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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

todtgeschlagen werden, gegen diese geselligen und häuslichen Uebelstände, die natürlich folgten, wenn am Löhnungstage die Frau den Eheherrn aus der Schenke holen mußte, um noch etwas Geld für die Woche zu retten, gegen diesen Krebsschaden der Gesellschaft entstanden zuerst die Mäßigkeitsvereine. Diese wollten aber nicht durchschlagen, denn was war mäßig, was unmäßig? Es wurden daher die Total Abstinence-Vereine, die gänzliche Enthaltsamkeit übten, daraus. Jeder Theilnehmer that ein Gelübde, gar keine berauschenden Getränke mehr zu trinken. Die Gesellschaft scheint zu blühen, hält Versammlungen und Sonntags Predigten im Freien oder in Sälen. Sie haben Gesänge und Gesangbücher und eigene Lieder; eines drückt den festen Entschluß aus, die Abschaffung des verruchten Alkohols durchzusetzen. Sie geben manchmal große Theegesellschaften. Dadurch sind sie zu dem Spottnamen Teatotallers gekommen, den sie selbst adoptirt haben. Die Beredsamkeit, die Macht der Beweisführung, die Schlagfertigkeit ihrer Führer und Redner ist bewundernswürdig. Wird man nicht überzeugt, so ist man doch verblüfft. Sie beweisen echt englisch ihr ganzes System aus der Bibel und behaupten kurzweg, daß all’ der Wein von Vater Noah bis zur Hochzeit von Cana gar kein Wein, sondern Most gewesen wäre, und Most, glauben sie, berausche nicht. Wie sie Noah weiß brennen, erinnere ich mich nicht mehr, daß sie es aber fertig bringen, hab’ ich erlebt.

Durch diese energische Bewegung, die nur als Gegenstoß gegen die Gräuel der Trunkenheit entstehen konnte, ist sehr viel Gutes gestiftet worden. Dennoch ist es bekannt und wahr genug, daß sie sich zum Fanatismus und zur Tyrannei gesteigert hat. Sie hat in Nordamerika in einigen Staaten die Mehrheit der Repräsentanten erlangt und Verbote gegen alle Spirituosen erlassen, ja, sie macht in England Anstrengungen, es zu ähnlichen Gesetzen zu bringen. Wer nun aus demokratischern Gottlosigkeit nicht an den Nutzen der edlen Lords glaubt, der wird doch stutzig werden, wenn er sich überlegt, daß die edlen Lords sich sicherlich weder ihre Wein-, noch ihre Bierkeller .verbieten lassen werden, also eine Schutzwehr gegen die Tyrannei der Temperanzler sind. Es wäre möglich, daß sie nichts dagegen hätten, wenn dem gemeinen Volk aller Alkohol verboten würde, aber den edlen Lords, das ist nicht denkbar. Und wäre es nicht schade, wenn ein Bier (Old mild), welches erst im dreißigsten Jahr gezapft werden darf – nach dem Testament irgend eines braven alten Lords – nun wegen plötzlichen Bierverbotes im neunundzwanzigsten Jahr in die Gosse laufen müßte? Bei dem Gedanken an ein solches Attentat gegen den Gott Soma muß jedem Bierfreunde die Kehle trocken werden und die Laus über die Leber laufen. Alle Standesvorurtheile schwinden angesichts einer solchen Barbarei.

Der Eingewanderte, besonders der unfreiwillige, wird leicht noch eine Zeit lang die heimische Lebensart in England fortsetzen, Kaffee trinken, Suppen essen und sich für den Durst an’s Wasser halten. Aber der Arzt wird bald dazwischen treten mit der Warnung: „Sie leben zu ärmlich. Trinken Sie Porter, das himmlische Naß, das Götter und Menschen stärkt; essen Sie mehr Fleisch; trinken Sie Thee, wie wir, und essen Sie gebratenen Speck zum Frühstück!“ (Wie die Eskimos Thran trinken, um sich zu erwärmen, so braucht man hier vielleicht mehr Fettspeisen.) Statt aller Medicin ist mir wörtlich diese Diät verordnet worden, als ich das erste und einzige Mal hier krank wurde; und ich finde, daß ich – genesen bin, – ob post hoc oder propter hoc, das zu entscheiden überlasse ich unserm Freunde, dem Dr. Bock.

Gebratnen Speck und Bier frühstückte noch die Königin Anna; überhaupt aß man zur Zeit einer geringeren Civilisation in England viel mehr Schweinefleisch, der Fortschritt zu dem Könige des Fleischerladens, dem Gott Aegyptens, zu der Sünde des Rindfleischessens, die den Indiern ein solcher Gräuel an den Engländern ist, war, nach Buckle, dem berühmten Verfasser der Geschichte der Civilisation etc., auch ein Fortschritt in der Civilisation. Leider hat Buckle diesen wichtigen Gesichtspunkt nur andeuten können, die gründliche Ausführung findet sich nirgends in seinem Nachlaß.

