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drückenden Atmosphäre des Hofes großgezogen, vermuthen lassen. Eine Fülle hellbrauner Haare umrahmte weich und üppig das oval geformte, lebhaft gefärbte Angesicht. Augen voll Sanftmuth blickten mit einer fast kindlichen Unbefangenheit unter den sanft gewölbten Brauen hervor. Die wulstige Unterlippe verrieth den Stamm, welchem sie entsprossen. Ihr ganzes Wesen athmete Jugend, Arglosigkeit und Unschuld.

Die Art, wie diese Prinzessin, wie damals österreichische Prinzessinnen erzogen wurden, verdient mit besonderem Nachdruck hervorgehoben zu werden, denn sie ist höchst charakteristisch für die in der Hofburg herrschenden Anschauungen und erklärt das Bevormundungssystem, nach welchem eine väterliche Gewalt die Völker zu beglücken gesucht. Sie erklärt die politischen Mißgriffe, die man komisch finden müßte, wenn sie in ihren Folgen nicht so herzbrechend tragisch wären.

Maria Louise blieb nach der angenommenen Erziehungsmethode in einer streng beobachteten Entfernung von dem geräuschvollen Treiben des Hofes, umgeben von den ihr zugewiesenen Frauen und Dienern, die sie um so freundlicher behandelte, je ausschließlicher sie auf deren Gesellschaft angewiesen war. Ihre Obersthofmeisterin war die Gräfin Colloredo, ihre eigentliche Erzieherin (Gouvernante) die Gräfin Lazarski, die ihrem Zögling sehr zugethan und auch sehr theuer war und blieb. In dieser Abgeschiedenheit war das Lernen der Erzherzogin ein Bedürfniß, eine Zerstreuung; auch sprach sie mehrere Sprachen, sogar Lateinisch hat sie getrieben, sie musicirte und zeichnete nicht ohne Talent und Geschmack, und – nun kommen wir auf den Punkt, den wir so dringend der Aufmerksamkeit empfohlen haben: damit die Prinzessinnen vor jedem Eindruck bewahrt blieben, der nur im Entferntesten ihren keuschen Sinn trüben, ihre Sinnlichkeit anregen konnte, wurden aus den Büchern, die man ihnen zu lesen gab und empfahl, Seiten, Sätze, Zeilen, ja sogar Wörter herausgeschnitten, wenn dieselben die leiseste Anspielung auf geschlechtliche Verhältnisse enthielten oder auch nur zu einer unmoralischen Auslegung Anlaß geben konnten. Die natürliche Folge dieser verkehrten Maßregel war, wie es Maria Louise nachmals als Kaiserin der Franzosen unumwunden aussprach, daß die fehlenden Stellen in den censurirten Büchern die Phantasie und das Interesse der jungen Leserinnen am meisten und bis zur Ermüdung beschäftigten und daß für den stehengebliebenen Text auch nicht die geringste Theilnahme übrig blieb. Nichts Dringenderes hatte die Kaiserin der Franzosen zu thun, sobald sie die Freiheit zu lesen gewonnen hatte, als von den weggeschnittenen Stellen in den vollständigen Büchern, welche sie herbeischaffen ließ, Kenntniß zu nehmen. Die Geschichte der Censur im Kleinen! Noch einer Vorsicht muß hier gedacht werden, welche zur Aufrechterhaltung der Nonnenhaftigkeit bei den Prinzessinnen gebraucht wurde. Nicht ohne Lachen vermag ich die Seltsamkeit vorzubringen. Es wurde nämlich dafür gesorgt, daß die Hausthiere, welche den Erzherzoginnen in die Nähe kamen, weiblichen Geschlechtes waren, die Männchen blieben von der Ehre dieser Nähe unerbittlich ausgeschlossen, auf daß sie nicht durch irgend eine Kundgebung die unmoralische Neugierde der erlauchten Damen erregten.

So war das Weib gebildet und erzogen, welches gegen seinen Willen von den politischen Verhältnissen auf den französischen Kaiserthron emporgehoben wurde. Sie betrachtete es als ein Herabsteigen, obwohl sie bald auf andere Gedanken, zu einer anderen Ueberzeugung kam.

Am 16. Februar 1810 unterzeichnete Kaiser Franz den Ehecontract. Den 27. tauschten Herr Otto und Graf Metternich die Ratificationen aus. Am 11. März fand die Vermählungsfeier in der Augustinerkirche zu Wien statt. Der abwesende Franzosenkaiser wurde auf seinen Wunsch bei der Feierlichkeit durch den Erzherzog Karl vertreten. Sein außerordentlicher Abgesandter, der Fürst von Neuschatel und Wagram, ein Titel, der schlecht zu der Gelegenheit paßte war zugegen. Der Vermählung folgte ein glänzendes Bankett am Hofe.

Am 14. März schied die Prinzessin unter Thränen von ihrer Familie und der geliebten Stadt Wien. Die Glocken läuteten, die Kanonen donnerten, an den Fenstern der Häuser wehten Fahnen, dreifarbige neben der schwarzgelben, und die Bande der kaiserlichen Garde ließ französische Militärmusik ertönen, nicht die Marseillaise natürlich, die dem Kaiser Napoleon in dem Maße wie dem Kaiser Franz ein Gräuel war.

