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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

schon wußte es das ganze Dorf, zusammt der Bauernschaft! Da half nur nun nicht mehr, daß ich dem Vater sagte: ,ich hab’s ja nur so dahin gesagt, ich kenne den Friedrich ja gar nicht und habe mein Leben nicht an ihn gedacht, ich will ja auch den Raffelsberg oder den Erdmann oder den Wallfurth nehmen, welchen Ihr wollt, sagt nur selber, welcher es sein soll, es ist mir just Alles Eins’ – er fuhr mich an, ganz roth vor Zorn im Gesicht: ,jetzt leugnest Du’s ab,’ schrie er, ,just, wo ich Dir gesagt hab’, daß der Friedrich ein Baron ist, Du denkst, jetzt läßt er Dich sitzen, und Du willst die Schande und den Spott darüber nicht haben – nichts, sag’ ich Dir, komm’ mir wieder mit dem Raffelsberg oder Wallfurth, und Du sollst sehen, was ich thu’! Der Friedrich wird schon Fuß beim Male halten – er soll, sag’ ich Dir’? So fuhr er mich an, und ich hab’s müssen aufgeben, ihn und die Leute zur Vernunft zu bringen … sie sind einmal alle wie toll! Und nun wissen Sie Alles, und wenn Sie’s mir vergeben können, so dank’ ich Ihnen aus Herzensgrunde, aber ich, ich kann’s mir Zeitlebens nicht vergeben!“

„Liebe Marianne,“ sagte Friedrich gerührt, nachdem er eine Weile schweigend das voll bitterer Verzweiflung die Hände zusammenfaltende junge Mädchen angesehen – „zu verzeihen ist da nicht viel … es ist am Ende mehr Unglück für Sie als für mich dabei … aber so fürchterlich ist das Unglück auch nicht, daß Sie so verzweifelt darüber zu sein brauchen. Ich denke, wir gehen ruhig jeder unseres Weges und lassen die Leute schwatzen … endlich müssen sie doch aufhören zu schwatzen …“

Marianne nickte weinend mit dem Kopfe.

„Es ist das Einzige, was wir thun können,“ sagte sie.

„Ich könnte auch mit Ihrem Vater ein offenes Wort reden,“ fuhr Friedrich nach einer Pause fort.

„Das könnten Sie,“ sagte Marianne, „ich will gern das Unwetter aushalten, welches dann über mich käme!“

„Ja so – daran dacht’ ich nicht!“ fiel Friedrich ein. „Das sollen Sie nicht! Es ist also nichts zu thun, als daß jeder von uns ruhig seines Weges geht …“

„Es ist das Beste!“ sagte Marianne.

Friedrich wurde nun durch nichts mehr davon abgehalten, diesen weisen Entschluß sofort auszuführen, und doch schien er keine Lust zu haben, seines Weges zu gehen. Er sah wieder auf Marianne; er redete nicht, aber er suchte offenbar ihr Auge.

Aber sie vermied seinem Blicke zu begegnen; sie starrte wie noch immer rathlos aus das Gras des Rasens vor ihr.

„Marianne!“ sagte er nach einer Weile. Sie sah flüchtig fragend nach ihm auf.

„Ich weiß noch recht gut, wie wir zusammen als Schulkinder in die Kirche gingen.“

Marianne nickte mit dem Kopfe; sie schien dieser Thatsache kein großes Gewicht beizumessen.

„Sie waren die Hübscheste in der ganzen Mädchenschule.“

Marianne seufzte blos.

„Sie sind seitdem noch viel hübscher geworden … ich hätte nicht gedacht, daß es ein so hübsches Mädchen in der Welt gäbe.“

Sie fuhr zusammen und sah ihn mit einem ernsten, schwermüthigen Blick an.

„Sie vergeben mir also?“ sagte sie; „und wir müssen nun jeder seines Weges gehen; es darf uns auch kein Menschenauge je zusammen erblicken!“

„Nein, niemals!“ antwortete Friedrich. „Und ich muß jetzt gehen. Ich gehe jetzt auch schon. Und … Marianne … um’s gerade heraus zu sagen … ich merke jetzt erst, daß Sie doch etwas recht Schlimmes angestiftet haben … wär’s nicht deswegen, so dürft’ ich jetzt hier bleiben und ruhig mit Ihnen plaudern und vielleicht auch morgen wiederkommen …“

„Ach ja, ach ja, es ist eine böse Sache,“ seufzte Marianne, ohne ganz zu wissen, was sie sagte; „aber jetzt müssen Sie gehen, der Vater könnt’ erwachen und kommen …“

Friedrich erhob sich und reichte ihr die Hand; sie nahm sie und sah ihn mit ihren feuchten Augen seelenvoll und innig an.

