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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Maier erhielt einen Ruf in den Generalstab nach Berlin. Jetzt mußte er sich erklären, falls er Agnes aufrichtig liebte. Meine Nichte war in einem entsetzlichen Zustand der Angst und Spannung. Der Tag seiner Abreise rückte immer näher.

Mir kam plötzlich der Gedanke, Maier wage nicht um eine Gräfin aus dem stolzen Hause der Gansberge anzuhalten, und ich faßte daher einen außergewöhnlichen Entschluß. Ich ließ ihn rufen und deutete ihm, so zart ich vermochte, ihre Liebe an. Er wurde sehr verlegen und stotterte etwas vom „Elend der Ehe“, welches er meiner Nichte nicht zumuthen könne. Ich sprach vom Warten, vielleicht auf eine Capitainsstelle. Da faßte ihn wahres Entsetzen. Seine Hand suchte die Thürklinke, er stieß einige Worte über die Unverantwortlichst, die Aussichten eines Mädchens zu verderben, von der Unannehmlichkeit eines langen Brautstandes hervor und war verschwunden.

Ich hatte einen Korb bekommen.

Agnes durfte niemals das Nähere dieses Auftritts erfahren. Das arme Mädchen verblutete sein Herz und hoffte immer noch. Wir lasen zwei Mal in den Zeitungen Maier’s Rangerhöhungen, doch er ließ nichts von sich hören. Agnes wurde eine Zeitlang menschenscheu, ihr Aeußeres veränderte sich traurig. Nur mit Mühe konnte ich sie bewegen, des kleinen Herrn von Arnim’s Hand anzunehmen, der ihr eine Versorgung bieten konnte. Nach ihrer Verheirathung ist sie wunderbarer Weise Schöngeist und Schriftstellerin geworden; das wunde, getäuschte Herz sucht Befriedigung.

Als ich im vorigen Sommer den Major von Maier, jetzt Schwiegersohn des Kriegsministers und geadelt, in Carlsbad wiedersah, geschah zufällig meiner Nichte Erwähnung. Der Major stutzte, besann sich und sagte: ,Ach, die Agnes Gansberg! jetzt erinnere ich mich, sie war ein gutes Mädchen, ein sehr gutes Kind.’

Arme Agnes, so viel Thränen, so viel Kummer, mit Liebe geharrt schmerzvolle Jahre hindurch, das arme Herz an das schwächste Hoffnungshälmchen angstvoll angeklammert, und kein anderes Zeugniß aus dem geliebten Munde als – ,sie war ein sehr gutes Mädchen’!“


Ich nahm rasch Abschied von der redseligen Erzählerin, um meine wehmüthige Empfindung über die Liebestäuschungen der drei Mädchen zu verbergen; die armen Blumen, welche meine Hagestolzlaufbahn geschmückt hatten, kamen mir wie verwelkt vor nach so vielem Leiden! Ich war aber doch froh, daß ich mich nicht verheirathet hatte, da es so offenbar Menschenschicksal ist, das Gegentheil von seinen Liebesträumen durch die Ehe zu verwirklichen!






Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.
Im Landhause von Derendorf.
Mit Abbildung.

Jeder Dichter, seit den ältesten Tagen der Menschheit, hat das allgemeine Gesetz der Dinge, die uralte und ewig neue Erfahrung, daß der Höhepunkt jeder Laufbahn zugleich der Beginn ihrer absteigenden Neigung ist, besungen und beklagt – und sicher auch an seinem eigenen Leben erprobt. Auch in dem eines neueren, dem deutschen Volk besonders werthen und theuern Poeten, in dem Leben des Schöpfers des Münchhausen, des mannhaften Vaters der deutschen Dorfgeschichte, der nach langer Zeit der Dürre zum ersten Male wieder an den festen, harten, rauhen Fels des echten germanischen Volksthums mit dem Zauberstabe der Dichtung zu klopfen wagte und ihm den lautern Quell der Erquickung und Gesundheit entlockte, welcher noch manche kommende Generation erfrischen und kräftigen wird, wie er es uns gethan, – auch in Karl Immermann’s Leben wiederholt sich die gleiche Erscheinung, und zwar bei ihm in besonders hervortretender, bestimmt gezeichneter, rund abgeschlossener Gestalt. Und diese Glanzzeit seines Daseins gewinnt dadurch noch eine ganz eigenthümliche, erhöhtere Färbung und ein besonderes Interesse, daß ihr Aufsteigen wie ihr Versinken und Erblassen zusammenfällt und eng und innig verbunden ist mit dem der schönen Jugendblüthe einer größern geistigen Genossenschaft, welche in der modernen Culturgeschichte unseres Vaterlandes eine wichtige und ehrenvolle Stelle einnimmt: der Düsseldorfer Malerschule. Genau sogar bis auf die begrenzenden Jahreszahlen, innerhalb welcher diese Periode begriffen ist, trifft die seine mit der ihren zusammen: 1827 und 1839 können hier wie dort den Beginn und den Abschluß markiren, zwischen welchen sich eine schöne, reiche Entwicklung abspinnt, die des Rückblicks „mit einem heitern, einem nassen Aug’“ wohl werth ist.

