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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mit riesigen Sälen darin; dicht daneben stand, ein Monument kräftigerer schöpferischerer Zeiten, der prachtvolle gothische Dom, die Zierde der Stadt. Ein großer Garten lag dahinter mit schattigen Nuß- und Kastanienbäumen, durch eine Klostermauer von der übrigen Welt abgeschieden.

Dieses von der nivellirenden Neuzeit vergessene Stückchen Mittelalter war Ada’s Tummelplatz. An den Feiertagen brausten die Orgelklänge durch das mächtige Gebäude und tönten durch den blühenden Garten, rauschten durch die Baumwipfel. Zwischen mit Epheu umwachsenen Pfeilern sahen die gothischen Fenster des Domes wie ernste Augen auf das träumende Weltkind, welches oft stundenlang in der grünen krausköpfigen Laube saß, von Kletterrosen umrankt, wie Dornröschen, oder als habe sie eine Ahnung, daß sie noch einmal einem Hamlet begegnen würde, der ihr zuriefe: „Geh’ in ein Kloster!“

Ada’s Wesen war nicht leicht zu entziffern. Manche hielten sie für launenhaft und kalt, Viele für exaltirt, noch Andere proclamirten sie als „geistreiches Mädchen“, ein Begriff, welcher in einer kleinen Stadt ungefähr Folgendes einschließt: unordentlich, überspannt, etwas verrückt sein und weder nähen noch kochen können.

Die Purpurnelke war sehr schön, sie besaß positive Schönheit, doch sah sie selten recht eigentlich hübsch aus. Sie hatte gekräuseltes kohlschwarzes Haar, zusammengewachsene Brauen und prachtvolle schwarze Feueraugen, ein griechisches Profil, Perlenzähne, kleine weiße Händchen und – eine hübsche dicke Taille.

Ich spreche ernstlich, die starke Taille von Fräulein Ada habe ich stets zu deren Vorzügen gezählt, denn sie schien mir ein Beweis von Gesundheit und Mangel an Eitelkeit.

Im Ganzen war Ada Schwanfeld der Typus eines Mädchens, vor dem sich die meisten heirathsfähigen Männer fürchten. Weshalb eine stark ausgeprägte Individualität beim Weibe abschreckt, begriff ich zwar nie und glaube auch gern, daß dieser Geschmack uns zum Nachtheil gereicht; allein ich theilte damals die Schwäche meines starken Geschlechtes: zu sehr darauf zu hören, „was die Leute redeten“. Die Frauen machen nun einmal die Fama, und bei ihnen war Ada sehr unbeliebt. Wir Männer glauben der Fama stets auf’s Wort und untersuchen selten die Beweggründe der mit ihr befreundeten Damen, welche gar oft der Neid, die Bosheit und die eigene Unreinheit sind. Doch ist es nicht fortzuleugnen, Tadel schadet immer. Der Zauber von Ada’s Persönlichkeit wurde dadurch abgeschwächt, der warme Enthusiasmus zur ruhigen Beobachtung zurückgeführt. Ich stählte mich gewaltsam gegen mein eigenes Herz und beschloß zu warten, um die Vorzüge und Fehler meines Ideals genauer abwägen zu können und um nicht mit sehenden Augen dem Abgrunde zuzueilen.

„Wie sieht sie wieder aus!“ sagte eines Abends auf einem Balle Herr von Rüdel, ein reicher Gutsbesitzer aus der nahen Umgegend, als in der That die „Purpurnelke“ ihre Embleme ungewöhnlich kühn und schief in die schwarzen Locken gesteckt hatte. „Sagen Sie mir, Herr Ober-Regierungsrath, macht sie auch ganz gewiß keine Gedichte?“

„Ich vermuthe es stark,“ erwiderte ich, „jedoch Fräulein Schwanfeld ist noch sehr jung; sie überwindet vielleicht diese Neigung wieder.“ „Sie meinen, dergleichen sei nicht unheilbar?“ murmelte er nachdenklich.

Vier Wochen darauf wurden die Verlobungskarten von Fräulein Schwanfeld mit Herrn von Rüdel im Städtchen vertheilt. Bald darauf erfolgte meine Versetzung, und ich hatte bis heute die schöne Ada noch nicht wiedergesehen.

Und nun zu Gretchen Hein, – daß ich’s nur gestehe: sie hatte es mir am meisten angethan. Wie eine Knospe, wie ein junger Frühling war Gretchen anzuschauen. Silberhell tönte ihr fröhliches Lachen, die rosigen Lippen lieblich über zwei Reihen kleiner Perlenzähne geöffnet, ihre ganze Erscheinung, ihr kleines schelmisches Gesicht mit den blonden Wellenscheiteln, ihre schlanke Gestalt, ihr flinker Gang: Alles brachte Licht und Leben hervor!

Sie war die Tochter einer Officierswittwe, welche sich sehr einschränken mußte. Gretchens dürftige Toilette gab ihr nur einen Reiz mehr. Im knappen weißen Kleidchen, von einer verblichenen rosa Schärpe umflattert, triumphirte sie in ihrer frischen holden Anmuth über die meisten ihrer geputzteren Freundinnen. Am lebhaftesten schwebt sie mir vor im dunklen braunen Ueberrock, eine weiße gefältelte Halskrause, wie man sie wohl auf alten holländischen Bildern sieht, ihren Hals umgebend. Diese große Halskrause war Gretchens Venusgürtel und stand ihr entzückend; der Mittwochsclub nannte dies scherzenswerthe Institut „die Kaffeemühle“, wahrscheinlich weil es in der Form an den messingenen Kelch eines solchen Apparates erinnerte.