„Ich danke Ihnen aus Herzensgrunde, daß Sie so gut sind, ein gar so guter Mensch und mir so vergeben haben … Leben Sie wohl … Gott sei mit Ihnen!“

Friedrich hielt die Hand und sah in die Augen Mariannens und blickte dabei so seltsam, so nachdenklich … was er dachte, mußte ihn’ ganz vergessen lassen, daß man eine Hand nur nimmt, um sie nach einem herzlichen Druck wieder fahren zu lassen. Er hielt Mariannens Hand fest in der seinen.

Sie entzog sie ihm.

„Adieu, Herr Friedrich!“ sagte sie mit einem Tone, in dem die Rührung zitterte.

„Adieu, Marianne!“ antwortete er, wandte sich und ging.

Als er die Hausecke erreicht hatte, kehrte er plötzlich zurück.

„Marianne,“ sagte er mit einem schüchtern leisen Ton … „mir ist eben etwas eingefallen!“

„Und was, Herr Friedrich?“

„Wir könnten auch etwas Anderes thun.“

„Was denn?“

„Wir könnten auch den Leuten, welche durchaus wollen, daß wir verlobt seien, und so viel Geschwätz darüber machen, sagen: ,Nun ja, in Gottes Namen, wir sind es!’“

„Aber,“ antwortete Marianne, „dann gäben sie uns ja nie Ruhe mit ihren Fragen, mit ihrem Gerede!“

„Ruhe … ach, sie würden uns schon Ruhe geben, wenn sie erst sähen, daß es wirklich an dem sei, daß …“

Marianne wurde purpurroth.

„O mein Gott!“ rief sie aus, „was denken Sie?“

„Sie gefallen mir so, Marianne,“ fuhr Friedrich fort, „mehr als mir je ein Mädchen in der Welt gefallen hat, je eins wieder gefallen kann … und ich … ich glaube, ich bin ein ehrlicher Kerl, auf den eine Frau bauen kann … und unser Auskommen hätten wir auch; Doctor Rostmeyer sagt wenigstens, daß mir Alles …“

„O hören Sie auf, hören Sie auf,“, rief jetzt Marianne aus, „o nimmermehr, lieber ging’ ich in den Tod, als jetzt, jetzt Sie nehmen!“

„Marianne,“ sagte Friedrich mit bebender Lippe und erbleichend … „ist das Ihr Ernst?“

„Nimmermehr, nimmermehr!“ schrie sie wie ganz entsetzt auf, schlug die Hände vor’s Gesicht und rannte davon.

Friedrich stand wie angewurzelt und starrte ihr nach.

„Sieh,“ murmelte er endlich, tief Athem holend, „da hab ich einen Korb bekommen! Pfui Teufel!“




6.

Friedrich war für seine Leute der nachsichtigste und gutmüthigste Vorgesetzte, den es geben konnte, aber hätte er heute seinen Zug bei den leichten vierpfündigen Hinterladern zu exerciren gehabt, sie hätten ihn nicht wiedererkannt. Er war zornig, er war erbittert, er war grenzenlos niedergeschlagen, er war schwermüthig, daß er hätte weinen mögen … er hatte sich vollständig verliebt in Marianne während der Unterredung mit ihr; jetzt, wo sie ihn ausgeschlagen, wo sie ihm wie etwas Unerreichbares vor Augen stand, liebte er sie leidenschaftlich und das Leben schien ihm keinen Werth zu haben ohne sie.

Und sie hatte ihn so gründlich, so entschieden, so hoffnungslos ausgeschlagen; so beleidigend, so heftig sogar … „lieber in den Tod!“ hatte sie ausgerufen … das wäre doch wenigstens nicht nöthig gewesen, sagte sich Friedrich gedemüthigt und empört. Ich muß ihr wohl gründlich mißfallen haben, setzte er hinzu. Ich wollte lieber, ich hätte ein Bein gebrochen, bevor ich in dies verzweifelte Dorf zurückgekommen … der Teufel hole die Baronschaft … kann ich sie mir jetzt noch mit Ehren von diesem Bauer Herbot mit seinen tausend Thalern einkaufen lassen? Jetzt, wo mir seine Tochter einen Korb gegeben hat … nimmermehr! Und was soll ich nun machen? … soll ich einfach nach Hause gehen und den Unterofficier spielen wie vorher und dem Hauptmann Alles verschweigen? … Aber halt, da kommt mir ein Gedanke …

Der Gedanke, welcher Friedrich gekommen, war einfach der, daß ja der Hauptmann jetzt nicht mehr blos sein Vorgesetzter sei, sondern sein Bruder. Er hatte einen Bruder, … und den Bruder konnte er zur Hülfe rufen!

Als er in seinem Wirthshause wieder angekommen, forderte er Schreibzeug und setzte in einer sehr schönen, wie eine Vorschrift aussehenden Handschrift folgenden Brief auf:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_194.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)