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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

denn wenn ich die That, wegen deren man mich so sehr beleidigt hat, nicht als eine der besten Handlungen meines Gebens und als eine solche betrachtet hätte, die ich unter denselben Umständen ganz gewiß wieder begehen würde, so hätte ich es nicht ertragen können.“

Der Schmach fügte die Regierung die Gefährdung seiner Existenz hinzu, indem sie ihn von seinem Amte als Postmeister entfernte.

Aber nicht ihm, sondern dem Volke von Amerika war die Beleidigung in der Person seines Agenten angethan worden, und das Volk trat für ihn ein; die Weltgeschichte übernahm seine Rache. Im folgenden Jahre brach die nordamerikanische Revolution aus, welche das Losreißen der Colonien vom Mutterlande und die Gründung der Republik zur Folge hatte. Die Personen gingen ihre Wege und die Geschicke ihre Bahnen. Franklin breitete durch Wort und Schrift, durch Lehre und Beispiel das himmlische Feuer der Freiheit unter den Sterblichen aus und wurde ein Wohlthäter der Menschheit, eine der ersten Zierden seiner Zeit und seines Volkes, dessen Name mit Segnungen ausgesprochen werden wird, so lange die menschliche Sprache in einem richtigen Verhältnisse zur Cultur steht, von der Mitwelt aber, wie Georg Washington sich eben so wahr wie schön ausdrückt, „seiner Herzensgüte wegen verehrt, seiner Talente wegen bewundert, seines Patriotismus wegen geachtet, seiner Menschenliebe wegen geliebt“. Vier Jahre später war er als nordamerikanischer Gesandter am Hofe zu Versailles der Gegenstand allgemeiner Verehrung, der schlichte sittenstrenge Greis an dem üppigen, verderbten Hofe. Die französische Akademie ernannte ihn zu ihrem Mitgliede, und bei seiner Ausnahme in diese berühmte Corporation begrüßte ihn d’Alembert mit dem unsterblich gewordenen Hexameter:

„Er entriß dem Himmel den Blitz, den Tyrannen das Scepter.“
(Eripuit coleo fulmen, sceptrumque tyrannis.)

Der Segen seiner Wirksamkeit steigerte sich mit den Jahren, und er erlebte vierundachtzig Jahre und sah hochbefriedigt einen großen Reichthum von Volksglück um sich aufgehäuft, als dessen würdiger Schatzmeister er endlich vom Schauplatz abtrat. Als er am 17. April 1790 gestorben war, trug ihn ganz Amerika zu Grabe, und die französische Nationalversammlung legte auf Mirabeau’s Antrag dreitägige Trauer an.

Wedderburne war fortan eifrig bemüht, Titel und Reichthümer als Lohn seiner Bestechlichkeit zusammenzuhäufen, und hatte doch keine Kinder. Verachtet und gemieden führte er ein freudloses Leben, und als er gestorben war, sagte der König: „So bin ich denn den größten Schurken meines Landes los.“ Die Weltgeschichte würde keine Kenntniß seines Namens haben, wenn ihn nicht Franklin’s Name in’s Schlepptau genommen hätte.

Den Lords des Staatsraths, die den größten Sohn Bostons zu brandmarken gedachten, ist es nicht einmal so gut geworden. Wer kennt ihre Namen? Sie sind verschollen, als hätten sie nie gelebt, und wenn sie wirklich nie gelebt hätten, wer hätte etwas verloren?

Auch der König wurde zweiundachtzig Jahre alt, aber sein Alter trat in steigender Progression in einen merkwürdigen immer schärfern Gegensatz zu dem zunehmenden Alter Franklin’s. Wie dieses immer glänzender, seine gesegnete Wirksamkeit immer breiter und weiter, sein Geist immer klarer, sein Gemüth immer wohlwollender wurde, bis er hinabging, wie die Sonne in einem herrlichen Abendroth, das seine bunten Lichter noch lange auf die Fluren streut, so wurden die letzten zwölf Jahre Georg’s des Dritten, wie von einem furchtbaren Fluche beladen, immer finsterer und unheimlicher, sein Thun und Treiben immer engspuriger und befangener, sein Leben immer einsamer, bis es in der finsteren Nacht des Wahnsinns schauerlich erlosch. Schon in seinen jüngeren Jahren hatte man periodische Spuren von Geistesstörung an ihm bemerkt, und sein wahrhaft schrecklicher Starrsinn war wohl nur Folge der Verdüsterung und Verwirrung seiner Gehirnthätigkeit. Dabei war er vom Volke so allgemein gehaßt, daß eine Menge Attentate auf sein Leben versucht wurden. Wie man ihm in seiner Jugend einen Galgen auf einem Karren unter seine Fenster geschoben hatte, so sang man in seinem Alter Schmählieder auf ihn und der gemeine Mann sprach seinen Namen nie ohne eine Verwünschung aus. Im Jahre 1810 erlosch das Licht seiner Vernunft gänzlich und nun sah man ihn mit Grausen noch zehn Jahre in den Abendstunden auf der Schloßterrasse von Windsor umherirren wie König Lear, Flüche und Verwünschungen ausstoßend. Als er endlich starb, bedauerte ihn Niemand. Und wie der Segen Franklin’s in Amerika fortzuwirken scheint, so daß es zur hundertjährigen Feier seiner Unabhängigkeitserklärung 1876 der mächtigste Staat des Erdbodens sein wird, eben so scheint der Fluch und Freiheitshaß Georg’s des Dritten in England fortzuwuchern, so daß es bereits seine Culmination erreicht haben dürfte und langsam rückwärts geht.

