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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Frau von Thorbach blickte schweigend zu Boden.

„Ich kann nicht vollenden,“ sagte sie dann.

„O wohl, dann keine Silbe weiter davon. So bitter die Vorwürfe sind, welche ich mir in diesem Augenblicke über meine grenzenlose Thorheit mache, so glücklich bin ich in diesem selben Augenblick auch, sie mir machen zu können … und kein Wort von Ihnen könnte dies Glück steigern, noch es verringern, ich habe Sie von dem ersten Augenblicke an, wo ich Sie sah, zu sehr, zu enthusiastisch bewundert, zu leidenschaftlich an Ihrem Bilde gehangen, zu unausgesetzt dies Bild in meiner Seele getragen, als daß es mich nicht namenlos glücklich machen sollte …“

Der Hauptmann wurde in der schwungreichen Liebeserklärung, zu der ihn sein Gefühl unbezwinglich hinriß, plötzlich unterbrochen.

Die Thür öffnete sich, und die Zofe mit den Korkzieherlocken trat auf die Schwelle.

„Der Herr Friedrich!“ sagte sie meldend.

Frau von Thorbach schien in hohem Grade erleichtert aufzuathmen.

„Ganz recht,“ sagte sie, „führ’ ihn ein.“

Der Hauptmann hatte einen sehr zornigen Blick auf die störende Zofe geworfen; die junge Frau starrte mit einem Antlitz, aus dem wieder die Farbe gewichen, die Thür an, als ob sie auf das Eintreten Friedrich’s im höchsten Grade gespannt sei.

Friedrich kam, mit bewegten Zügen, mit geröthetem Gesichte.

„Ich hörte im Wirthshause, daß Sie gekommen seien, Herr Hauptmann,“ rief er aus, „und eilte hierher – in größter Unruhe, in halber Verzweiflung. Zürnen Sie mir nicht … es ist eine unselige Sache … ich bin nicht schuld daran … wahrhaftig, ich bin nicht schuld daran … ich gäbe ein paar Jahre meines Lebens darum, hätte ich nichts damit zu schaffen, wär’ ich nie in dies Dorf zurückgekommen … und für Sie muß es doch ganz niederschmetternd, ganz entsetzlich sein … ich bin außer mir darüber, seit ich mich so recht in Ihre Lage versetzt habe.“

„Aber, mein Gott, was hast Du denn, Friedrich?“ sagte der Hauptmann äußerst überrascht und erschrocken über die ungeheuchelte Verzweiflung, welche sich in Friedrich’s Worten und in seinem ganzen Wesen kundgab, und zugleich daran denkend, daß ihn auch Frau von Thorbach mit diesen seltsamen Unschuldsbetheuerungen empfangen habe.

„Was ich habe? … Aber haben Sie’s denn von der gnädigen Frau noch nicht gehört … daß … daß die gnädige Frau und ihr Advocat ein vollständiges Complot geschmiedet haben, daß man Ihnen alles Ihrige, Ihr Gut nehmen will … um es mir zu geben?“

„Ah bah!“ rief der Hauptmann aus, bald auf den Unterofficier, bald auf Frau von Thorbach blickend … „Du bist wohl wahnsinnig geworden?“

„Fast,“ sagte Friedrich mit lakonischer Bitterkeit … „es wär’ auch kein Wunder.“

Dabei warf er sich, ohne eine Einladung abzuwarten, in einen Sessel.

„Aber so rede doch weiter,“ fuhr der Hauptmann fort.

Friedrich schüttelte melancholisch den Kopf.

„Es ist mir lieber, wenn’s Andere Ihnen sagen,“ sagte er, „ich mag’s nicht.“

„So viel seh’ ich, die Subordination scheint Dir wunderbar schnell hier abhanden gekommen,“ bemerkte der Hauptmann noch immer höchst gespannt von ihm in die Züge der Frau blickend.

„Ich sehe,“ sagte diese in großer Erregung, „ich muß das Wort nehmen und Ihnen Alles erklären, Herr von Mechtelbeck. So hören Sie, um was es sich handelt.“

Frau von Thorbach begann nun dem Hauptmann den Stand der Sache mitzutheilen, so gut sie als Frau es konnte; sie umging den eigentlichen Grund der Handlungsweise des alten Barons Mechtelbeck klar zu legen; sie hielt sich an die Thatsachen, an das, was sie über die Geständnisse der Hebamme und die Mitwissenschaft ihres alten Jägers wußte.

Der Hauptmann hatte sie groß und mehr mit dem Ausdrucke der Zerstreutheit als der Spannung angesehen; er hatte Frau von Thorbach, während sie redete, mit keiner Silbe unterbrochen.

Als sie geendet hatte, sprang Friedrich auf.