Gretchen selbst hieß bei uns Clubmitgliedern „der Sturmwind“, eine Bezeichnung, in der wir ihre unendliche Frische und rasche Gewandtheit zusammengefaßt hatten.

Nach dieser Beschreibung könnte man denken, Gretchen habe durchaus keine Fehler gehabt. Leider doch, einen! so sagte Fama. Sie war kokett! Eine kokette Frau zu bekommen, ist ein Schreckbild selbst für den leichtsinnigsten Mann. Ein wirksameres Geschütz hätte Fama nicht auf das arme Gretchen richten können.

Wir Männer konnten diesen Vorwurf nicht genügend entkräften; wir wissen nämlich niemals genau, ob ein Mädchen kokett ist oder nicht. Halten wir Eine für gefallsüchtig, so ist sie es manchmal gar nicht; glauben wir eine Andere ganz frei von dieser lieblichen Untugend, so übt diese sie oft im allerhöchsten Grade.

Weshalb ich Gretchen nicht geheirathet habe? Ja, fast hätte ich es gethan! Ein Wahn, ein Nichts hinderte mich daran, der jämmerlichste aller Gründe, mir selbst jetzt so unbegreiflich und unhaltbar erscheinend: ich konnte mich nicht entschließen! –

In meine Schwankungen fiel meine Versetzung. Gretchen verlobte sich bald darauf mit dem Regierungsrath Reich, einem Mann, der seinen Namen mit Recht führte. –

„Der rothe Titian,“ Gräfin Agnes Gansberg, war eine blendende Schönheit; nur Neider konnten sagen: „zu gesund“. Sie trug die Bürgschaft hausbackenen Glückes in sich: geistig unbedeutend und sehr praktisch erzogen. Darum dachte ich auch ernstlich daran, sie zu heirathen. Aber die hübsche Agnes hatte eine unangenehme Vorliebe für langgewachsene dünne Lieutenants und besaß eine Art Tanzwuth, wie ich leider ihre Lust zum Tanzen bezeichnen muß. Beide Passionen waren nicht dazu geeignet, einen kleinen breitschulterigen Ober-Regierungsrath, welchem bei der kleinsten Walzertour schwindlig wurde, besonders zu ermuthigen. Ich stieß gar bald auf einen baumlangen Rivalen, der die Polka auf eine ganz besondere Weise zu tanzen verstand und zwar keine Einnahme, aber dafür reichliche Ausgaben hatte. Verdrießlich zog ich mich zurück; als „angenehmer Alter“ mochte ich nicht bei der schönen Gräfin gelten. Unverrichteter Sache reiste ich nach Berlin ab, augenscheinlich zum Hagestolzen prädestinirt; denn wer in einer kleinen Stadt nicht zu einer Frau kam, kommt in einer großen niemals dazu.


Punkt fünf Uhr stieg ich die Treppe zu Frau v. K.’s Wohnung hinan. Alte Bekannte wiederzusehen, stimmt mich leicht wehmüthig; wie viele Mädchen, mit denen ich noch getanzt habe, sah ich als Mütter, – als Großmütter wieder! Ach, so eine Männerjugend überdauert manchen Mädchenfrühling! Nun sollte ich hier drei glücklichen Frauen begegnen, einstigen Flammen, die ohne mich so sehr – glücklich geworden waren.

Geräusch von Stimmen und klirrenden Tassen schwirrte mir entgegen. Ich trat in einen großen Kreis von geputzten Damen, der nur hin und wieder durch einige sparsam gestreute Männergestalten im schwarzen Frack oder in reicher Uniform unterbrochen wurde. Geblendet von Farben und Licht konnte ich anfangs Niemand erkennen und suchte ängstlich nach der Wirthin. Dicht neben mir sagte eine klare Frauenstimme wichtig zu einer Nachbarin:

„Liebste, Maier in der Kochstraße hat dreierlei Sorten von Butter; ich nehme stets das Pfund zu vierzehn Silbergroschen, sie ist ungesalzen, daher bekommt man ein größeres Pfund gewogen ...“

„Ich muß Sie unterbrechen, Frau Ada!“ kam Frau v. K. lächelnd herbei, „Sie übersehen im Feuereifer eines Gesprächs über Wirthschaftsangelegenheiten unsern lieben alten Freund, den Präsidenten von Mebes.“

Frau Ada sprang elektrisirt auf und begrüßte mich mit holder Ueberraschung. Wir fanden rasch die alte Art unseres Verkehrs wieder; pikant und geistreich, ganz dieselbe, träumerisch und bewegt zugleich, die interessante Ada von ehedem.

Ich sah sie an, die hingeflossenen fünfzehn Jahre der Trennung schienen mir ausgelöscht, das schöne Gesicht, umkränzt von schwarzen Flechten in fast unverändertem Blüthenschmelz, der nämliche Kinderblick in den großen dunklen Augen, nur um den Mund ein schmerzlich sanfter Zug. Sie mußte jetzt fünfunddreißig Jahre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_210.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)