Seite:Die Gartenlaube (1868) 201.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

langwierigen Pariser Verhandlungen habe ich in Paris auswendig gelernt: Wie lange wollt’ ihr noch abern und odern?“ und nun sagte er das ganze Gedicht her (das übrigens zufällig und mit Unrecht unter meines Bruders Namen geht, während es von A. Bercht aus Bremen herrührt) und trug mir wiederholt viele, viele Grüße an ihn auf. Dann mußte ich ihm meine Arbeit und die Arbeiten meiner Genossen zeigen, dazu eines Jeden Namen und Heimath angeben, wobei es sich herausstellte, daß wir von Nord, Ost und West nach München gekommen, zu seiner großen Freude. „Schön! das ist sehr schön! Aus allen Gauen Teutschlands (er sprach und schrieb immer Teutschland!) kommen die Künstler zu mir! Wir wollen ein rechtes Kunstleben führen.“ Er wiederholte seine Besuche sehr oft und nahm den lebhaftesten Antheil an dem Fortgang der Arbeiten. – Er hatte ein sehr gutes Gedächtniß, besonders für Personen, aber einen einmal gefaßten Irrthum hielt er mit derselben Beharrlichkeit fest. Obschon ich ihm bei oben genannter Gelegenheit Bercht als den Verfasser des Gedichts genannt, so begrüßte er mich doch bei jedem seiner Besuche in den Arcaden mit der Erinnerung an Friedrich Förster’s köstliches Gedicht: „Wie lange wollt ihr noch etc.“

In den dreißiger Jahren war die Erinnerung an die Befreiungskriege noch sehr lebendig in Deutschland und Kriegslieder von Theodor Körner und seinen Kampfgenossen wurden auch in München häufig in Concerten gesungen. In einem solchen Concerte im neuerbanten Odeon wurde unter andern meines Bruders Lied auf Theodor Körner’s Tod: „Bei Wöbbelin auf freiem Feld etc.“ gesungen. König Ludwig war zugegen, wie er ungern ein Concert im Odeon versäumte. Als das Lied zu Ende war, erhob er sich, sah sich um und ging, als er mich erblickte, auf mich zu, faßte meine Hand und sagte, sichtlich tief erregt, zu mir: „Diese Zeit, Förster, gehört uns und wir wollen sie festhalten im Herzen! Wir wollen ihr treu bleiben, treu bis in den Tod! Schreiben Sie das Ihrem Bruder!“ Als dann im Jahre 1838 bei der fünfundzwanzigjährigen Gedächtnißfeier des Aufrufs König Friedrich Wilhelm’s des Dritten „An mein Volk“ meines Bruders Kriegslieder erschienen und er mir ein Exemplar für den König geschickt hatte, schrieb derselbe an mich:

„Herr Ernst Förster! Ich habe mit Ihrer Zuschrift vom 20. d. M. das von Ihrem Bruder Friedrich Förster für Mich zugesandte Exemplar seiner im Druck herausgegebenen Kriegslieder, als Festgabe zur fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier der freiwilligen Jäger, empfangen. Mich freut es aufrichtig, wenn ich sehe, daß man in der gegenwärtigen Zeit jener Tage gedenkt, wo solche Begeisterung und Einigkeit der teutschen Stämme das gemeinsame teutsche Vaterland befreyt hat. Bewahren wir diese Zeit, Mir ist sie keine Vergangenheit, wie ich Ihnen einst mündlich äußerte, treu im Herzen, und droht wieder ein Feind Deutschlands Grenze, dann finde er in derselben Eintracht mit dem nehmlichen glühenden Gefühle alle Teutschen wieder! Dieses ist meiner Seele glühender Wunsch. Drücken Sie Ihrem Bruder, der der guten Ausnahme seiner Gabe gewiß seyn konnte, für seine Aufmerksamkeit Meinen Dank aus und empfangen Sie die Versicherung Meines Königlichen Wohlwollens. München, den 23. Februar 1838.

Ihr wohlgewogener Ludwig.“

König Ludwig wußte die stärksten Contraste in sich zu vereinigen. Er hielt sehr streng auf Etikette und duldete keine Vernachlässigung der seiner königlichen Würde gebührenden Achtungsbezeigung, und doch liebte er natürliches Gebahren und mochte vorkommenden Falles weder sich noch Andere geniren. Einem Studenten, der ihn auf der Straße nicht grüßte, schlug er die Mütze vom Kopf; einem Recruten, der Schildwache stand und aus Unbekanntschaft nicht salutirte, rief er schon von weitem zu: „Präsentirt! Der König!“ Und doch litt er bei der obenerwähnten Begegnung in den Arcaden nicht, daß ich meinen Rock anzog, und ging, mich am Arm fassend, auf und nieder mit mir; und als ich ihm einmal bei starkem Regen und Wind auf der Straße in den Weg kam und eben grüßen wollte, rief er mir zu: „Nicht, nicht! Das ist kein Wetter für Höflichkeiten!“ Den Maler Gust. König, den er gern besuchte, redete er gewöhnlich in heiterem Scherz mit „Ew. Majestät!“ an. Ueberhaupt unter Künstlern legte er gern die Krönungs-Insignien beiseite. Bei einem Künstler-Maskenfeste erschien er in der vorschriftmäßigen Narrenkappe, vor der mehr als ein ernster Würdenträger zurückgeschreckt war. Ich erinnere mich eines anderen Künstlerfestes auf der nahen Menterschwaige, auf welchem er am Schluß des Diners erschien, da die Stimmung bereits sehr erregt war. Mit Jubel empfangen, mit Toasten bestürmt, mochte er doch eine Besorgniß empfinden vor den immer höher gehenden Wogen der Begeisterung und suchte nach kurzem Verweilen den Ausgang, fand ihn aber besetzt und sah sich als den Gefangenen seiner Verehrer. Ohne sich viel zu besinnen, ging er rasch nach dem nächsten Fenster (der Saal war ebener Erde) und mit dem Rufe „Freiheit!“ sprang er in’s Freie und eilte nach seinem Wagen, aus dem er noch siegesfrohe, aber herzlich heitere Grüße zurückwinkte.