„Und nun sag’ ich Ihnen,“ rief er aus, „daß die ganze unselige Geschichte umsonst aufgerührt ist. Das Gewicht von dem ganzen Uhrwerk, welches in Gang gesetzt werden soll, wie Rostmeyer sich ausdrückt, habe ich von mir geschleudert, ich habe dem Advocaten verboten, irgend einen weitern Schritt zu thun. Mir ist die Welt vollständig verleidet, und ich kümmere mich nicht im Mindesten darum, ob ich ein ausgesetzter Freiherrn- oder ein Taglöhner-Sohn bin …“

Auch der Hauptmann erhob sich.

„Das kann nichts entscheiden, Friedrich,“ sagte er sehr ernst und fast gebieterisch. „Was wir in diesem Augenblick empfinden, kann nicht maßgebend für unser Handeln sein, und ob wir mehr oder weniger niedergeschmettert sind durch diese Thatsachen, darauf kommt es nicht an. Auch nicht auf die Befehle, welche Du Deinem Anwalt gegeben haben magst, denn ich sehe nicht ein, wozu überhaupt hierbei ein Anwalt nöthig ist. Nach dem, was ich gehört, gebe ich ohne Zögern die Erklärung ab, daß ich an der Wahrheit von dem Allen, was Frau von Thorbach mir eben eröffnete, nicht zweifle, Dich als meinen älteren Bruder anerkenne und Deinem Erstgeburtsrecht bereitwillig sofort Alles hingebe, was nicht mir, sondern Dir zukommt. Ich thue dies mit dem Gefühl, daß ich dabei gewinne, weil ich, der bisher im Leben so ziemlich allein stand, einen Bruder finde … ich kenne Dich lange genug, um zu wissen, was ich an diesem Bruder finden werde, ein echtes, treues, warmes Bruderherz, wie ich es für Dich haben werde.“

Friedrich stand wie eine Statue vor dem Hauptmann, während dieser in größter Bewegung und ihm die Hand entgegenstreckend die schlichten Worte sprach, deren Ton verrieth, wie sehr sie ihm aus der Seele kamen. Nicht mehr Verdruß und Kummer blickte aus Friedrich’s Zügen heraus, sondern seine Augen schauten feucht, mit einem Ausdruck unendlicher Gutmüthigkeit und Hingabe in die Augen des Hauptmanns. Mit zitternder Lippe sagte er jetzt:

„Herr Hauptmann, Sie … Bruder, Du bist der bravste, edelste …“

Er konnte nicht weiter, die Thränen strömten ihm über die Wangen, und die beiden Brüder lagen sich in den Armen.

Auch Frau von Thorbach war von der Scene zu Thränen gerührt; sie war an’s Fenster getreten, um diese Thränen zu verbergen, ihr Tuch vor den Augen … Friedrich sah es, und sich aus dem Arme seines Bruders lösend, rief er mit seiner brüsken Gutmüthigkeit:

„Ach, ich möchte Dir noch mehr geben als blos einen Bruder in dieser Stunde … Frau von Thorbach, wenn ich nun einmal der Bruder bin, so darf ich auch für den Bruder sprechen … ich weiß, daß er Sie …“

„Friedrich, was thust Du?“ unterbrach der Hauptmann ihn in hohem Grade erschrocken und einen Schritt vortretend, wie um sich zwischen ihn und die junge Frau zu stellen.

Diese wandte sich eben so rasch – mit hochgeröthetem Gesicht, durch ihre Thränen lächelnd, sagte sie, dem Hauptmann ihre Hand entgegenstreckend, zu Friedrich:

„Glauben Sie denn, es sei nöthig, daß Jemand für ihn bei mir spreche? Viel eher hätte ich Jemand nöthig, der für mich das Wort spräche, das so schwer für eine Frau auszusprechen ist … doppelt schwer nach … so langer böser Erbfeindschaft.“

Der Hauptmann blickte sie an, keines Wortes mächtig; dann ließ er sich auf ein Knie vor ihr nieder, zog die Hand, die sie ihm gereicht hatte, an seine Lippen und sagte selig zu ihr aufblickend:

„Sind denn Worte nöthig? Das wäre grausam für mich, denn ich finde keine.“




7.

In der Nachmittagsstunde, als der Bauer Herbot mit seiner Tochter und seinem Gesinde eben vom Kaffee aufgestanden waren, wurde die Ruhe des stillen Hofes plötzlich durch einen leichten Charabanc gestört, der mit zwei hübschen Eisenschimmeln in Zuckergeschirr bespannt vor der großen Tennenthür hielt und von dem Frau von Thorbach und der Hauptmann von Mechtelbeck stiegen.

Der Bauer ging ihnen entgegen, Marianne folgte zaghaft einige Schritte hinter ihm, um den Besuch ihrer Gönnerin zu empfangen – als sie sah, daß Frau von Thorbach sich, wie sie die Tenne herabkam, beim Gehen auf den Arm eines Mannes in einer Uniform stützte, schoß ihr plötzlich alles Blut zum Herzen zurück – aber nur für einen Augenblick … sie sah bald, daß ihr Erschrecken ohne Grund gewesen. Frau von Thorbach kam ihr lebhaft entgegen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_196.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)