Philipp der Zweite, der Gemahl der katholischen Maria, aß sich bekanntlich jedes Mal in englischem Schinken krank, wenn er herüberkam, um nachzusehen, wie seine Schöne die englischen Ketzer bediente. Leider genas das Ungethüm allemal wieder in der orthodoxen Luft der spanischen Autodafés, sonst hätten die guten Yorkshire-Schinken der Welt die Ausrüstung und das Scheitern seiner Armada erspart?

Jedermann weiß, daß hier in England gar kein Roggenbrod gegessen wird; neuerdings ist das Weißbrod noch glänzend verbessert worden durch das gelüftete Brod, ein Maschinenbrod von außerordentlicher Zartheit und Weiße; nächstdem ist das hausbackne Hefenbrod, unterschieden vom Bäckerbrod, das nicht mit Hefen gebacken wird, das beste. Dennoch werden auf dem Continent eine Menge feiner Gebäcke hergestellt, die sich hier durchaus nicht einbürgern wollen, nicht einmal die Zwiebacke und die Hörnchen.

Im Ganzen lebt der Engländer besser und mehr aus dem Vollen, als die continentalen Völker, aber in vielen Dingen ist eine Ausgleichung der Unterschiede das Richtige. So hat man sogar neuerdings die Einführung des Schwarzbrodes in Anregung gebracht, bis jetzt freilich ohne Erfolg.





Bilder aus den deutschen Alpen.

Nr. 2. Kirchfahrt auf oberbairischem Gebirgssee.

Flocken wirbelten, ich saß im Pelzmärtelcostum auf einem Bauernschlitten und eilte von München aus den Bergen zu.

„Welcher Unsinn!“ seufzte die alte Tante, als ich von dannen ging. Sie frug mich nicht lange: wohin? und wenn es der Leser thut, bin ich bei Gott in Verlegenheit. Denn wer mitten im Januar und mitten im Schneegestöber auf einer Landstraße fährt, dem vergeht alle Geographie. Die Landschaft bekommt etwas so Utopisches, etwas so Verflachtes und Verallgemeinertes, daß man glauben könnte, man sei überall und nirgends. Alles Individuelle wird zugeschneit, alle Eigenthümlichkeit steckt im Nebel. Wüßt’ ich es nicht, daß hinter Holzkirchen die Berge stehen, gesehen hätt’ ich sie nimmermehr; und wären nicht die blauweißen Wegzeiger ganz officiell im Graben gestanden, so hätt’ ich dies weite Blachfeld dem Czaarenreiche zugewiesen. – Wie gesagt, die Gegend hat etwas unbestreitbar Sibirisches, und wer dort den Bauern betrachtet in seiner weißen Wolldecke, welcher eben „Guten Abend“ brummt, der glaubt auch an Eisbären.

Der Bauernschlitten fuhr gen Tegernsee, – ich auch. Selten zog ein Wanderer oder ein Gefährt an unserm Schlitten vorbei, nur ein flinker Einspänner machte eine dankenswerthe Ausnahme. Aus dem Pelzmagazin in seinem Innern winkte eine Hand mit flüchtigem Gruße, und das ist eine Hand, die viel Gutes thut. Es war der wohlbekannte hochverdiente Aesculap dieses Thales.

Manchmal war der Kutscher in Gedanken vertieft, aber das merkte ich immer erst, wenn wir umgeworfen hatten. So alle Stunden kam es einmal vor, wie eine regelmäßige kühlende Medicin, und als ich bei „Guggemos“ absteigen wollte, rollte ich direct zur Thür hinein.

Wohl mancher der freundlichen Leser kennt das „Hotel zum Guggemos“ in Tegernsee aus eigener Anschauung. Aber jetzt schaut es sich anders an, als in den Sommertagen, wo die fremden Herren auf der Bank vor dem Hause mit den Beinen baumeln und ihren Bädeker studiren, während die Dämchen drinnen durch Toilette glänzen. Jetzt sieht man keinen Bädeker und keine Toiletten vor dem Haus und ich glaube – nicht einmal die grüne Bank.

Es war Abend geworden und ich trat ein in’s Herrenstübchen. Ueber dem blanken Tisch hing die Petroleumlampe, die sich so siegreich wie keine andere Entdeckung in unseren conservativen Bergen verbreitet hat. Hier waren die „Herren“ versammelt, und die Hunde der Herren krabbelten unter dem Tisch herum und machten mir ihr Compliment. Da sah ich den „Cäsarl“ wieder und den „Kuno“ und „Bausen“, den mir zürnenden Dachshund. Die Gebieter aber, die wohlbekannten, schüttelten mir die Hand, und das war ein freudiger und freundlicher Willkomm für mich.

„Nun, was treiben Sie immer?“ hieß es auf beiden Seiten,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_171.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)