Dabei aber nahm er es sehr ernst, wenn er sich in seiner Ehre verletzt fühlte, in seinem Handeln verkannt oder verleumdet glaubte. Ich selbst, trotz all’ seiner unverkennbaren Freundlichkeit gegen mich, bin mehrmals mit ihm in schwere Conflicte gerathen. Nach Beendigung der Frescomalereien in der Ludwigskirche (1840) war Cornelius bei dem König in Ungnade gefallen und sah sich von ihm so tief gekränkt, daß er um seine Entlassung einkam und Baiern den Rücken kehrte. Um diese Zeit ließ mich einmal der König in sein Cabinet rufen und wendete sich sogleich mit der Frage an mich, was ich von den Frescomalereien von Cornelius in der Ludwigskirche halte? Ich wollte das Bedeutende der Conception, die Klarheit der Anordnung, den großen Stil der Zeichnung hervorheben, als mir der König in’s Wort fiel:

„Aber die Malerei! Die Malerei taugt nichts! Ein Maler muß malen können!“

Ich erwiderte: „Aber Cornelius ist mehr, als ein Maler, er ist ein Künstler und zwar einer der allergrößten!“

„Und doch kein Maler!“ rief der König mit erhöhter Stimme. „Er will fort. Ich werde ihn nicht halten!“

„O Majestät,“ sagte ich, „das ist sehr traurig für München, für Alle! Und Sie, Majestät, verlieren mit ihm eine Perle aus Ihrer Krone!“ –

Dies letzte Wort brachte den König in eine ungeheuere Aufregung.

„Was,“ sagte er, „wer ist die Kunst in München? Ist es Cornelius? Ich, der König – –“ Die laute, heftige Sprache des Königs hatte die Königin im Nebenzimmer aufgeschreckt; sie trat ein, und mit ihr auch zugleich Beruhigung. Der König ging sogleich in eine sanftere Tonart über, aber doch nur vorläufig, wie ich noch an demselben Tage erfahren mußte, da mir mehrere Künstler, die er in ihren Werkstätten nach aufgehobener Tafel besucht hatte, mittheilten, er habe mich bei ihnen wegen Ueberschätzung von Cornelius verklagt und sie selbst damit nicht recht gewürdigt. – In der Folge hat er freilich wohl die Größe des Verlustes erkannt, zumal als auch noch Schnorr ihn verließ und Schwanthaler, Nottmann, Gärtner starben, Kaulbach vornehmlich für und in Berlin thätig war, und hat sich aufrichtig bemüht, das alte freundschaftliche und herzliche Verhältniß mit Cornelius wiederherzustellen.

Inzwischen hatte der König das gegen mich gefaßte Mißtrauen, wie grundlos es auch war, festgehalten, wie es denn überhaupt schwer war, ihn von seiner Meinung abzubringen oder auf seine Vorstellungen einen bestimmenden Einfluß auszuüben. In München ist es allgemein bekannt, wie er stets die beiden Naturforscher, die unter seines königlichen Vaters Regierung Brasilien bereist hatten, Spix und Martius, mit einander verwechselte und immer Einen für den Andern anredete. Spix starb; der König begegnete Martius und das erste Wort der Begegnung war: „Ah, Spix! wie freut es mich, daß der … Martius todt ist und ich Sie nun doch nicht mehr mit ihm verwechseln kann!“ – Als ich in den dreißiger Jahren im neuen Königsbau im Salon der Königin mit Malereien zu Wieland’s Dichtungen beschäftigt war, zugleich mit Eugen Neureuther, der den Oberon illustrirte, kam der König eines Mittags herein, die Arbeiten zu besichtigen. Neureuther war nicht zugegen; ich mußte den Cicerone machen. Bei dem Gastmahl des Kalifen von Bagdad fiel ihm der reichgekleidete Großvezier als besonders dick auf. „Sagen Sie Neureuther,“ sprach er zu mir, „der Türke ist zu dick! Ein dicker Türke schickt sich nicht für den Salon der Königin!“ Neureuther änderte die Gestalt und gab ihr eine feine Taille. Vergebens! Der Türke war noch immer „viel zu dick!“ Neureuther schnürte ihn nun zur Unmöglichkeit zusammen – Alles umsonst, er blieb „zu dick!“ So löschte ihn Neureuther ganz aus. Aber auch das half noch nichts: der Türke war und blieb zu dick für den Salon der Königin, bis ich mir erlaubte, dem gnädigsten Herrn auf’s Gerüst

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_201.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)