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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Petrinum zu ihrem Mittelpunkt und Häuptling. Ein Franke seiner Herkunft nach, vereinigte er in seinem Wesen alle Vorzüge der Stämme diesseits und jenseits der Mainlinie schon gewissermaßen durch seine Geburt. Ein reiches Gemüth und ein scharfer Verstand, beide in einem ereignißvollen Leben in sehr verschiedener Stellung, in Kämpfen aller Art, in Arbeiten für das Wohl des Volkes bald in der Kammer als Redner, bald in der Dorfschule als Erzieher, bald als Unterstaatssecretär im Handelsministerium des deutschen Reichs, geläutert und bereichert, hoben ihn noch weit über die allgemeine Anlage seines Stammes hinaus. Ohne die Ideale seiner Jugendzeit zu verlieren, hatte er sich schon durch sein ursprüngliches Studium, die Cameralwissenschaften, Geringschätzung der landläufigen Redensart und der politischen Stubenweisheit angewöhnt und den Grund zu der in seiner weiteren Thätigkeit in seltnem Grade ausgebildeten Erkenntniß gelegt, daß nur der die Welt seinen Idealen dienstbar macht, welcher mit den Thatsachen rechnet. Ein heißes Herz und ein kalter Kopf glichen sich in ihm aus zu einem jener Menschen, wie wir Deutschen sie vor Allem brauchen können.

Nicht oft brach das heiße Herz hervor, dann aber mit schneidender Energie. So, als ein Vorfechter der Ultramontanen in der badischen Kammer ihm einen Brief ableugnete, auf den er sich bezogen und den er dem Dreisten dann vor’s Gesicht hielt, und so in seiner vulcanischen Rede gegen die Opposition, die ihm als Minister aus selbstsüchtigen Beweggründen einen wohlüberlegten Plan zu volkswirthschaftlicher Reform bestritt. Für gewöhnlich war er in Geschäften ein kühler, praktischer, rastloser Arbeiter, im Freundeskreise ein anspruchloser, einfach liebenswürdiger Gesellschafter, und nur ein gewisser Zug leiser Ironie, der bisweilen seine Erzählung oder sein Urtheil umspielte, verrieth den vornehmen Geist, welchen der Zuhörer vor sich hatte. In ganz vertrautem Kreise gab er sich ganz, wie er war, und dann war es eine Freude, ihm zu folgen bei der Mittheilung seiner Erlebnisse oder der Schilderung der zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen er in Berührung gekommen.

Mathy verstand vortrefflich zu erzählen, und er erzählte gern, vorzüglich aus seinen jüngeren Jahren. Es wäre zu beklagen, wenn er darüber nicht mehr niedergeschrieben hätte, als das reizende Bildchen, aus der Zeit, wo er Schulmeister von Grenchen war, eine Dorfgeschichte, die zu dem Besten in Freytag’s „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“, gehört und die man in gewissem Sinne das aus der Phantasie in die Wirklichkeit übersetzte Zschokke’sche „Goldmacherdorf“ nennen kann. Wie er als Heidelberger Student Gefallen an der Stärke des Rosses hatte; sein Säbelduell ohne Secundanten mit einem Commilitonen, der jetzt eine hohe Stellung in der badischen Verwaltung bekleidet; seine Fußwanderung nach Frankreich hinein, der Anziehungskraft nach, die auf junge Gemüther die Julirevolution ausübte; die ersten Versuche des Cameralprakticanten Mathy, in der Presse seiner Regierung Opposition zu machen; seine Erlebnisse in der damals zum Theil noch sehr ursprünglichen zweiten Kammer Badens, in welcher unter Anderem Abgeordnete aus bäuerlichen Wahlkreisen sich ihr Feuerholz eigenhändig abluden und klein machten; seine Charakterbilder von Hecker und Struve; sein Bericht über die Art und Weise, wie er Fickler verhaftete, ein Bericht, der allerdings wesentlich anders klang, als die Darstellung der Gegner, und in dem man, wenn nicht mehr, mindestens in Mathy den unerschrockenen Vertreter seiner Auffassung der Lage bewundern muß;[1] – alle diese Dinge von ihm selbst verzeichnet würden allein schon eine Reihe der anmuthigsten und lehrreichsten Capitel bilden.

