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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Das Leben ist ernst und zumal das Leben eines Künstlers im Beginn seiner Laufbahn.“

„Wem sagt Ihr das?“ erwiderte Thorwaldsen. „Darüber kann ich wohl aus eigener Erfahrung ein Wort mitsprechen. Es ging mir nicht besser, als ich vor Jahren hier in Rom mit meinem Modell des Jason saß und von Tag zu Tag vergebens auf eine Bestellung wartete. Kein Mensch wollte von meinem Werke etwas wissen und in bitterem Unmuth, an mir selbst und an meinem Berufe verzweifelnd, griff ich schon nach dem Hammer, um die Formen zu zerstören, als der reiche Engländer Hope in mein Atelier trat und mir den Auftrag gab, die Statue in Marmor für ihn auszuführen. Seitdem war ich ein gemachter Mann und konnte nicht nur sorglos, sondern selbst im Ueberfluß leben. Ihr seht, daß man nicht den Muth verlieren darf.“

„Nicht Jedem lächelt das Glück wie Ihnen, und die reichen Engländer scheinen wie die Engel der heiligen Schrift von der Erde verschwunden zu sein.“

„Einem so wackern Künstler wie Euch kann es ebenfalls nicht an Gönnern und Freunden fehlen. Ich selbst habe Achtung vor Eurem Talent, und wenn ich Euch in irgend einer Weise nützen kann, so thue ich es nur mit Freuden. Ihr könnt mit mir, wie mit einem Vater, offen sprechen. Wenn Ihr nicht bei Casse seid, was uns Künstlern ja nicht selten zu passiren pflegt, so braucht Ihr Euch nicht zu geniren; ich will Euch sogleich eine Anweisung auf meinen Bankier ausstellen.“

„Dank, tausend Dank!“ erwiderte Robert, warm die Hand des berühmten Bildhauers drückend. „Für meine geringen Bedürfnisse bin ich hinlänglich mit Geld versehen.“

„So sagt mir nur, wo Euch sonst der Schuh drückt, was ich für Euch thun kann.“

„Sie kennen,“ erwiderte Robert nach einiger Ueberlegung, „den Cardinal Consalvi.“

„Er ist mein Freund und besucht mich öfters in meinem Atelier.“

„Dann können Sie mir vielleicht eine Empfehlung an ihn geben.“

„Gewiß! Aber der Cardinal ist ein Knauser, der keine Bilder kauft.“

„Darum handelt es sich nicht. Ich will ihn nur bitten, mich in den Bädern des Diocletian einzusperren.“

„Mensch!“ rief der überraschte Bildhauer. „Was ficht Euch an? Ihr seid wohl nicht richtig im Kopfe? In diesen Termini sitzen ja nur die ärgsten Spitzbuben, Räuber und Mörder, das verruchteste Gesindel. Das ist doch keine Gesellschaft für Künstler, wie Ihr einer seid.“

„Aber unter diesen Räubern und Mördern findet man die herrlichsten Gestalten, die charakteristischsten Figuren, wahrhafte Helden, wie sie sich ein Künstler nicht besser wünschen kann. Ich selbst war Zeuge einer Scene, die mich tiefer ergriffen hat, als Alles, was ich bisher in Rom gesehen.“

„Laßt mich hören und ich will sehen, ob nicht wirklich Euer Kopf gelitten hat,“ scherzte gutmüthig der Bildhauer.

Mit wenigen Worten erzählte Robert sein eben erlebtes Abenteuer mit den beiden Frauen, das der berühmte Bildhauer mit steigender Theilnahme und Bewunderung vernahm.

„Jetzt verstehe ich Euch erst,“ sagte der große Thorwaldsen gerührt, als Robert geendet hatte. „Ihr seid ein wackerer junger Mann, ein echter Künstler, der das Herz auf dem rechten Flecke hat und ein offenes Auge für die ewige Schönheit der Menschennatur, wo und wie sie sich auch offenbaren mag. Das ist der einzige Weg, wie man das höchste Ziel erreichen kann. Ihr sollt die Empfehlung an den Cardinal haben, und ich selbst will mit ihm sprechen, daß er Euch nicht eine elende Gefangenenzelle, sondern ein einigermaßen anständiges Atelier in den Bädern des Diocletian anweist.“

„Wie soll und kann ich Ihnen danken, daß Sie mir die Gelegenheit geben, diese Studien zu machen!“

„Redet nicht von einer solchen Lumperei! Das ist das Wenigste, was ich für Euch thun kann. Hoffentlich laßt Ihr mich Eure Skizzen sehen, von denen ich mir einen großen Erfolg verspreche. Jetzt aber sollt Ihr Euer Glas füllen und mit mir anstoßen.“

Robert stieß mit dem Meister an, aber er fand keine Worte zu einem Trinkspruch, das Herz war ihm zu voll.

