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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Saladin wurde an der Barriere festgenommen, da er eben von der verdorbenen Stadt Paris stillen Abschied nehmen wollte. Trotz ganz unchristlicher Gegenwehr, wobei ein Gensdarm das Leben ließ, wurde er bemeistert und zu seinem eigenen Besten nach Art der Büßer im Mittelalter mit Eisen beschwert. Nach seinen Antecedenzien, sowie nach seinem Verkehr mit Madame Genlis, der Besitzerin des Gestohlenen, konnte über den Vater der verschiedenen Diebstähle länger kein Zweifel mehr obwalten.

Madame Lätitia sah dies ein und riß den unwürdigen Freund für immer aus ihrem Herzen. Madame Genlis wurde von jeden gesetzlichen Folgen befreit, da man kein Aufsehen machen wollte, mußte aber die so theuer bezahlten Reliquien ohne Entschädigung der rechtmäßigen Besitzerin zurückstellen. Von dieser Sammelwuth soll sie für immer geheilt gewesen sein.

Der Abbé Saladin aber widmete seine Talente von nun an ausschließlich dem französischen Staatsdienste im Hafen von Toulon. Der Schulterknochen des heiligen Johannes wurde von Sachkundigen als ein Stück aus dem Kinnbacken eines Walfisches erkannt und festgestellt. Was wir hier erzählt haben, beruht auf strenger geschichtlicher Wahrheit.

J. G.




Unterbrochene Eisenbahnfahrt.

„Die Eisenbahn ist in den Pruth gefallen!“ Diese komischtragischen Worte ertönten den 4. März dieses Jahres kurz vor sieben Uhr Morgens von der Warte des Czernowitzer Rathhausthurmes herab. Und leider war das Unglaubliche wirklich geschehen; der Zug, welcher um diese Stunde von Czernowitz nach Lemberg abgehen sollte, war auf dem letzten Bogen der schönen Brücke, die hier über den Pruthfluß führt, verunglückt und zwei Locomotiven mit neun Lastwagen waren sammt dem Eisenwerke der Brücke in die durch den Beginn des Eisstoßes hochgehenden Fluthen des Pruth hinabgestürzt!.

Die Eisenbahnbrücke über den Pruth, welcher am Fuße der Anhöhe, worauf die Hauptstadt Czernowitz gelegen, dahinfließt, ist nach Schiffkorn’s System gebaut und besteht aus vier Bogenspannungen von je dreißig Klaftern Weite. Wie alle übrigen Eisenbahnbrücken war auch diese den amtlichen Proben unterzogen und tüchtig befunden worden, ehe sie dem Verkehr befunden wurde. Sie hatte vier Locomotiven sammt Tender getragen, und zwar in allen denkbaren Situationen und Gangarten, vom Stehen bis zum schnellsten Dahinbrausen. Freilich soll schon damals eben dieser Bogen unter den vieren der einzige gewesen sein, welcher sich durch die Last aus seiner Spannung bis zur völligen Horizontallinie herabdrücken ließ, aber die Probe hatte er ausgehalten, und es ließ sich mithin dagegen nichts weiter einwenden. Uebrigens wurden auch später noch manche Probefahrten vorgenommen und alle mit gutem Erfolge bestanden. Nur unter der Czernowitzer Bevölkerung ging einige Zeit murmelnd die Meinung, daß die Brücke und der Bahnhof schleuderhaft gebaut worden wären. Nun brach dieser Bogen unter der Last von nur zwei Locomotiven zusammen! Was mochte wohl die Ursache sein? Bis heute ist dieses Räthsel nicht gelöst und es gehen darüber nur Vermuthungen. Man spricht davon, daß schon vor Kurzem von den Locomotivführern die wiederholte Anzeige gemacht worden sei, es müsse auf diesem Brückentheile Manches locker sein, weil sie dort ein eigenthümliches Klappern beim Hinüberfahren wahrnahmen, und diese Anzeigen sollen bis zum Tage des Unglückes unbeachtet geblieben sein; indeß sind das eben nur Gerüchte, die eher zu bezweifeln, als zu glauben sind. Demungeachtet ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, sogar die Wahrscheinlichkeit sehr nahe liegend, daß nur durch einen plötzlichen Abgang einiger Schrauben die Theile nachgegeben haben und dadurch der Einsturz der Brücke veranlaßt worden sei.

Der verunglückte Zug, welcher am 4. März früh nach Lemberg abgehen sollte, bestand nebst der geheizten aus einer kalten Locomotive, zehn Last-, einem Conducteur-, einem Post und vier Personenwagen, welche letztere glücklicher Weise ganz am Schlusse des Zuges angebracht waren. Die ungeheizte Locomotive befand sich unmittelbar hinter der geheizten, die Lastwagen waren mit Kleesamen (fünfhundert Centner), Getreide, Fenchel, Zuckersand, hundertunddreißig Schweinen und vierzig Ochsen beladen, und in den Personenwagen saßen einige zwanzig Reisende.

