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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kunst- und Geistesleben aufgegangen, so daß Immermann bei seinem Eintritt eine Welt fand, wie sie, um seinem Dichtergenius die rechte und gedeihliche Atmosphäre, seinem Dasein den günstigsten Boden zu geben, nicht entsprechender hätte gedacht werden können. 1826 war Wilhelm Schadow von Berlin dem Ruf als Director der Düsseldorfer Akademie dorthin gefolgt und hatte einen Kreis von jungen Schülern mit hinübergebracht: Lessing, Bendemann, Hübner, Sohn, Hildebrand, Schirmer, Jünglinge von ungewöhnlicher Begabung, von ehrlicher Begeisterung für romantische Kunstideale erfüllt. Mit überraschend schnell entwickeltem künstlerischem Können legten sie bald genug glänzendes, thatsächliches Zeugniß für dieselben ab in jenen Bildern, welche zwei Jahrzehnte hindurch die Gegenstände des Entzückens und der Bewunderung des vaterländischen Publicums, und nicht blos dieses allein, waren, Bilder aus romantisch angeschauter Geschichte, aus der Sage und Poesie, aus der Landschaft und einem freilich nicht mit unbefangenem Auge betrachteten Volksleben.

Die moderne Kunstentwickelung hat diesen Standpunkt überwunden. In Düsseldorf selbst sind grundverschiedene Richtungen der Malerei zur höchsten Geltung gekommen; man hat anders sehen, anders empfinden, anders zeichnen und malen gelernt. Aber jene Zeit mit ihrer hoffnungs- und glaubensvollen Freudigkeit, ihrem hochfliegenden Streben wird unvergeßlich bleiben, wie die weltbekannten Schöpfungen, die ihr erwachsen. Ein enger Verkehr des Immermann’schen Hauses mit diesen Künstlern konnte nicht ausbleiben. Die „Düsseldorfer Schule“ blieb nie unvertreten im Gartensalon zu Derendorf. Und auch für andere Interessen noch, als die ihr eigenen, fand sich dort der gastliche Vereinigungspunkt. Der dramatische Dichter mochte der lebendigen Wechselwirkung mit der Bühne nicht entbehren; sein großes Vorlesertalent führte ihn mit den Schauspielern und den Bühnenfreunden in nahe Berührung, und seinem Verständniß, seiner durchdringenden und überlegenen Geisteskraft fügte man sich willig. Der Lieblingsplan des Bühnendichters kam zur Verwirklichung. Vom Beirath wurde Immermann zum Leiter der Düsseldorfer Bühne. Ein einjähriger Urlaub gab ihm die Zeit und die Freiheit dazu, Actienzeichnungen in dem anfangs lebhaft dafür interessirten Publicum schafften die Geldmittel herbei.

Er konnte eine Zeit lang hoffen, daß es so ehrlichem Bestreben, so wirksamer Unterstützung durch tüchtige, kundige Männer, unter denen Felix Mendelssohn und Friedrich v. Uechtritz, der Landgerichtsrath, Dichter und liebenswürdige Enthusiast, besonders zu nennen sind, gelingen müßte, „den Widerstand der stumpfen Welt“, die Gleichgültigkeit, die Gewöhnung der Masse an triviale, fade oder rohe Kost zu überwinden, und von dieser Düsseldorfer Bühne aus, wenn er sie erst zur deutschen Musterbühne erhoben haben würde, die Regeneration des vaterländischen Theaters ausgehen zu sehen. Man weiß, welche schmerzlichen Enttäuschungen diesen Hoffnungen schon nach drei Jahren folgten, wie sich jene bekämpfte Stumpfheit und Gleichgültigkeit gegen die Arbeit: die Bühne aus der theatralischen Versumpfung zu erheben zum würdigen Schauplatz der edeln Gebilde echter Dichtung, als unüberwindliche Mächte erwiesen, welchen auch ein so energischer Wille unterliegen mußte, da die ihm zu Gebote gestellten materiellen Mittel nur zu bald versiechten. 1837 nahm Immermann vom Düsseldorfer Theater wie vom Grabe seiner liebsten Träume Abschied, und lange noch wirkte der bittere Schmerz in seiner Seele nach.

Während der Zeit seiner Bühnenleitung, zum Theil durch diese mit veranlaßt, war zu den Anderen auch eine der originellsten Gestalten der deutschen Poetengilde, Dietrich Grabbe, in Immermann’s Kreis getreten. 1801 war er zu Detmold geboren, der Sohn des dortigen Zuchthausinspectors.

