Seite:Die Gartenlaube (1868) 131.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der Stadt war,“ antwortete Marianne sich abwendend und kaum verständlich.

„Und hast ihm dort das Jawort gegeben?“

Marianne war in Beziehung auf den Bräutigam auffallend lakonisch. Sie nickte nur mit dem Kopfe.

„Und kann der denn heirathen?“ fragte Herbot weiter.

„Er wird nächstens … ich weiß nicht, wie man’s nennt – aber er wird etwas … und dann kann er’s.“

„Bald?“

„Ich denke, bald.“

Bauer Herbot schüttelte den Kopf. Unter anderen Umständen hätte ihm ein solches Geständniß nicht gemacht werden dürfen … Der Friedrich, von dem man gar nicht wußte, woher er stammte, der Unterofficier bei der Artillerie war … und eine Tochter vom Herbothofe … es wäre ihm wahrhaftig nicht eingefallen, dazu seinen Segen zu geben! Aber wenn er an die Anna dachte … und wenn es wahr war, daß der Friedrich nächstens höher hinauf komme, und ein ansehnliches Kindestheil bekam die Marianne ja mit, daran sollte es nicht fehlen – und eine ordentliche Bauernfrau wurde sie ja ohnehin nie – viel besser paßte sie in die Stadt …

Bauer Herbot schmauchte sehr heftig dicke Wolken aus seinem gebräunten Maserkopf; er schwieg, aber in seinen Zügen lag keine Unzufriedenheit mit dem, was er gehört hatte.

Nach einer Weile erhob er sich. Als Marianne dies sah, sprang sie mit einer eigenthümlichen Erregung in die Höhe, und ihre Hand auf des Vaters Arm legend, rief sie aus:

„Aber, Vater, Ihr sagt das Niemand, Niemand in der Welt, hört Ihr?“

„Niemand in der Welt?“

„Nun ja, Eurer Anna mögt Ihr’s sagen … aber sonst darf es Niemand auf Erden erfahren, versprecht mir das, gelobt es mir heilig, ich verlange es von Euch.“

Herbot schüttelte den Kopf.

„Und weshalb denn nicht? Wenn’s mir recht ist…“

„Nein, nein, nein,“ rief Marianne in größter Bewegung ans, „es darf es Niemand erfahren, ich hab’ es Euch gesagt, und Ihr wißt auch wozu, aber keiner Menschenseele weiter dürft Ihr’s sagen, ich will es nun einmal nicht – noch nicht!“

„Sieh, sieh, sieh!“ sagte Herbot sie verwundert anschauend, „Du geräthst ja vollständig in Eifer dabei … kannst Du auch zornig werden? Nun meinethalb – ich will Dir den Gefallen für’s Erste gerne thun; so etwas muß ja doch auch überlegt werden … und darum sei ruhig!“

Damit wandte sich der Herbotbauer und ging in’s Haus. Eine Weile nachher sah ihn Marianne aus der Niederthür herauskommen und über den Hof gehen, dem Schlage zu, jenseits dessen der Fahrweg durch’s Kornfeld lief. Sie wußte, wohin er ging.

Er aber wußte nicht, was in seiner Tochter vorging. Sonst hätte er vielleicht den Weg nicht gemacht. Er konnte die leis geflüsterten Worte ihres Selbstgesprächs nicht verstehen, sonst hätte der Herbotbauer sich am späten Abend wohl nicht mehr in Unkosten gesetzt und den dunkelblauen Sonntagsrock angelegt, und statt des alten Maserkopfs die schöne, mit dickem Silber beschlagene Meerschaumpfeife genommen, deren Spitze und silberne Kettchen jetzt, wie er eilig an den Kornfeldern Herschritt, zu seiner Rocktasche herausblickten.

Mariannens Selbstgespräch aber lautete: „Gott verzeih’ mir die Lüge … aber ich konnte ja nicht anders! Er soll ruhig sein, der Vater und seine Anna! Ich will ja schon Einen nehmen! Entweder den Rasselsberger oder den Erdmann oder den Wallfurth, oder wer sonst noch kommen mag! … Ich will’s, ich will’s, ja, ja, ja, ich will’s, ich werde ja den Tod nicht gleich davon haben! Und damit ich nur Ruhe bekam und die Zeit, mich zu besinnen, mußt ich ja Einen nennen! Der Friedrich ist meilenweit und kommt nie in’s Dorf zurück. Er denkt nicht an’s Dorf und weiß nicht, daß auf dem Herbothof ein Mädchen, das Marianne heißt, lebt; dem schadet’s nichts, daß ich gelogen habe.

Ach, das Heirathen! Es ist doch was Schreckliches darum! Wenn’s nur nicht in der Welt wär’! Der ganze Athem geht mir aus, so oft ich daran denk“. Und weshalb muß es denn sein?!“ Marianne schüttelte zu Boden blickend traurig mit dem Kopf; dann stand sie auf und ging in’s Haus.




