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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Jetzt kamen auch unsere beiden Gefährten vom Weidengraben herauf, und da die zunehmende Dunkelheit die Anwendung des Schießgewehrs bereits mißlich machte, so ward beschlossen, sämmtliche Hunde zugleich an den Otter zu hetzen, um der Sache rasch ein Ende zu machen.

Der Revierjäger behauptete, der Otter könne in Folge seiner beiden Schüsse schwerlich noch Widerstand leisten, vielleicht sei er bereits verendet. Diese Ansicht erwies sich indeß bald als ein großer Irrthum; der Otter hatte einen günstigen Moment benutzt, um sich unbemerkt davonzuschleichen, und ließ des Revierjägers Hündin vor dem leeren Busche verbellen, so lange sie wollte. Die Hunde umschwärmten, die Nase am Boden, in immer größeren Kreisen den Platz, und im Handumdrehen waren alle vier in der Richtung nach dem Damme zu im Nebel verschwunden.

Jenseits des Knüppeldammes, lag ein zweiter größerer Teich, und wenn es dem Otter gelang, diesen zu erreichen, so war er gerettet und der Revierjäger um einen schönen Balg betrogen. Wir eilten daher dem Damme zu und waren kaum dort angelangt, als weiter oben ein Hund laut wurde und unter abwechselndem Verbellen und Nachsetzen in dem seichten Schilfgraben, am Fuße des Dammes, uns näher und näher rückte. Wahrscheinlich hatte der Otter die steile Böschung des Dammes nicht rasch genug erklimmen können und suchte nun, vom Hunde gedrängt, einen günstigeren Uebergang zu dem nahen Teiche.

Jetzt tauchte ein zweiter Hund aus der Dämmerung hervor; es war Pascha, der stolze weiß und schwarz, gefleckte Setter, welcher mit seinem fliegenden Fahnenschweif wie ein leuchtendes Meteor durch das Nebelmeer daherstrich. Dicht hinter ihm folgten die beiden letzten Hunde und im Nu. hatten sie den Flüchtling erreicht und gefangen. Ein wahrer Höllenlärm erhob sich; der wirre Knäuel wälzte sich in toller Hast zu unseren Füßen in dem Graben dahin, daß die Rohrstengel links und rechts knackten und knatterten wie Kleingewehrfeuer. Endlich trat Stillstand ein. Pascha hatte sich quer über die heulende Juno geworfen und hielt den geschmeidigen bissigen Feind am Halse. Der Revierjäger benutzte diesen günstigen Moment, und ein wohlgezielter Stockhieb über die Nase des Otters beschleunigte dessen Ende.

Als wir mit unserem Fange endlich den Heimweg antraten, schätzten wir uns glücklich, den sichern Boden des alten Knüppeldammes unter den Füßen zu haben, denn es war inzwischen so finster geworden, daß man nicht zwei Schritte weit sehen konnte. In der Dorfschenke rasteten wir und untersuchten zunächst unsere Hunde, welche gegen Erwarten trotz allem Hinken und Kopfschütteln nur ganz unbedeutende Verletzungen zeigten. Der Otter war ein feistes männliches Exemplar von ungewöhnlicher Stärke und – den völlig abgenutzten Fang- und Schneidezähnen nach zu urtheilen – von hohem Alter. Diesem Umstande hatten wir es wohl vorzugsweise zu danken, daß unsere Hunde bei der Rauferei so gnädig davon gekommen, denn der Otter beißt bekanntlich am schärfsten unter allem einheimischen Raubzeuge und bleibt für den Hund immer ein furchtbarer Gegner. Eine Otterhetze ist daher überhaupt nicht Sache des Vorstehhundes; allein „Noth bricht Eisen“, wie das Sprüchwort sagt. Wir sind eben im Raffinement unseres Jagdvergnügens noch nicht so weit gediehen wie die Engländer, welche für jede Wildart und Jagdmethode eine besondere Hunderace gezüchtet haben.

In Anbetracht der erwähnten schlechten Beschaffenheit des Gebisses unsers Otters war uns dessen außerordentliche Corpulenz einigermaßen auffallend, in späterer Zeit habe ich jedoch bei längerem Aufenthalt in österreichischen Gegenden dieses anscheinende Mißverhältniß öfter wahrgenommen und glaube, daß dem Otter der Fischfang im Allgemeinen nicht so sauer wird, wie man wohl im Hinblick auf die blitzähnliche Beweglichkeit der Fische in ihrem Elemente vorauszusetzen geneigt ist. Der Fisch ist in Folge der Stellung seiner Augen und seiner ganzen Bauart unfähig, gerade unter sich zu sehen. Es ist sicher anzunehmen, daß der Otter diese Schwäche seines flüchtigen Raubes instinctiv kennt oder im Lauf der Praxis kennen lernt und, wo es irgend thunlich, zu seinem Vortheil benutzt; denn er ist ein intelligentes Raubthier, welches, wie der Fuchs, seine Fangmethode nach den gegebenen Verhältnissen mannigfach abändert.