Wir Alle lernen, wenn wir die Augen offen halten. Die Jugend schwärmt für Ideale, und auch Mathy war davon nicht ausgenommen. Es wird eine Zeit gegeben haben, wo seine politischen Ziele von denen Hecker’s nicht eben weit entfernt lagen, wo er die Marseillaise nicht blos als prächtige Melodie mit erhabenem Texte verehrte, wo er sich selbst durch die Carmagnole begeistern ließ. Stimmte er doch in guten Stunden, wenn in engstem Kreise das Schlachtlied Rouget de l’Isle’s erklungen war, wiederholt den Jakobinergesang von „Madame Capet, die versprochen, ganz Paris erwürgen zu lassen“ an und nichts weniger als mit ironischer Miene. Mathy ist in seinen Jünglingsjahren in Phantasie und Glauben, dann während seines Aufenthalts in der Schweiz in voller, ganzer Wirklichkeit mehr als liberal, er ist Republikaner gewesen. Er hat dann gelernt an den Menschen und Dingen, daß die Welt unter dem Monde das Vollkommene nicht verträgt und daß sein einstiges Ideal sich nicht für deutsche Zustände schickt, und er hat im Frankfurter Parlament und anderwärts mit der ihm eigenen Entschlossenheit darnach gehandelt. Er ist zuletzt ein treuer Diener seines Fürsten und ein Staatsmann gewesen, der, wie viel er auch für Reformen im liberalen Geiste that, streng und stramm auf Maß und Ordnung nach den Gesichtspunkten des zur Zeit Möglichen hielt. Aber die Erinnerung an sein einstiges Ideal war ihm, wenigstens in Leipzig, geblieben und vielleicht mehr. Er bewahrte es, wenn ich die angeführte Aeußerung seines Gefühls und mancherlei Aehnliches nicht unrichtig deute, in einem warmen Winkel seiner Seele, wie man das Bild einer Jugendgeliebten aufbewahrt. Die Sehnsucht nach ihr hat sich nicht, erfüllt, konnte sich nicht erfüllen. Auf sie zu hoffen, war ein Traum, aber ein Traum voll beglückender Gluth. Eine der Wirklichkeit vergessende Stunde läßt ihn wieder aufleuchten und das Herz für einen Augenblick mit der alten Wärme erfüllen. Dann versinken seine Gestalten wieder, um den Pflichten Raum zu geben, die der Verstand uns auferlegt.

Aeußerlich war Karl Mathy eine gedrungene Gestalt von etwas über Mittelgröße, ein schöner Kopf mit spärlich gewordenem, früh ergrautem Haar, unter hoher, breiter Stirn ein Paar große leuchtende hellblaue Augen, der Ausdruck der Züge Milde mit Festigkeit gepaart. Die Oberlippe trug einen kurz gehaltenen grauen Schnurrbart, das mäßig geröthete Gesicht rahmte ein ebenfalls kurz geschnittener Bart von der Art ein, wie man sie früher in Süddeutschland Demagogenbärte nannte. Seine Haltung war in der Regel stramm und gerade, der Gang ein wenig einknickend. Im gewöhnlichen Verkehr klang seine Rede an den badischen Dialekt an, der wie alle südwestdeutschen das N beim Infinitiv und Particip der Vergangenheit sowie beim Plural der Hauptwörter wegläßt und im Perfectum erzählt. Bei öffentlichem Auftreten – er hielt unter Anderem in Leipzig einen Vortrag bei der im Mai 1862 vom „Kitzing“ im Schützenhause veranstalteten Fichtefeier – fielen diese Anklänge weg. Wohlüberlegt und darum klar und fließend, gedankenreich, phrasenlos wirkte sein Wort dann mächtig, zumal es durch eine sonore Stimme, durch ruhige, mannhafte Haltung, die nichts von den Theaterkünsten anderer Sprecher hatte, und durch jene leuchtenden Augen unterstützt wurde, die so prächtig die Ueberzeugungstreue widerspiegelten, welche ihn erfüllte.

Karl Mathy’s Vaterland war Deutschland. Kein Tropfen von particularistischer Vorliebe oder Abneigung floß in seinen Adern. Er hatte, als er zu uns kam, schon Jahre im Norden gelebt, erst in Gotha, dann in Berlin, bei der dortigen Discontogesellschaft angestellt, und er hatte dort allenthalben Freunde zurückgelassen. Auch in Leipzig fühlte er sich wohl. Seine Berufung zum Director der deutschen Creditanstalt setzte ihm eine Aufgabe, die einem tüchtigen Manne bis auf Weiteres genügen konnte. Er hatte die Freude, zu sehen, daß sein Plan von der Mehrzahl der Interessenten gebilligt wurde und sich gedeihlich entfaltete. Seinen Bemühungen dankte das Institut vor Allem die Abwickelung von Unternehmungen, mit denen eine phantastische Speculation es in Verbindung gebracht hatte, und das Wiederemporkommen zu solidem Stande und allgemeinem Vertrauen. Auch pecuniär war seine Stellung in Leipzig keine ungünstige. Eine angenehme Häuslichkeit, eine Gattin, die ihr vorstand, die große und schöne Erinnerungen mit ihm theilte, war ihm dahin gefolgt. Nicht die am wenigsten werthe Verschönerung seines Aufenthalts bei uns war endlich der zu Anfang dieser Mittheilung geschilderte Freundeskreis für ihn.

Kaum zwei oder drei Mal, wenn nicht durch Reisen entfernt, fehlte er in den drei Jahren, die er in Leipzig lebte, bei den Dienstags- und Freitagsabenden der runden Tafel. Mit der Regelmäßigkeit einer Uhr kam er Punkt zehn Minuten nach sieben.

Nicht immer mit derselben Regelmäßigkeit ging er, nachdem er sein ein für alle Mal feststehendes Maß von Kitzing’s dunklem Saft genossen. Aller Augen erwarteten ihn, wenn er im Dampf des ersten Zimmers hinter den Scheiben der Glasthür erschien;

Alle hingen an seinem Munde, wenn er sprach. Der Geschichtschreiber[WS 1]

  1. Bewundern ist wohl hier nicht das rechte Wort. Bei aller Anerkennung Mathy’s kann und wird die Demokratie diesen der Reaction geleisteten Dienst niemals vergessen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Geschichtschrei er
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_153.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)