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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Als Marianne am andern Morgen mit der Großmagd in der Milchkammer stand, um mit ihr den Rahm von den Milchschüsseln abzunehmen, sagte die Letztere flüsternd:

„Ist’s denn wahr, Marianne, bist versprochen, mit, des alten Schulmeisters Friedrich, der bei den Soldaten ist?“

Marianne ließ vor Schreck den Holzlöffel in die Milch fallen.

„Um Gottes willen,“ rief sie tief aufathmend aus – „wie kommst’ darauf?“

„Ich denk’ doch nicht, daß Du’s ableugnen willst,“ versetzte schnippisch das Mädchen.

„Davon ist ja keine Silbe wahr,“ eiferte Marianne weiter, „ich denk’ nicht an den Friedrich, ich kenne ihn ja gar nicht!“

„Als Du in der Stadt warst, bei der gnädigen Frau, hast ihn schon kennen lernen … genau genug, scheint’s!“ gab die Katharine zur Antwort.

„Aber ich will nicht selig werden, wenn …“

„Pfui, verschwöre Dich doch nicht so arg,“ rief jetzt die Großmagd zornig aus …. „Dein Vater selber hat’s mir ja heute Morgen gesagt, im Geheimen, hat er gesagt, und ich sollt’s nicht weiter sagen, noch nicht, aber …“

„O mein Gott, der Vater, der Vater … er macht mich unglücklich!“ seufzte Marianne ganz zerschmettert. „- Nun weiß es in zwei Tagen die ganze Bauernschaft … und nun brauchte nur noch der Friedrich einmal zum Unglück in die Gegend heimzukommen … ich wär’ geschändet für mein Leben lang!“

Um sich von ihrem Schrecken zu erholen, setzte sie sich auf einen Holzschemel, der in der Milchkammer stand. Und dann sprang sie auf; sie eilte hinaus, sie wollte zum Vater und ihm seine Wortlosigkeit vorhalten, und ihm rund heraus sagen, daß …

„Der Vater ist auf’s Veen gefahren,“ sagte ihr der Knecht, der in der Küche am Heerdfeuer stand und der zweiten Magd half, den schweren Kessel mit dem Viehfutter vom Feuer abzunehmen.

Auch das noch! – Er war fort; auf dem stundenweiten Wege in’s Veen begegnete ihm wer weiß noch wer von seinen Bekannten, dem er’s in der Freude seines Herzens, daß nun nichts mehr zwischen ihm und seiner Anna stehe, ebenfalls als strenges Geheimniß anvertraute … und dem Advocaten, zu dem er gestern Abend schon geeilt war, mit ihm wegen der Abschließung Rath zu pflegen, hatte er’s sicher auch schon anvertraut …

Marianne fühlte sich entsetzlich unglücklich, sie war empört wider den Vater, geängstigt wegen der Folgen, zornig auf sich selbst, daß sie sich gestern von ihrem tief verletzten Gefühl so weit hinreißen lassen, und endlich sich völlig klar darüber, daß ihr nichts Anderes übrig bleibe, als sich öffentlich und vor aller Welt in kürzester Zeit entweder mit dem Raffelsberger oder dem Erdmann oder dem Wallfurth zu verloben, mochten sie immerhin alle Drei ihr gleich unausstehlich sein.

Für’s Erste konnte sie nichts thun, als in die Milchkammer gehen und zu der Großmagd sagen:

„Hör’, Katharine, mit dem, was der Vater redete ist’s nichts, ich sag’ Dir’s! Der Vater hat seine Gründe, warum er’s sagt, aber ich hab’ die meinigen, daß ich’s abred’. Willst zu mir halten und Jedem, der davon anfangen sollt’, sagen, es sei leer Geschwätz, so schenke ich Dir ein neues Fürtuch, zu Jacobi, wenn Markt ist.“

„Ich kann schon schweigen und will auch sagen, was Du willst, Marianne,“ versetzte die Großmagd; „mir ist’s eins … hab’ mich gleich gewundert, daß ein so feines, sauberes Mädchen, wie Du bist, und dazu des Herbotbauers Tochter, solch’ einen Findling nehmen möcht’!“

„Einen Findling? Der Friedrich?“

„Und das weißt Du nicht?“

„Hab’s nie gehört!“

„Gewiß ist’s so – das ist gar kein Geheimniß im Dorf. Niemand weiß, von welchem Baum er gefallen ist. Auch nicht, aus welcher Gegend er stammt, wenn er auch hier im Dorfe erzogen ist, bei dem alten Schulmeister, weißt, der vor Jahren gestorben ist.“

„Nun ja, das weiß ich; ich habe geglaubt, wie alle Welt, er sei des Schulmeisters Sohn.“

„Der alte Schulmeister hatte nicht so viel, ihn immer so sauber zu kleiden und dann auf die Unterofficiersschule nach Jülich zu schicken. Das muß anders woher gekommen sein!“

„Nun, uns geht’s nicht an,“ sagte Marianne gleichgültig. „Denk’ daran, daß ich Dein Wort hab’!“

Mariannens Sorge um das, was sie gethan, würde noch um Vieles erschwert worden sein, wenn sie den Inhalt des Gesprächs gekannt hätte, das ihr Vater am Abend vorher mit dem Advocaten geführt hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Der Lehrer eines großen Schülers.