Wir hoffen später einmal Gelegenheit zu haben, in diesen Blättern auf die Lebensweise des interessanten Geschöpfes, welches im Habitus und Naturell gewissermaßen einen Uebergang vom Marder zum Seehund bildet, ausführlicher zurückzukommen.




Ein Opfer aus Deutschlands schwerster Noth.

Auch eine Erinnerung an Compiègne.
Von Sigmund Kolisch.

Nichts weiter als ein vorüberzuckender Sonnenblick war der Vortheil, welchen Erzherzog Karl am 21. und 22. Mai 1809 bei Aspern über Napoleon erfochten. Dem flüchtigen Siege folgte auf dem Fuße die entscheidende Niederlage. Sechs Wochen nach der Schlacht bei Aspern, 5. und 6. Juli, wurde das österreichische Heer von den Franzosen bei Wagram geschlagen und das überwundene Donaureich erwartete sein Schicksal aus dem Munde des Gebieters über Europa, der, indem er Kronen verlieh und entzog, die Gottesgnade um das herkömmliche Ansehen brachte. Mit Bangen las man in der Hofburg jeden Morgen den Moniteur, um zu sehen, ob nicht das Haus Habsburg-Lothringen aus dem Buch der Könige gestrichen sei, wie es vor Kurzem dem Haus Braganza widerfahren. Indeß begnügte der Eroberer sich mit der Forderung eines harten Tributs, den zu verweigern der gedemüthigte Kaiser Franz nicht wagen konnte. Nebst den erheblichen Geldsummen, die als Kriegsentschädigung zu bezahlen waren und den Völkern zur Last fielen, mußte Oesterreichs Herrscher sich bequemen, dem verhaßten Emporkömmling seine Tochter zur Frau zu geben und auf diese Weise zur Fortpflanzung des Stammes beizutragen, dessen Vernichtung ihm so sehr am Herzen lag. Mit dem Fürsten Heinrich Schwarzenberg, der um jene Zeit Oesterreich am französischen Hofe vertrat, wurde die Sache zu Paris abgemacht, nachdem der Czar Alexander auf eine Eröffnung dieser Art von Seiten der französischen Agenten mit hohlen Umschweifen und hinhaltenden Doppelsinnigkeiten geantwortet hatte, die einer Zurückweisung jedenfalls sehr ähnlich sahen. Und zwar wurde die Unterhandlung so eingeleitet, daß es aussah, als ob der Heirathsantrag von dem Wiener Cabinet ausgegangen wäre. Auch dieser Demüthigung mußte der besiegte Fürst sich unterziehen, das „Vae Victis“ welches er früher und später Andere so hart empfinden ließ, mußte er nun selbst empfinden. Trotz aller Schonung und Vorsicht, mit welcher man vorging, wirkte die Allkündigung der vereinbarten Ehe niederschmetternd auf die neunzehnjährige Prinzessin Marie Louise; es war ihr, als ob sie, ein ausersehenes Opfer, den Armen eines Ungeheuers überliefert werden sollte.

Man hatte sie im Haß gegen den Eroberer großgezogen und sie daran gewähnt, Napoleon als einen Räuber, einen gesetzlosen Räuber zu verabscheuen. Selbst von Anerkennung des erstaunlichen Genies wurde sie durch Lehre und Beispiel zurückgehalten. Sie hatte an dem merkwürdigen Manne Alles mißachten, seine glänzendsten Vorzüge, selbst seinen Kriegsruhm leugnen gelernt. In ihre Kinderspiele sogar hatte die Feindseligkeit gegen den ungerathenen Sohn der Revolution sich gemischt. Sie, ihr Bruder und ihre Schwestern, wenn sie sich recht angenehm die Zeit verkürzen wollten, stellten Holzsoldaten, welche ihnen das französische Heer bedeuteten, in Reihen auf. Zum Befehlshaber dieser Schaar machten sie die häßlichste, bärtigste, durch ein wildes Aussehen am meisten abstoßende Figur, und an diesem Napoleon in effige ließen sie all’ ihren Zorn aus, indem sie ihm Nadelstiche, Ohrfeigen, Nasenstüber versetzten und ihm überhaupt die gröblichsten Beschimpfungen und Mißhandlungen angedeihen ließen. Mit Thränen unterwarf sich die Prinzessin dem Willen ihres kaiserlichen Vaters, mit Thränen willigte sie in den Ehebund, der sie zur vielbeneideten Gemahlin des mächtigsten Fürsten der Erde machte.

Maria Louise, als Kaiser Napoleon um sie warb, war eine kräftige, blühende Erscheinung. Die strotzenden Formen, die runden frischen Wangen hätten in ihr eher ein Kind der ländlichen Flur, in freier Luft emporgewachsen, als die Fürstentochter in der beschränkten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_190.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)