Trotz der vergiftenden Einflüsse, welche eine rohe, halb verrückte, dem Trunk ergebene Mutter auf des Kindes geistige und körperliche Entwickelung geübt hatte, war er zu einem vielseitigen Wissen in fleißiger Arbeit und zur Ausbildung eines dichterischen Genies gelangt, in welchem Größe und Gemeinheit, gründliche Ungeheuerlichkeit und Schwächlichkeit seltsam mit einander gemischt erscheinen. Wie ehemals Immermann hatte auch er das Amt eines Auditeurs bekleidet, dasselbe in krankhaften Launen, die sein Wollen, ihm zum Unheil, bestimmten, ausgegeben, und war nach Frankfurt übersiedelt. Unfähig, mit jenem gewaltigen Talent der dramatischen Dichtung, das sich verachtend über alle Schranken der wirklichen Bühne hinwegsetzte (einem Talent, von dem seine damals bereits erschienenen Dramen „Gothland“, „Don Juan und Faust“, „Hannibal“, Zeugniß ablegen konnten), die Mittel der Existenz zu erwerben; ebenso unfähig, der verderblichsten Leidenschaft zu entsagen, die ihn im Trunk die Quelle der Kräftigung seiner kranken Natur und auch wohl – der Begeisterung suchen ließ, lebte er hier in tiefem Elend, als Immermann’s Einladung nach Düsseldorf seinem an diesen gerichteten verzweifelten Hilferufs antwortete. Immermann that hier, was er vermochte, das Dasein des Gastes freundlicher zu gestalten, zog ihn in die engste Intimität seines Hauses, ohne sich durch die Formlosigkeit seiner Sitten, durch die Unfähigkeit oder den verächtlichen Widerwillen, sich den gültigen geselligen Bräuchen und Regeln zu fügen, weder in seinen Bemühungen noch in der Schätzung der wilden Größe dieses Genius beirren zu lassen. Deutlicher hat sich selten wohl das geistige Wesen eines Mannes in seiner körperlichen Erscheinung ausgeprägt, als dieses über Gebühr verlästerten und andererseits maßlos glorificirten Poeten.

Sein wohlgetroffenes Portrait zeigt eine prachtvoll gewölbte riesenhafte Stirn, ein tiefes seelenvolles Auge, eine feine Nase bei einer wahrhaften Verkümmerung der untern Gesichtspartieen, die bis zur verschwindenden Unbedeutendheit des Kinns, also gerade jenes Theils des Antlitzes geht, in welchem noch jeder Physiognom mit vollem Recht den Maß-und Werthanzeiger menschlicher Charakterkraft und Tüchtigkeit erkannt hat. Dazu eine Gestalt, in welcher kein Stück zu dem andern zu passen, wo Körper und Extremitäten in stetem Widerstreit zu stehen schienen, jede Bewegung eckig, roh und ungeschlacht herauskam.

Eine solche Figur muß eine seltsame Zuthat gewesen sein zu dem Kreise, der sich um Immermann’s imponirende Persönlichkeit und seiner Freundin vornehme und herzgewinnende Gestalt in jenem Gartenhause zusammenschloß. Mit Begeisterung erzählen die Zeugen jener glücklichen Tage heut’ noch von den darin verlebten Stunden reinen, erhebenden Geistesgenusses und der edelsten Geselligkeit.

Dem Bericht eines Mitlebenden über einen solchen Abend in Derendorf ist auch das Bild erwachsen, das hier eine Scene, wie sie sich dort oft wiederholt haben mag, in einer Gruppe der hervortretendsten Charaktere jenes Kreises zu veranschaulichen sucht. Das Licht eines schönen Sommerabends fällt durch das Weinlaub, das die Fenster und die Saalthür umgiebt und überschattet, und durch die schweren Seidenvorhänge in den nach den bescheidnern Ansprüchen jener Tage elegant und behaglich eingerichteten Gartensalon, den neben zahlreichen Bildern, an welchen die jungen künstlerischen Freunde manchen Antheil haben mögen, ein großes Bild König Friedrich Wilhelm des Dritten schmückt. Der Abendschein trifft die breite mächtige Stirn des „Mannes im braunen Ueberrock“ (wie er sich selbst in der Geschichte seines Münchhausen’s einführt), der eben die letzte Seite eines Manuscripts umschlägt, aus dem er seinen Gästen vielleicht sein neuestes Product, oder eine Scene aus den Epigonen, dem Trauerspiel in Tirol, dem Tulifäntchen oder dem Merlin vorgelesen hat.

Auf jener Stirn, wie Stahr sagt, „von dem dunkeln, schon hie und da in’s Graue spielenden Haar mäßig beschattet, spiegelte sich eine gehaltene Hoheit und Ruhe, welche durch die kräftig geschlossenen Lippen und das scharf und tief blickende Auge zu dem Charakter strengen Ernstes und fester Entschlossenheit gesteigert wurde.“

Neben ihm im niedrigen Fauteuil, mit inniger Antheilnahme zu ihm hingeneigt, mit den schönen sanften und tiefen Augen an den beredten Lippen des Freundes hängend, lehnte dann wohl Frau von Lützow, Gräfin Ahlefeldt, das immer noch jugendliche Antlitz von den braunen Locken umflossen, die feine jugendschlanke Gestalt in ein einfaches, mit schwarzen Spitzen besetztes Seidenkleid gehüllt.

Drei Gäste sehen wir an diesem Abend vor dem runden Tisch des Salons versammelt: in sich zusammengedrückt, den Kopf in dem hohen Rockkragen der dreißiger Jahre tief versunken, die geballte Faust am Kinn, die andere auf dem Schenkel, Grabbe. Neben seinem Sessel stehend, Herrn v. Uechtritz (geboren zu Görlitz 1800), der hier dem Beschauer jenes edel und delicat geschnittene Profil weist, welches die Düsseldorfer Maler damals oft genug in ihren romantischen Geschichtsbildern zu verwerthen verstanden. Mehr aber noch, als mit seinem Gesichtsschnitt diente er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_215.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)