Von dem Augenblicke an, wo die junge Kaiserin französisches Gebiet betrat, glich ihre Reise einem Triumphzug. Amtliche und nicht amtliche Huldigungen traten auf dem Wege von Straßburg nach Compiégne ihr entgegen. Ueberall, wo sie anhielt, traf sie einen Pagen und einen Officier des kaiserlichen Hauses, die Briefe von dem Gebieter überbrachten. Napoleon hatte außerdem die liebenswürdige Aufmerksamkeit, anzuordnen, daß jeden Tag ein Reisebericht an den Vater der Kaiserin nach Wien geschickt wurde. Unnöthig zu sagen, daß der Befehl mit militärischer Pünktlichkeit ausgeführt ward. Ueberhaupt zeigte der sonst eben nicht sehr zartfühlende Herrscher sich seiner jungen Gemahlin gegenüber von einer überraschenden Galanterie. Es schien dem Gewaltigen mit einem Mal wie seinem Vorfahr der Sage eine Zeitlang am Spinnrocken zu gefallen. Die Hofleute konnten nicht genug staunen. Durch acht Tage blieb der Schlachtenmeister allein in Compiégne, um vor seinen Augen die nöthigen Vorkehrungen zum Empfang der Fürstin treffen zu lassen. Er gab selbst die Einrichtung ihrer Wohnung an. Seitdem sie auf französischem Boden sich befand, schrieb er ihr täglich einen eigenhändigen Brief, was um so höher anzuschlagen ist, als es dem mächtigen Fürsten die größte Anstrengung kostete, nur halbwegs leserlich zu schreiben. Meist lagen diesen Briefen Blumensträuße oder von ihm selbst erlegtes Wild bei. Wenn er von der Prinzessin eine Antwort auf eines dieser Schreiben erhielt, geberdete er sich wie ein Verliebter der Komödie, er verbarg seiner Umgebung die Freude gar nicht, welche in den schlichten Auslassungen seiner Gemahlin die unbefangene Darstellung von allerlei Einzelnheiten ihm verursachte. Der Kaiser ging in seiner Liebhaberrolle so weit, daß er von dem damaligen Modeschneider Leger ein bürgerliches Phantasiegewand sich fertigen ließ und sich entschloß, gegen dasselbe zum Empfang seiner Gemahlin die Uniform einzutauschen. Allein er gewahrte und seine Schwester Pauline, deren Stimme in solchen Dingen von Gewicht war, bestätigte es, daß ihm der Anzug schlecht stand, und er kehrte zu seiner Uniform zurück.

Die Ungeduld Napoleon’s, seine junge Gemahlin zu haben, war so groß, daß er das festgesetzte Programm der Begegnung umstieß und der Bestimmung durch den Ceremonienmeister voraneilte, ob er gleich der Hofregel sonst große Rechte einräumte.

Wie ursprünglich angeordnet war, sollte das Zelt in der Mitte zwischen Soissons und Compiègne der Schauplatz sein, wo die beiden Gatten zusammentrafen. Die Fürstin sollte sich verneigen, von dem Gatten aber mit den Armen aufgefangen und geküßt werden. Statt dieser Förmlichkeit folgte Napoleon einer augenblicklichen Eingebung, dem Drang seiner Gefühle. So wie er von seiner Gattin die Anzeige erhielt, daß sie von Soissons aufgebrochen, beschloß er ihr ungesäumt entgegen zu fahren. Er ließ einen Wagen ohne jedes Abzeichen anspannen, in welchen er mit seinem Schwager Murat, dem König von Neapel, stieg, und incognito verließ er Compiègne. Einige Meilen von Soissons begegnete er dem Zug der Kaiserin; näherte sich dem Wagen der Gemahlin, ohne von ihr erkannt zu werden. Erst als ihr Oberstallmeister ihn nannte, wußte Maria Louise, daß der kaiserliche Gemahl vor ihr stand. Ob sie gleich sein Bild zugesendet und auch sonst in der letzteren Zeit günstige Auskünfte über die Persönlichkeit des gefürchteten Eroberers erhalten hatte, wurde sie doch durch den schönen, antikgeschnittenen Kopf des Kaisers auf’s Angenehmste überrascht. Die Erscheinung des Mächtigen, dessen Auge so fest und erdrückend stolz blickte, machte einen überwältigenden Eindruck auf die harmlose Prinzessin, deren Seele eine sorgfältig ängstliche Erziehung vor jeder Aufregung zu bewahren gesucht hatte.

Der Kaiser nahm neben ihr im Wagen Platz und fort ging es nach Compiègne.

Da sich in dieser Stadt das Gerücht von der Ankunft der Kaiserin verbreitet hatte, gerieth die gesammte Einwohnerschaft, und besonders die amtliche Welt, in Bewegung. Rasch wurde eine allgemeine Beleuchtung angeordnet, die bereits errichteten Triumphbögen wurden geschmückt, und trotz des herrschenden Unwetters wogte die Menge dem Fürstenzug entgegen. Man glaubt gar nicht, wie groß der Heldenmuth der Neugierde ist. Um zehn Uhr Nachts langte der Zug an, Kanonen verkündigten das Ereignis. Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses warteten am Eingang des Palastes und würden von dem Kaiser seiner Gemahlin vorgestellt. Ein Schwarm junger Mädchen überbrachte der neuvermählten Fürstin Blumen und einen wohleinstudirten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_191.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)