigt und drohte zuletzt den Einsturz. In den Jahren 1848 bis 1863 wurde sie von Baurath Hase auf Kosten der k. Klosterkammer restaurirt. Während die Michaeliskirche den Protestanten gehört, befindet sich die Godehardikirche im Besitz der Katholiken Hildesheims, die beiläufig etwa ein Drittel von dessen Einwohnerzahl ausmachen.

Ebenfalls in den Händen der katholischen Kirche ist der Dom, das älteste Bauwerk der Stadt und auf drei Seiten von einem hübschen, von Bäumen beschatteten Platze umgeben.

Ehe wir ihn besuchen, gestatten wir uns als Weltkinder einen kurzen Abstecher nach der hart neben ihm in einem kühlen Winkel gelegenen Domschenke, wo die alten Domherren, ein Geschlecht heiterer Weisen, nach dem Spruche, der den Deckbalken der Vorderstube ziert und nach welchem, wenn „das Alter sich zur Jugend trinkt, das Trinken zur Tugend wird", manch seine Flasche geleert haben sollen. Auch heute noch geht es in dessen Hinterzimmer bei dem guten Weine des Wirths noch bisweilen recht heiter zu. Mich selbst überkommt die Lust, an dem traulichen Orte im Geiste ein paar Stunden Hütten zu bauen und die Mutterfläschchen des wohlversehenen Kellers wieder zu versuchen, wie ich’s vorigen Sommer mit Hoffmann v. Fallersleben und anderen wackern Freunden gethan. Aber Alles zu seiner Zeit, und so mag’s bei dem Wink und bei Verzeichnung des Spruchs jener Domherrenweisheit bleiben, der vollständig lautet:

„Jugend ist Trunkenheit ohne Wein,
Doch trinkt sich das Alter zur Jugend,
So wird das Trinken zur Tugend."

Der Dom selbst ist als Gebäude nicht viel werth. Wiederholt abgebrannt und wieder aufgebaut, zeigt er von dem Münster, welches der erste Bischof Hildesheims hier oder etwas seitwärts von der Stelle errichtete, keine Spur, und auch der Neubau, den Bischof Hezilo vor nunmehr tausend und sechs Jahren ausführte, ist durch vielfache Um- und Anbauten und vorzüglich durch eine im vorigen Jahrhundert im Geschmack der Jesuiten vorgenommene Restauration, wobei Weiß und Gold nicht gespart wurde, dermaßen verunziert, daß man wenigstens im Innern bisweilen Mühe hat, das Mittelalter und seinen Stil herauszufinden. Auch der Vorbau im Westen mit seinen beiden Thürmen, der 1850 vollendet wurde, macht wenig Anspruch auf Schönheit.

Dennoch ist das alte Münster im hohen Grade sehenswerth und zwar namentlich als ein Museum von Alterthümern und Kunstwerken aus allen Jahrhunderten seiner Existenz. Aus dem sechszehnten stammt der sogenannte Lettner, eine prächtige Steinarbeit vor dem Sacrarium, welche im besten Stil der Renaissance ausgeführt ist. Das dreizehnte hat ein außerordentlich schönes, metallenes Taufbecken hierher gestiftet, welches in einer der Capellen des nördlichen Seitenschiffs steht. Es wird von vier knienden Figuren getragen, die, aus Urnen Wasser ausgießend, vermuthlich die vier Flüsse des biblischen Paradieses vorstellen, und zerfällt in vier Abtheilungen, von denen die erste die Donation, die zweite den Zug der Juden durch das rothe Meer, die dritte die Taufe Jesu und die vierte den Durchgang des Volkes Israel durch den Jordan enthält – Gruppen, die durch Figuren und Säulen geschieden sind. Ebenso hat der Deckel vier Felder, von denen eines Aaron mit der grünenden Ruthe, ein anderes den bethlehemitischen Kindermord, ein drittes die Waschung der Füße Jesu durch Magdalena und ein viertes die Werke der Barmherzigkeit darstellt.

