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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Rückreise einen bis zwei Tage in Linz, um mehrere Abendstunden bei ihm zu bleiben. In der Zwischenzeit tauschten wir fleißig Briefe aus. Die Bekanntschaft verwandelte sich in Freundschaft, als ich nach einem schmerzlichen Verluste, der mich betroffen, zwei Wochen in Linz Quartier nahm, um mich an dem täglichen Verkehr mit dem edlen Manne zu erlaben, zu kräftigen, aus der Apathie des Kummers zu erheben.

In dieser Zeit war es mir vergönnt, tiefe Blicke in seine Seele zu thun und die Ueberzeugung zu gewinnen, daß bei ihm der Mensch in vollkommenster Harmonie mit dem Dichter, ja über diesem stand. Seine Wahrheitsliebe, seine Herzensgüte, die antike Ruhe, mit der er sich über alles Kleinliche erhob, konnten ihre Wirkung auf ein halbwegs empfängliches Gemüth nicht verfehlen. Man war besser, wenn man von ihm ging, und wurde es mehr und mehr, wenn man über das, was er gesagt, nachdachte.

Stifter’s Aussprache war provinciell; er kam nie ganz über die oberösterreichische Accentuirung hinaus. Aber einerseits war mein Ohr daran gewöhnt, anderseits war der Fluß seiner Rede ein so ununterbrochen schöner, boten sich ihm die idealsten Bilder, die reinsten Redewendungen so ungesucht dar, waren seine treuen, gütigen Augen ein so freundlicher Wegweiser zur gespanntesten Aufmerksamkeit, daß es, mir wenigstens, unmöglich schien, durch ein mehr oder weniger offenes a oder e unangenehm berührt zu werden.

Der Bildungsgang des Dichters ist kein leichter und ebener gewesen. Mühselig genug hatte sich, wie er mir in gemüthlichem Gespräche nach und nach in Bruchstücken, ich möchte sagen anekdotisch erzählte, der lernbegierige Jüngling so weit fortgeholfen, daß er mit Schmalhans als Küchen- und Kellermeister in Wien studiren konnte. Die Gabe, was er wußte, Andern mitzutheilen, verschaffte ihm anfangs in obscuren Familien einige schlecht bezahlte Unterrichtsstunden oder den untersten Platz an einem Mittagstische. Die Familie von Collin, deren ich oben ohne sie zu nennen erwähnte, war die erste Stufe zu seinem besseren Fortkommen. Das Haus war angesehen durch die Erzieherstelle, welche Heinrich von Collin bei dem jungen Herzog von Reichstadt bekleidet hatte, dessen Spielgenossen seine Söhne waren; angesehen durch Matthias von Collin den Dichter, dem in der Caroluskirche ein Denkmal gesetzt worden war, und auch dadurch, daß zur Zeit des Wiener Congresses viele literarische Notabilitäten, wie die Gebrüder Schlegel, Varnhagen von Ense u. A., in ihm aus und ein gingen, und so ward Adalbert Stifter durch seinen Eintritt als Lehrer in diese Familie den gebildeten Ständen näher gerückt. Frau von Collin, eine äußerst originelle, lebhafte Dame, trug nicht wenig dazu bei, daß der unbehülfliche junge Studiosus sich ein wenig Lebensart aneignete.

„Weder Menschen noch Hunde, Stühle und Tische, nichts was nicht festgenagelt war, war vor ihm sicher,“ erzählte mir die alte Dame selbst. „Er stieß überall an, er rannte Alles nieder! Aber – da er ein prächtiger Mensch war und ein vortrefflicher Umgang für meinen Ludwig, rein und sittig wie ein junges Mädchen, so hab’ ich mich auch d’ran gemachr und hab’ nicht nachgelassen, bis er sich seine Tölpeleien alle abgewöhnte. Und als ich es nach Jahr und Tag erreicht hatte, sagte ich eines Tages zu ihm: ,So, lieber Stifter, nun sind wir unseres Lebens sicher, wenn Sie sich unter uns bewegen, und hoffentlich sind nun auch meine Gläser, Teller, Spiegel etc. vor Ihren Ellbogen sicher; jetzt müssen Sie auch hübsch fleißig die Abende bei uns zubringen, wenn wir zu Hause sind. Das soll beiden Theilen zu Statten kommen: Sie lernen von uns Manieren, wir lernen von Ihnen den hundertsten Theil von dem, was Sie wissen, das ist für uns Frauenzimmer (sie meinte sich und ihre Tochter) genug.’“

Stifter küßte ihr die Hand, war nicht im Entferntesten beleidigt über ihre Aeußerung und nahm sich vor, so viel „Manier“ wie möglich zu lernen. Wie weit er es damit gebracht, darüber giebt sein Ausspruch weiter oben einige Erläuterung.