Dergleichen Glanzzeiten in des einzelnen Mannes Geschichte sind kaum denkbar, ohne daß irgend eine weibliche Gestalt auf deren erfreulichem Bilde mit erschiene, bei ihrem Heraufführen oder an ihrem Ende wirksam betheiligt wäre. Das trifft für Immermann in ebenso eminentem Grade zu, wie nur für Goethe. Es war zu Münster in Westphalen, wo der 1810 von Magdeburg dorthin versetzte dreiundzwanzigjährige Auditeur, den die Pflichten der Militärgerichtsbarkeit und die juristischen Studien nicht an der Cultur seiner schönen poetischen Begabung verhindern konnten, zum ersten Male der Frau gegenübertrat, welche auf die Gestaltung seines ganzen Daseins einen so entscheidenden Einfluß üben sollte, wie er nur je von einer jener berühmten Dichterfreundinnen auf die Poeten ausging, welche in ihnen ihre Musen verehrten und verherrlichten. Die liebenswürdige, mit jedem Reiz, den schöne Anlage, vollendete Geistes- und Lebensbildung, Vornehmheit und natürliche Anmuth einem Weibe verleihen können, geschmückte Gattin von Lützow’s, des kühnen Führers der schwarzen Schaar, Elise geborene Gräfin von Ahlefeldt, bedurfte in verwickelten Vermögens- und Geschäftsangelegenheiten des rechtskundigen Rathes und Beistandes, den sie bei Immermann suchte. Er seinerseits fand in der schönen Dame, welche noch dazu in dem für einen Zwanzigjährigen so gefährlichen Altersverhältniß zu ihm stand (sie zählte sechs Jahre mehr als er), den Gegenstand schnell erregter schwärmerischer Bewunderung, der all’ seine poetische Gluth zu hellen Flammen entfachte. Während der vier Jahre, die dieser Aufenthalt in Münster währte, floß unter dem beglückenden Einfluß der Freundin, welche sich darin gefiel, die Leonore dieses modernen Tasso zu sein, der Strom seiner dichterischen Production so reich und voll dahin, daß man schwer versteht, wie seine juristische Amtsthätigkeit dabei zu ihrem Recht kommen mochte. Die Pflichten derselben setzten übrigens diesem ersten Beieinanderleben ein Ende. Immermann wurde nach Magdeburg, seiner Vaterstadt, als Criminalrichter berufen. Als ihn zwei Jahre später Frau von Lützow dort wiederfand, war auch in ihrem Leben eine tiefgreifende Wandlung vorgegangen: sie war aus Gründen, die unserer Darstellung fern liegen, von ihrem Gatten geschieden.

Jedenfalls konnte sie für ihre Seelenwunden keinen heilsameren Aufenthalt wählen, als Magdeburg und die Nähe Immermann’s. Seine leidenschaftliche Freundschaft für die so Geprüfte war nur gewachsen. Aber vergebens drang er in sie, den Trost durch einen zweiten Gatten für die Fehler des ersten anzunehmen. Sie erwog den Unterschied des Alters und verweigerte des Dichters Hand. Wohl aber willigte sie darein, als er 1827 als Landgerichtsrath nach Düsseldorf berufen wurde, ihm dorthin zu folgen. Es dünkte ihrer hochgestimmten Seele so schön und so – möglich, den Traum einer idealen Gemeinschaft in die Wirklichkeit führen zu können, dem edlen Freunde alles Störende, Gemeine, Widrige, alle Noth und Unruhe des Lebens fern zu halten; über seinem Schaffen zu wachen, als „holde Treiberin, Trösterin“, und stolz und kühn des Geredes der Menge über die Seltsamkeit eines solchen Ausnahmeverhältnisses nicht zu achten. Als Sitz dieses Poetenglücks wurde ein Landhaus in Derendorf in der Nähe Düsseldorfs erwählt, von einem prächtigen großen Garten umgeben, wo Blumenduft, Blätterwehen und von breitem Rebenlaub gedämpfter Sonnenglanz in das stille Arbeitszimmer des Dichters und in die stattlichen, elegant und behaglich eingerichteten Räume drang, in welchen die Freunde und die auserwählten Geister, die sich ihnen anschlossen in herzlicher Neigung, sich gemeinsam des von jenem Geschaffenen, von jedem aus eigenem und fremdem Schatz Hinzugebrachten erfreuten.

Für Düsseldorf war gerade in jenen Jahren ein neues, frisches

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_214.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2021)