Desto lauter erklang der Gesang der heimkehrenden Tänzer, welche die Osteria verließen und, mit Weinlaub bekränzt, blumengeschmückte Stäbe in den Händen, einem Chor gottberauschter Bacchanten und Mänaden glichen.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 25. Winterleben in Tirol.

Tausende von Touristen durchwandern in der schönen Jahreszeit unser großartiges Bergland und erfreuen sich am Anblicke seiner anmuthigen oder grotesken Landschaften. Welch’ reichen Wechsel bietet es von den Limonengärten und Olivenhainen des Gardasees bis zu den Eisfeldern der Oetzthaler Gletscher! – Allein mag Tirol im Sommer an Naturschönheiten mit jedem Berglande wetteifern, auch im Winter besitzt es seine unleugbaren Reize, ja, wenn Schneemassen Thal und Berg bedecken, die Wasserfälle wie riesige Krystalle an den Felswänden funkeln und über die schneeweiße Herrlichkeit tiefblau der Himmel sich breitet, dann scheint die Bergwelt an Großartigkeit noch gewonnen zu haben. Jeder, der im Winter die Fahrt über den Brenner gemacht hat, wird diesen Winterlandschaften den Preis vor den Sommerlandschaftsbildern der Route geben. – Freut sich der Städter auf den Sommer und die erfrischenden Landpartien, so sieht der Bauer mit Sehnsucht dem Winter entgegen. Dieser ist ja die Zeit idyllischen Zusammenlebens und behaglicher Ruhe. Der Winter ist für den Bauer das, was für den Studenten die Ferien sind. Mit dem Beginne desselben zieht er sich von den Feldern und Almen, wo er den größten Theil des Sommers zugebracht hat, in die warme, getäfelte Stube zurück, schmaucht dort sein Stumpfpfeifchen oder streckt seine Glieder behaglich auf der Ofenbank. Die Burschen basteln dies und jenes für den Gebrauch des Hauses oder schnitzen Figuren für die Weihnachtskrippe, die Dirnen sitzen an den schnurrenden Rädern. In manchen Dörfern sind noch die Heimgärten im Brauche; die Nachbarleute finden sich in der größten Stube zusammen und sprechen über Gemeindesachen oder Zeitereignisse, oder erzählen sich alte Geschichten und Mähren, während die Weiberleute lauschend die Spinnräder drehen. Manchmal wird noch ein Lied gesungen oder ein Bursche giebt einen Ländler auf der Cither zum Besten. Denn nicht überall ist es frommen Eiferern gelungen, Sang und Citherklang zu verbannen.

Eine Unterbrechung dieses ruhigen Winterlebens bildet nur das Abführen des Heues aus den Bergstädeln oder das Fällen und Abtreiben des Holzes. Gewährt so der Winter den Erwachsenen meist süße Rast und behagliche Erholung, so bringt er den Kindern manche Beschwerde. Die Kleinen, die im Sommer im Freien spielend sich Umtrieben oder Vieh hüteten, müssen nun die Schule besuchen. Dies ist für viele keine geringe Aufgabe, denn sie müssen oft mehr als eine Stunde bei Kälte und Sturm, manchmal von Lawinen bedroht wandern, um die ferne Schulstube zu erreichen. Mit von Kälte gerötheten Wangen, die Kleider beschneit und bereift, ziehen sie wohlgemuth durch Wald und Feld ihrem Ziele zu, manch jüngeres aber, das zum ersten Male die Schule besucht und die Strenge des Winters und die glitschrigen Wege nicht gewohnt ist, fühlt Zagen und Bangen und mag wohl manche Thräne fallen lassen. Noch ist es häufig vorkommender Brauch, daß jedes Kind ein Holzscheit zum Heizen des Schulzimmers mit sich trägt. In diesem Falle setzen die Jungen einen besondern Stolz darein, das größte Scheit als Tribut zu bringen, und selbst halbmorsche Zaunpfähle werden mitgeschleppt. Dieser Ehrgeiz hat seinen besondern Grund in dem huldvollen Lächeln des Schulmeisters, mit dem die größten Scheiter begrüßt werden, und in der Erwerbung seines Wohlwollens. Ja, schon manche Privilegien wurden durch riesiges „Holz“ erzielt. So hatte zu meiner Zeit auf diese Weise der dicke Hans das Recht erworben, ein paar Aepfel im Ofen zu braten, und die lange Moidl durfte ein Töpfchen Milch für sich und ihr sechsjähriges Brüderlein im Ofenloch sieden.

Eine solche Schaar munterer, mit Scheiten versehener Kinder,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_228.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)