Ueber die Katastrophe selbst habe ich von einem Augenzeugen – ich selbst war erst drei Stunden nachher am Orte des Unglückes –, der mir ein guter Bekannter und zuverlässiger Gewährsmann ist, folgende Mittheilung erhalten:

„Ich stand bei der hölzernen Brücke (diese befindet sich ungefähr fünfhundert Schritte oberhalb der Eisenbahnbrücke), als der Zug über den Damm hin auf die Brücke fuhr, und folgte ihm unablässig mit den Augen; besonders waren es die Locomotiven, welche ich im Auge hielt. Die ersten drei Bogen der Brücke waren von diesen überschritten und der vierte, der letzte, betreten. Die vordere, dampfende Locomotive hatte auch diesen bereits auf mehr als drei Viertheilen seiner Länge überschritten, ja beinahe den Brückenkopf erreicht – da schien mir, als ob es plötzlich nicht mehr vorwärts gehe, die Brücke sich ungewöhnlich tief und tiefer und immer tiefer niederbiege und mit den beiden Locomotiven herabzusinken begänne. In diesem Augenblicke wußte ich nicht mehr, ob ich wache oder träume. Doch es war nur ein Augenblick, und ein fürchterliches Krachen, welches schon in diesem Momente erfolgte, überzeugte mich, daß es die entsetzliche Wirklichkeit sei, was ich hier vor mir geschehen sah!

Die beiden Locomotiven waren hinabgestürzt und ihnen folgte ein Wagen nach dem andern mit fürchterlichem Krachen, zertrümmernd und zertrümmert sich auf einander schichtend, während die Splitter in der Luft umherflogen. Acht, neun oder zehn Wagen sind den zwei Locomotiven in die schauerliche Tiefe des eistreibenden Flusses bereits nachgestürzt. Zum Glück haben ihre Trümmer sich auf einander gehäuft und so einen Damm gebildet, an welchem die noch übrigen Wagen endlich stehen bleiben müssen. Es war Zeit, ja die höchste Zeit für die in den Personenwagen befindlichen Reisenden, denn vor ihnen war von allen Lastwagen nur noch ein einziger übrig geblieben!“

An Menschenopfern ist nur eins zu beklagen, das eines Mannes vom Betriebspersonale, der bis jetzt noch vermißt wird und wahrscheinlich den Tod fand. Der Locomotivführer und der Heizer sind während des Hinabstürzens der Maschine über Bord gesprungen und haben sich aus dem Wasser gerettet, doch schwebten Beide in Lebensgefahr, weil sie beim Hinabspringen sich erhebliche Verletzungen zugezogen und im Lebenskämpfe mit dem Elemente ihre Kräfte übernatürlich anstrengen mußten.

Der Aublick der chaotisch durch- und übereinander gestürzten und zertrümmerten Wagen, der verstümmelten Schweine und Ochsen und der aus dem Flusse hervorsehenden Getreidesäcke ist schauerlich genug, wird aber geradezu entsetzlich, wenn man bedenkt, wie leicht Hunderte von Menschen von dem Unglück erfaßt werden konnten.

Der materielle Schaden ist nicht unbedeutend. Die Eisentheile der Brücke von dem eingestürzten Bogen werden zur Wiederherstellung nicht mehr verwendbar sein, da die meisten zu ganz wunderlichen Krümmungen verbogen sind; vom Frachtgute liegt eine Ladung von fünfhundert Centnern Kleesamen im Wasser, außerdem anderes Getreide; eine Menge Schweine und Ochsen sind zu unförmlichen Massen verstümmelt oder ertrunken. Die Wagen sind zertrümmert, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch deren Eisenbestandtheile, sowie jene der zwei Locomotiven, Biegungen oder Brüche erlitten haben, welche sie zum ferneren Betriebe untauglich machen oder wenigstens eine kostspielige Restauration erheischen.

Von welchem Entsetzen die Passagiere des Zuges erfaßt worden sein mögen, als sie das Krachen der hinabstürzenden Locomotiven und Wagen vernahmen, läßt sich denken! Eilten sie selbst doch hülflos dem gleichen Schicksale zu, um endlich auf derselben verhängnißvollen Brücke stehen zu bleiben, von welcher ein Theil soeben zusammengebrochen war! Todtenbleich vor Schrecken verließen sie den Ort dieses entsetzlichen Schauspieles und kehrten zurück nach der Stadt – schweigend, doch dankend dem rettenden Geschick. Ich lege eine an Ort und Stelle aufgenommene Zeichnung des Begebnisses bei; wenn die Gartenlaube sie ihren Lesern rasch vorführt, so wird sie die erste illustrirte Zeitschrift sein, welche eine Abbildung der Katastrophe bringt.

J. J.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_236.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)