Um jene Zeit war die einzige Erholung, die der junge Mann sich nach angestrengter Thätigkeit gönnte, an einem oder dem andern schönen Sonntagsmorgen eine Fußwanderung in die reizenden Umgebungen Wiens, am liebsten in die dichten Waldungen hinein zu machen, und nie kam er von solchen Ausflügen ohne ein neues Landschaftsbild in seiner Zeichenmappe zurück, die er stets mit sich führte. Der arme junge Studiosus war Landschaftsmaler, und nicht selten rieth man ihm, alle Wissenschaft an den Nagel zu hängen und Künstler zu werden. Niemand ahnte, daß er auf seinen Wanderungen auch ein Schreibebuch mit sich führte und stundenlang an irgend einem Hügelabhang saß, um im Angesichte seiner gottbeseelten Freundin Natur auch „Studien“ mit der Feder zu machen. Nie wagte er sich mit einer dieser Arbeiten an’s Tageslicht, ja, wenn sein warmes Herz ihn drängte, der Wohlthäterin, die er so hoch verehrte, oder deren Tochter zu festlichen Gelegenheiten ein Gedicht zu widmen, verlor er gewöhnlich im herbeigesehnten Augenblick den Muth das Vollendete zu überreichen.

Ich weiß nicht, in welchem Jahre und durch wessen directe Empfehlung – indirect kam ihm so ziemlich alles Gute durch Collins zu – Stifter aufgefordert ward, dem jungen Fürsten Schwarzenberg, dem unter dem Namen Landsknecht, wegen seiner Schrift „aus dem Wanderbuche eines verabschiedeten Landsknechts“, bekannten, Unterricht in der Mathematik zu geben. Die Fürstin, Wittwe des alten Feldmarschalls, der gegen Napoleon den Ersten gefochten, leitete die Erziehung ihrer Söhne und die Geschäfte ihres Hauses, ihrer Familie selbst. In Stifter’s Reminiscenzen umleuchtete eine Art Heiligenschein das Haupt dieser hohen Dame. Er konnte nie ohne Rührung in Blick und Ton von ihr sprechen.

So viel ist gewiß, daß diese edle Frau dem menschlichen Geiste ein höheres Recht einräumte, als irgend eine ihrer Standesgenossen es that, es vielleicht jetzt noch thut. Sie war die zweite Frau, welche an Adalbert Stifter’s Erziehung Hand anlegte. Sie ging, seit sie Wittwe geworden war, nie in Gesellschaft und legte die Trauerkleider nie ab. Zweimal die Woche war aber ihr Haus der Sammelpunkt der schönen Welt.

An einem dieser Abende empfing sie den hohen Adel, die Gesellschaft, die eigentlich die ihrige war; an dem andern versammelte sie Gelehrte und Künstler um sich. Man sagt, sie habe sich selbst über diesen Punkt wie folgt geäußert: „Mardi je vois les autres; samedi je vois les miens.“ (Dienstags sehe ich die Andern, am Sonnabend die Meinigen.) Wie dem auch sei: Stifter, der Lehrer und Freund ihres Sohnes, durfte an dem einen dieser Tage nicht fehlen und ward noch außerdem an manchem Abend in ihren Salon gerufen, wenn die Fürstin mit ihrer Gesellschafterin, der damals jugendlichen und höchst interessanten Barbara Glück, als Schriftstellerin unter dem Namen Betty Paoli bekannt, allein war. Die Sommermonate brachte die Fürstin gewöhnlich in ihrem Landhause in der Brühl nächst Wien zu, wohin Stifter zwei-, dreimal die Woche regelmäßig als Lehrer, Gesellschafter und gern gesehener Gast wanderte.

An einem solchen Tage saß er in schöner Abendstunde auf einer Bank in dem entlegensten Theile des Gartens und schrieb. Die Fürstin hatte Besuch; eine Nichte, die sie sehr liebte, war bei ihr. Stifter hatte eine lange Weile geschrieben, als er, durch nahende Schritte aufgescheucht, rasch aufstand und das Weite suchte, d. h. durch einen entgegengesetzten Weg auf und davon lief. Aber in der Hast des Entkommens entfiel das nicht tief genug versenkte Manuscript seiner Rocktasche, ohne daß er es gewahr ward. Der bäuerliche Dichter war ab und zu auch etwas dichterisch zerstreut. Er wechselte den Rock, ohne den Verlust zu bemerken, um sich in vorgeschriebener Toilette an dem Theetische seiner hohen Gönnerin einzufinden.

„Wissen Sie was, lieber Stifter,“ redete die Fürstin ihn an, „heute müssen Sie vorlesen, Betty ist heiser und meine liebe Nichte fürchtet sich. Wir haben da etwas zurecht gelegt. Nun sehen Sie aber, daß Sie Ihre Sache gut machen; wir wollen sehr aufmerksam sein.“ Dabei legte die Nichte mit schalkhaftem Lächeln seine „Feldblumen“ (eine der Novellen in seinen Studien) vor ihn hin.

„Wie mir dabei geschah, kann ich Ihnen nicht schildern,“ erzählte Stifter. „Anfangs brachte ich keinen Laut hervor und hätte weinen mögen wie ein Kind! Als ich aber die Fürstin ansah und sie mir mit schöner Freundlichkeit über den Tisch herüber die Hand reichte, wich auch alle Scheu von mir. Ich packte meine ,Feldblumen’ an und warf sie den hohen Herrschaften in so leidenschaftlicher Art zu Füßen, daß die Fürstin, als ich geendet, vor Ueberraschung kein Wort hervorbringen konnte. Betty Paoli aber sprang auf, nahm meinen Kopf in ihre Hände, küßte mich auf die Stirn und rief:

‚Durchlaucht! Ich hab’ doch Recht gehabt! Der Stifter ist ein Dichter!‘

Nun war es aber auch mit dem Geheimthun vorbei!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_121.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)