An der Nordseite des prächtigen Augustusplatzes in Leipzig erhebt sich, wetteifernd mit den vornehmsten Theatergebäuden Deutschlands, das der Thalia und Melpomene gewidmete imposante neue Haus, und der Platz hat damit den schönsten Abschluß gefunden. Das betriebsame Menschengewühl, das ihn während der Messen erfüllt, empfängt aus den bedeutenden Umgebungen gleichsam die höhere Deutung, daß die Handelsstadt auch den höchsten Interessen der Menschheit auf die würdigste Weise dient. Die Hallen der Künste, der Wissenschaften, wie der Industrie bilden hier den erhabenen Rahmen um den bunten Markt.

Am 28. Januar d. Js. wurde das neue Theater eröffnet und glanzvoll eingeweiht durch Goethe’s Iphigenie auf Tauris, das edelste Drama des großen Deutschen, der vor hundert Jahren als Student in Leipzig den regsten Antheil an den bildenden Künsten nahm, wie an der dramatischen Kunst, ihren Jüngern und sogar am decorativen Theil der Bretter, welche die Welt bedeuten. So sehen wir ihn auf unserer von Künstlerhand ausgeführten Abbildung an der Seite seines Lehrers Oeser, der für das damals neuerbaute Theaterhaus den berühmten Vorhang malt.

Im Anfange seines siebenzehnten Lebensjahres (1765) reiste Goethe bekanntlich aus Frankfurt a. M. nach Leipzig. Für die durch das Ranstädter Thor eintreffenden freien Reichsstädter war der nahe dem Thore in der großen Fleischergasse gelegene Gasthof „zur Stadt Frankfurt“ das allgemeine Absteigequartier, wo auch Goethe den Leipziger Boden zuerst betreten und vermuthlich Nachtruhe nach glücklich überstandenen Reisegefahren gefunden hatte. Seine Wohnung aber, nahm er in der großen Feuerkugel in einem nach dem Hofe zu gelegenen Zimmer, das jetzt durch eine Gedenktafel bezeichnet ist. Die Gartenlaube hat bereits in einem frühern Artikel (Jahrg. 1865, Nr. 47) das Studenten- und Liebesleben des großen Dichters geschildert, es bleibt uns also nur übrig auch der künstlerischen Einflüsse zu gedenken, die auf die Bildung des jungen Poeten so ungemein bedeutend und bestimmend wirkten.

Unter den nachhaltigen Einwirkungen, welche das von Goethe vielgeliebte, hochgepriesene Leipzig auf ihn gehabt hat, sind unstreitig die wichtigsten: daß er sich hier von seinem Brodstudium, der Jurisprudenz, entschieden lossagte, dagegen, von seiner Bestimmung zur Poesie durchglüht, die Bahn zu seiner künftigen Größe betrat; ferner, daß sich hier die ersten Spuren finden, einer Neigung für die bildenden Künste nachzuhängen, ja diese zu erlernen und zu üben unter Anleitung des sinnreichen Oeser, der ihm das Geheimniß der Alten erschloß und ihn lehrte, das Ideal des Schönen sei Einfalt und Stille.

Adam Friedrich Oeser ein geborener Preßburger, bildete sich auf der Wiener Malerakademie in seiner Kunst, außerdem bei Raphael Donner auch zum Bildhauer aus. Später wirkte er als Professor an der Akademie in Dresden. Von seiner Wohnung, Frauengasse, Ritschel’s Haus, vier Treppen hoch, hatte ihm Joh. Winckelmann aus Stendal (gegen dritthalb Thaler wöchentlichen Zins) ein Zimmer abgemiethet, und der große Archäolog erkannte später in seinen Werken und Briefen dankbar den außerordentlichen Einfluß an, den sein einziger Freund Oeser auf die Ausbildung seines künstlerischen Sinnes durch Unterweisung im Zeichnen, durch Lehren und Unterredungen gehabt habe. Wie Oeser namentlich in allegorischen Darstellungen seine Neigung

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