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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zählen, dennoch war sie so glanzvoll schön, das; die Bezeichnung „Purpurnelke“ jetzt noch besser als damals auf sie paßte. „Die Blume ist schöner, wenn sie ihre duftenden Blätter ganz entfaltet; am Mittag strahlt und flammt die Sonne höher als am Morgen,“ singt Torquato Tasso von Leonore d’Este.

Wir sprachen von vergangnen Zeiten; Frau von Rüdel hatte ein pietätvolles Gedächtniß für alle Kleinigkeiten ihres Jugendlebens. Mitten in der eifrigsten Unterhaltung unterbrach sie sich plötzlich, zog ein Notizbuch aus der Tasche, riß ein Blättchen heraus und sagte entschuldigend: „ich will nur rasch die Butteradresse für die Dame neben mir aufschreiben.“

„Ihre poetische Ader hat wohl aufgehört zu fließen?“ erlaubte ich nur lächelnd zu fragen.

„O nein,“ erwiderte sie mit gutem Humor, „mein Mann hat sogar meine Gedichte gesammelt und in einem Prachtbändchen herausgegeben, doch er hat die kleine Bosheit geübt, mir alle tadelnden Recensionen, welche er auffinden konnte, mit einem Rothstift angestrichen, auf den Frühstückstisch zu legen.“

Herr von Rüdel kam herbei, um mich freundschaftlich zu begrüßen. Er hatte den letzten Theil unseres Gesprächs gehört und meinte nun, Ada’s Gedichte seien doch im Ganzen sehr günstig von dem Publicum aufgenommen; überhaupt beklage er, daß seiner Frau schönes poetisches Talent sich wegen Zeitmangels nicht in wünschenswerther Weise entwickeln könne.

O Ballabend! Du bist verrauscht, aber meine Erinnerung hält noch fest die ängstliche Frage: „macht sie auch ganz gewiß keine Gedichte?“ –

Eine große Gestalt mit einem eingefallenen Gesicht trat zu mir: „Herr Präsident, Sie kennen mich nicht mehr?“

Großer Gott, ist’s möglich, Gretchen Hein, die Regierungsräthin Reich? Welch’ trostlose Veränderung! jetzt in Wahrheit eine Tochter von Freund Hein, – ein lachender Todtenkopf. Ja, das Lachen, das alte süße silberhelle Lachen! Der Ton klang jetzt so gezwungen, er that mir weh. Aus dem kleinen Munde zwei große falsche Zähne hervor stehend, – o, es ist wohl ein böser Traum, ein Bild im Hohlspiegel, welches mich äffte?

Aus der Thür des Nebenzimmers guckten fünf bis sechs neugierige Kinderköpfe wie die Orgelpfeifen hervor. Gewiß sind das Alles Gretchens Kinder, dachte ich mit einem leisen Schauer; also ist sie doch eine glückliche Familienmutter. Ich fragte sie.

„Ich habe keine Kinder,“ sagte sie kurz, und ein dunkler Schatten verfinsterte ihr Gesicht.

„Komm’, Frau, empfiehl Dich der Wirthin; ich will fort,“ rief eine harte Stimme, die dem Regierungsrath Reich angehörte, einer langen nach vorn gebeugten Beamtenfigur, deren Gesichtsfarbe Leberleiden und Reizbarkeit der Stimmung ausdrückte.

Gretchen brach hastig das Gespräch ab, lief eilig ihrem schon vorangegangenen Gemahl nach, raffte im Vorzimmer ihre Sachen zusammen, stülpte sich den Hut auf, und stürmte die Treppe hinunter, von deren unterster Treppe es wie dumpfer Donner grollte: „Gretchen, Frau! komm’!“

Ach, der geflügelte freie Sturmwind in rührender Dienstbarkeit – wer hätte sich das je gedacht! Eine pflichttreue Frau ist ein edles Wesen, doch dürfen wir nicht dabei an Knechtschaft erinnert werden.

Als Trost für Gretchens unerwartet veränderte Erscheinung sollte mir nun die sicherlich glückstrahlende und blühende Frau von Arnim dienen, so hieß jetzt die Gräfin Gansberg.

Vergebens durchforschte ich den Kreis junonischer Frauengestalten, ich konnte sie nicht herausfinden. Die Purpurnelke kam mir freundlich zu Hülfe:

„Frau von Arnim sitzt dort an jenem Tisch, von Herren umgeben.“

Ich ging etwas zweifelhaft auf die Bezeichnete zu. Die Gestalt mit dem dünnen langen Halse schien mir nicht der „rothe Titian“ zu sein, höchstens ein „bleicher Guido Reni“. Aber sie war’s doch.