Ein merkwürdig drastisches und lehrreiches Bild, dieser Bürger Benjamin Franklin und dieser König Georg der Dritte, dieses Amerika und dieses England!


Nachtfeste der Lagunenkönigin.
Von Friedrich Hofmann.

Am zweiten Sonntag des Wonnemonds 1855 machte in La Mira, jenem Marktflecken von Palästen der venetianischen Großen und Reichen, der an der Heerstraße von Fusina nach Padua liegt und wo ich den ganzen Mai jenes Jahres verlebte, bei Tische Graf M. mir und meinen jungen Freunden, deren Studien ich damals zu leiten hatte, die Mittheilung, daß heute die Gemeinde der Erlöserkirche – Il Redentore – aus der Giudecca, einer Vorstadtinsel von Venedig, ihr jährliches Kirchenfest feiere und zwar bei Nacht, mit Illumination und großer Procession in illuminirten Barken und Gondeln. Er lud uns ein, diese Herrlichkeit mit ihm zu beschauen. Die Dämmerung brach schon herein, als wir nach halbstündiger Wagenfahrt die nächste Eisenbahnstation Marano erreichten. Bald brauste die lange Waggonreihe des Abendzuges von Verona, Brescia und Padua heran, und fort ging’s nun mit Dampf. Hinter Mestre empfangen uns die zweihundert und zweiundzwanzig Bogen der berühmten Lagunenbrücke, der längsten Brücke der Welt; da wir aber ihre volle Stundenlänge in acht Minuten zurücklegen, so entschwindet diese Großartigkeit unseren Augen, die ohnedies von dem mit jeder Minute mächtiger vor uns auftauchenden Bilde von Venedig vollständig in Anspruch genommen werden. Diese Fahrt über die dunkeln, stillen Gewässer war entzückend. Links und rechts endlose Ferne, darüber der ungeheuere Riesendom des Himmels und vor uns schwamm eine lange, schmale Wolke, mit Sternchen besäet, auf dem glanzlosen Spiegel. Je näher wir ihm kamen, desto zackiger und sternenreicher wurde der Wolkenstreif, und endlich zeichneten sich Thürme, Kuppeln und Dachgiebel am Himmel ab und von den Sternen standen die oberen alle fest, und die unteren zitterten in den Lagunen. Ein schriller Pfiff, – die Locomotive begrüßte den Bahnhof. Nun war noch eine unheimliche Passage durchzumachen: es führte kein anderer Weg in die Stadt, als der durch das Paßbureau und Mauthamt. Da saßen sie in langer Reihe, die Vehmrichtergesichter, die jeden Herankommenden mit den Blicken anbohrten, um die gefährliche Person in ihm zu entdecken. Wehe hier dem, der keine guten Briefe hatte! Uns war’s besser, unter des Grafen Anführung zogen wir ungehemmt, jedoch respectvoll entblößten Hauptes, an der langen Reihe vorüber und zur andern Thür wieder hinaus – und Gott Lob, da ist der große Canal und da tanzen die Gondeln – rasch hinein! Erst wenn man in der Gondel sitzt, ist man in Venedig.

Aber was ist das? Ich wußte doch ganz genau, daß man eine Anzahl Treppen von der Ufermauer abwärts zu steigen hatte, um an den Wasserspiegel des Canale grande zu gelangen, – heute kam uns die grüne Fluth schon oben an der zweiten Stufe entgegen.

„Ah, wir sind zu einer ‚Springfluth‘ zurecht gekommen,“ rief Graf M. freudig. „Wir verdanken dies der Nähe des Neumondes, der sich mit dem Vollmond abwechselnd bisweilen das Vergnügen macht, der Lachlust der Venetianer für sie immer neuen wenn auch noch so alten Stoff zu liefern und nebenbei die Reinigung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_139.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)