Wahrscheinlich schon aus dem zwölften Jahrhundert ist der kleine vergoldete Silbersarg, in welchem die Gebeine St. Godehard’s ruhen. In dieselbe Zeit gehört der große Armleuchter vor dem Chore, den man die Irmensäule nennt. Der Schaft ist ein bräunlicher Kalksinter, wie er sich in alten Wasserleitungen ansetzte. Mit der altheidnischen Irminsul hat er nichts zu thun. Sicher dagegen ist, daß der große Kronleuchter, der das Mittelschiff des Domes ziert, vom heiligen Bernward wenigstens begonnen und von Hezilo, dessen viertem Nachfolger, vollendet worden ist. Der mächtige stark vergoldete Kupferreif von einundzwanzig Fuß Durchmesser stellt die Mauer des himmlischen Jerusalem vor. Die Mauer zeigt zwölf große und ebenso viele kleine Thürme, die Zwischenräume zwischen denselben sind aus weißem Blech gearbeitet, in den geöffneten Thoren der Thürme standen einst kleine Silberfiguren von Propheten und christlichen Tugenden, welche im dreißigjährigen Kriege von Soldaten geraubt wurden.

Verschiedene schöne und kostbare Kelche und Patenen, Kreuze und Leuchter, Bischofsstäbe und Meßbücher, die der Dom bewahrt, gehören nach der Sage ebenfalls Bernward an, können aber auch jünger sein. Mit Sicherheit dagegen will man dem heiligen Goldschmiede und Erzgießer die hohen gegossenen Metallthüren mit merkwürdigen Darstellungen aus der biblischen Geschichte, welche das Mittelschiff des Doms gegen das im Westen befindliche Paradies abschließen, und die jetzt auf dem Domhof stehende sogenannte Christussäule mit Hautreliefs aus dem Leben des Erlösers zuschreiben.

Wir befinden uns, vor diesen Resten der Kunstfertigkeit Bernward’s in sehr alter Zeit. Der Odem des ersten christlichen Jahrtausends weht uns an. Andere Schätze des Domes, ein Kreuz, welches Ludwig der Fromme hierher gestiftet haben soll, eine Gabel und ein Trinkhorn Karl’s des Großen, machen Anspruch darauf, noch älter zu sein. Ein Behältniß endlich von halbmondförmiger Gestalt, welches Reliquien von Jesus und Maria bewahrt, das „Heiligthum unserer lieben Frauen“ will die Kapsel sein, welche der Priester Ludwig’s des Frommen bei jener Jagd im Urwalde vergaß, die zu Hildesheims Gründung Veranlassung wurde. Ob sie damit Recht hat, wird bezweifelt.

Gewisser ist, daß ein anderer Zeuge jenes wunderbaren Ereignisses, den der Küster außen an der östlichen Wand der halbkreisförmigen Domabsis zeigt und mit dem unsere Schilderung zu ihrem Anfang zurückkehrt, daß der tausendjährige Rosenstock der wirkliche uralte Strauch ist, für den er sich ausgiebt. Auf den ersten Blick, sieht er nicht so aus. Ein halb Dutzend Stämmchen, etwas mehr als zolldick und ungefähr von dreifacher Mannshöhe breiten sich an der grauen Mauer dieses ältesten Theiles des Domes und treiben im Sommer Hunderte von Blüthen. Aber der Urstamm dieses Urgreises des Rosengeschlechts, der, über zehn Zoll stark, unten in der Krypte wurzelt, die unter der Chornische liegt, läßt einen guten Theil unserer Zweifel verstummen, und was übrig bleibt davon, schwindet vor dem historischen Nachweis, daß schon Bischof Hezilo den Strauch vorfand und durch seine jetzige Ueberdachung ehrte.



Ein amerikanischer Brief aus Thüringen.

Für den Bürger der nordamerikanischen Union giebt es im Allgemeinen wenige Sitten und Gebräuche, die er auf Grund ihres Alters, allein in Ehren hält und die ihn an den heimathlichen Boden zu fesseln vermögen. Er hat keine besonderen uralten Familien- oder Standesehren, welche ihm seine Vorfahren aus grauen Zeiten überlieferten, mit andachtsvoller Scheu aufrecht zu erhalten, denn Stellung und Beschäftigung sind meistens einem häufigen und oft urplötzlichen Wechsel unterworfen; deshalb fühlt auch der Bewohner kaum irgend eines andern Landes so wenig das Bedürfnis; und die Neigung, an der Scholle kleben zu bleiben, wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_109.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)