Herbot ließ heute Abend sehr lange auf seine Rückkehr warten. Es ward halb Elf, bis er nach Hause kam.

Marianne war noch auf, während alles Gesinde längst zur Ruhe gegangen. Sie saß hinter einem Buche am Tische in der Küche, die kleine Oellampe vor sich, aber lesen konnte sie nicht, sie hatte kein einziges Blatt in dem Geschichtenbuche, das vor ihr lag, gewendet. Wär’s nur nicht Sonntag gewesen, sie hätte das Spinnrad nehmen können und ihre Gedanken in die gelben Fäden einspinnen; so aber flogen sie ihr wirr und rebellisch alle durch und um den Kopf, und die Schwere, die ihr auf der Brust lag, wehrte allen Schlaf von ihr ab, sie hatte keinen Moment die Lider geschlossen.

Endlich hörte sie draußen den Hofhund anschlagen und des Vaters Anruf, worauf das Thier schwieg und nur mit seiner Kette klirrte; dann ging die Thür auf und der Vater trat ein.

„Nun, Schatz, wie geht Dir’s? Bist noch auf?“ sagte er und schlug Marianne wie in einem sehr ungewohnten Anfall von Zärtlichkeit auf die Schulter. Sein Gesicht war sehr geröthet, oder war das blos Wirkung des rothen Scheins, den die kleine Lampe warf?

„Ihr bleibt lange, Vater,“ sagt Marianne, die sich seiner Zärtlichkeit mit einem unbehaglichen Gefühl entzog, „habt Ihr so viel mit der Anna zu sprechen gehabt?“

„Mit der Anna,“ versetzte er lachend und mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, indem er dabei höchst schlau die Augen zusammenkneifend Marianne anblinzelte. „Mit der Anna nicht! Da braucht’s nicht viel Ueberlegung. Sie hat schon lang gewußt, was sie wollte, sobald Du nur erst wüßtest, was Du wolltest.“

„Und mit wem habt Ihr denn sonst zu reden gehabt … Vater, Ihr wart doch nicht …“

Der Herbot blinzelte sie wieder außerordentlich fröhlich und schlau an.

„Im Wirthshause?“ lachte er hell auf, „Du meinst, ich war im Wirthshause … nein, ich war nicht im Wirthshaus, hatte mehr zu thun, ich war beim Doctor.“

„Beim Doctor?“

„Ja, beim Advocaten.“

„Beim Advocaten!“ sagte mit niedergeschlagendem Tone Marianne; „schon heut? Ihr habt’s eilig!“

Sie wandte sich rasch ab, um ihrem Vater eine zweite Lampe anzuzünden.

„Laßt uns zu Bette gehen!“ sagte sie tonlos.

„Und willst Du nicht hören, was der Doctor gesagt hat?“

„Was versteh’ ich davon?“ entgegnete Marianne, „ich denk’, Ihr werdet mir mein Kindestheil schon geben, ohne daß ich mich drum kümmere … Eifer, damit in’s Reine zu kommen, zeigt Ihr ja genug!“

„Ja, ja, wir werden schon damit in’s Reine kommen!“ lachte der Herbotbauer wieder laut und fröhlich auf. Marianne wußte wirklich nicht, was der Vater hatte; war es denn möglich, daß er so froh war und so hastig, sein Kind von sich zu entfernen? Hatte er denn für nichts Anderes in der Welt mehr Sinn und Gefühl als für die Anna?

Marianne traten zwei Thränen in die Augen; sie ging, als des Vaters Lampe brannte, mit einem „gute Nacht!“ in die Kammer.

„Sie läuft fort und will nichts davon hören,“ sagte Herbot ihr nachblickend, „nun, es mag am Ende auch besser sein, daß sie nicht eher davon hört, als bis Alles in Ordnung und Klarheit ist mit dem Glückspilz, dem verwetterten Burschen, dem Friedrich … sie würd’s ja am Ende auch gar nicht glauben, wie ich’s auch nicht glauben wollte, anfangs! Aber wahr ist’s doch, und jetzt, wo der alte Fuchs von Advocat mir Alles auseinander gesetzt hat, will ich Stein und Bein darauf schwören, daß es wahr ist … nur wunderlich, daß es nicht eher zu Tage gekommen! … Freilich, der Friedrich war ein armes Blut; wer kümmert sich um den? Jetzt, wo der Herbotbauer sich der Sache annimmt, bekommt sie ein anderes Aussehen, und wenn er die Marianne nimmt, dann wird er ihr bischen Abfindung und Aussteuer gar nicht wollen … der … aber wenn er nur Farbe bekennt, und sie nimmt! Wenn er sie nur nimmt!“

Mit diesem Ausruf des Zweifels, der plötzlich seine erhöhte Stimmung ein wenig zu dämpfen schien, begab sich der Herbotbauer endlich in seine Kammer.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_131.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)