„Wir sind nach Berlin gezogen, weil es mir an geistiger Nahrung in der Provinz fehlte. Hier verkehre ich fast nur mit berühmten Leuten und Männern, die mir gewogen sind. Lesen Sie Gedichte? Ich werde Ihnen morgen ein Bändchen von mir zuschicken; es ist betitelt ,Lethefluthen’.“

Ich stand starr vor der Sprecherin. War’s ein Papagei, der Auswendiggelerntes hersagte, oder war’s die frische unbekümmerte und unbedeutende Agnes Gansberg? Dahin Frische und Schönheit, dafür war Müdigkeit und Langeweile eingetreten, doch schien es nicht die Ausspannung der Ruhe, sondern die Abspannung der Unruhe, des Jagens und Haschens zu sein. An Stelle der früheren Zuversicht und Unabsichtlichkeit sprach jetzt Unzufriedenheit und forcirte Koketterie auf ihren verblühten Zügen. Ach, und wie weit hatte sie sich in ihrer Wahl von ihrem einstigen Ideal entfernt! Dem sah der kleine wohlbeleibte Major von Arnim in keiner Weise ähnlich. Wie verschieden waren überhaupt die Exemplare dieser Ehemänner von dem Bilde, welches sich die drei Damen einst von ihren Zukünftigen entworfen hatten! Ist’s denn durchaus nothwendig, daß Ideal und Wirklichkeit so grell miteinander contrastiren? Nun, vielleicht sind sie glücklicher, als wenn eine Jede ihr personificirtes Phantasiebild geheirathet hätte.


Die Kaffeegäste hatten sich allmählich entfernt. Ich zündete mir eine Cigarre an, das Rauchen erlaubte mir meine gütige Gönnerin, und schob mich in einen Sessel neben Frau von K., welche nachdenklich auf dem Sopha saß. Ich sehnte mich lebhaft nach einem Plauderstündchen. Nach einer Pause, unterbrach ich das Schweigen und sagte seufzend:

„Ach, es ist traurig, daß unser langes schmerzreiches Leben oft hauptsächlich dazu dient, um die Wahrheit oder die Unhaltbarkeit von Gemeinplätzen festzustellen! So bin ich heute von dem viel angenommenen Glauben zurückgekommen, daß ein unbedeutendes praktisch erzogenes Mädchen mehr Chancen zum Glücke einer Ehe biete als ein geniales kluges Weib. Wenn man doch in der Jugend des Alters Erfahrungen hätte, wie viel sicherer könnte man sich das Glück erringen!“

„Ich habe auch spät etwas gelernt,“ erwiderte Frau von K., „ich glaube jetzt an die Existenz der Liebe.“

Ich lachte hell auf. „Gnädige Frau, dieses Vorhandensein sollten Sie erst jetzt entdeckt haben? Das Dasein der Empfindung, welche unsere Dichter schafft, das meiste Unglück in die Welt bringt und doch nur allein wirkliches Glück geben kann?“

„Gewiß,“ sagte Frau von K. ruhig. „Liebe schien mir bis dahin ein Wahn, ein Gespenst, welches nur in der Phantasie aufgeregter Menschen lebte, ein Gefühl, dem in sehr unvernünftiger Weise Werth beigelegt wird, das unsere Dichter aus Eitelkeit in den Himmel erheben, um dadurch sehr schädlich auf die Jugend einzuwirken. Ich selbst heirathete als sechszehnjähriges unmündiges Ding auf den Befehl meiner Eltern meinen vortrefflichen lieben Mann, später würde ich mich mit freiem Willen nicht mehr verheiratet haben. Ueberredung oder ein unabweisbares ,Muß’ treibt ein Mädchen zur Ehe; ich bin überzeugt, könnte man alle Einwirkungen der Art fortschaffen, es würde keine einzige mehr zu Stande kommen. Liebe und Liebessehnsucht sind mir, die heilige menschliche Empfindung der Verwandtenliebe ausgenommen, Gottlob fremd geblieben. Jedoch die Herzensgeschichte meiner drei Schützlinge hat mir über das Wesen der Liebe einen andern Aufschluß gegeben. Besonders hat mich meine Nichte Agnes tief gerührt, es erschütterte mich, daß eine so sanfte einfache Natur von der Liebe gleich einer vulcanischen Eruption getroffen wurde. Wie veränderte sie das putzsüchtige, nur an Bälle und Gesellschaften denkende Mädchen! Daß so viel edle Gefühle, so viel echte Weiblichkeit, so viel leidenschaftliche Kraft sich in diesem Innern erheben konnte, welches mir bis dahin stets den Eindruck eines stillen Binnensees gemacht hatte, nicht der Mühe werth, tief unterzutauchen: das hat mich von dem wirklichen Vorhandensein der Liebe überzeugt. Ich sah die Wellen hoch aufrauschen und erblickte die Perlen tief im Grunde, die Liebe sprengte die verhüllenden Muscheln. Liebe ist die Blüthe unseres Seelenlebens, genährt von Wasser und Feuer. Die arme Agnes ist gereift unter Kampf und Schmerz, die Blüthe trug die Frucht ihrer geistigen Entwickelung; wir Menschen bedürfen des Unglücks, um seelisch zu wachsen.“

„So hat Agnes Gansberg in der That eine unglückliche Liebe gehabt?“ fragte ich kurz.

„Ja,“ erwiderte Frau von K., „alle drei Damen haben einen Roman erlebt, der sich vor der Ehe abspann.“

Ich stutzte.

Frau von K. lächelte. „Sie, mein lieber Präsident, sind darin mit keiner Rolle bedacht, gar mancher ,Epouseux’ würde sich wundern, wenn er in seiner Zuversicht eine Einsicht in die Herzen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_211.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)