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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ein kaufmännischer Orden.

Von Ferdinand Heyl.

Rhein und Wein sind von jeher zwei unzertrennbare Begriffe. Der Wein aber ist die Ursache des ausgesprochenen Humors, der sich im Charakter des ganzen rheinischen Volkes ausspricht; ein Humor, der besonders im Carneval seine tollsten Früchte treibt, Früchte, die um so verlockender sind, als auch sie unzweifelhaft vom rheinischen Rebensaft zur Blüthe und Entfaltung getrieben werden. Während im Mittelalter nur die Städte Augsburg und Nürnberg dem Carneval huldigten, hat der Rhein, lange Zeit als einzige Pflanzstätte dieses Volksfestes in Deutschland, diese Frühlingsfeier bis auf unsere Tage erhalten, und nicht zu verkennen ist, daß der Genuß des „neuen Weines“ bei diesen Festen den Haupttheil der erregten Heiterkeit auf seine Rechnung schreiben darf.

Der Wein spielt eben am Rhein in allen Dingen, nicht allein im Handels und Verkehrsleben, eine Hauptrolle. Das rheinische Lesefest hat die Gartenlaube vor nicht langer Zeit geschildert, der sogenannten „Zechgesellschaft“ in Oberwesel, welche schon im Jahre 1328 als eine „uralte“ erwähnt wird, gedenkt sie wohl gelegentlich, da deren Institutionen, Entstehen und Treiben der Aufzeichnung immerhin werth scheinen. Für heute wollen wir an der Hand chronistischer Nachweise einen „lustigen kaufmännischen Orden“ dem Schicksal des Vergessenwerdens entziehen, über den bisher nur wenig in die Öffentlichkeit gelangte, der aber nichtsdestominder eine deutsche, eine rheinische Sitte im drolligsten Gewande erscheinen läßt.

Schon zu Zeiten der Römer zog die einzige Heerstraße des Rheines am linken Stromufer hin, das Mittelalter behielt die Richtung der römischen Heerstraße von Köln nach Mainz auf linker Rheinseite mit unbedeutender Kürzung an einigen Stellen bei, während dem rechten Rheinufer eine eigentliche Chaussee jetzt noch fehlt. Nur sparsam unterhaltene schlechte Fahrwege verbinden auf dem rechten Rheinufer die einzelnen Ortschaften, und das Ländchen Nassau erhofft als einen Segen der Annexion endlich die Errichtung einer zusammenhängenden Fahrstraße auf der rechten Stromseite. Der Zug zu den Messen nach Nürnberg, Frankfurt, Leipzig vom ganzen Niederrhein, aus Frankreich, Belgien und Holland ging links am Rhein hinauf und berührte solchergestalt auch das freundliche Städtchen St. Goar, welches unter dem Schutze der über ihm thronenden Festung Rheinfels den zur Messe fahrenden Kaufleuten als Stationsort und bevorzugte Nachtherberge diente.

Hier hatte sich eine Sitte eingebürgert, deren Entstehung die Chronik auf die Zeit Karl’s des Großen zurückführen will. Wären nicht heute noch sichere, untrügliche Zeichen und Beweise vorhanden, man würde die Glaubwürdigkeit unserer nachfolgenden Mittheilung in Zweifel ziehen. Alle Zweifel aber widerlege die Chroniken der Stadt St. Goar und die noch vorhandenen Urkunden.

In St. Goar bestand der Burschband- oder Hanse-„Orden“. Jeder Reisende, der zum ersten Male nach St. Goar kam, mußte sich in diesen Orden aufnehmen lassen. „Am Rheinufer bei dieser Stadt, an der Seite des Walls bei dem Zollhause (Hauptwache), ohnweit dem Rheinthor“, befand sich ein messingenes Halsband, von Winkelmann das Burschband genannt. Nach dem alten rheinischen Antiquarius (1776) soll dies „berufene und berühmte Halsband von Kaiser Carl dem Fünften oder, nach Anderer Bericht, von Carl’s des Großen beyden Prinzen, Carl und Pipin dahin, als an den Ort ihrer Versöhnung und ihres brüderlichen Vertrags, seyn gestiftet worden. Anfänglich soll es von Eisen gewesen sein, als aber Churfürst Friedrich der Fünfte zu Pfalz seine Gemahlin aus Engelland geholet, hat er zwar ein silbernes Band, oder Ring dahin verehren wollen, aus Beysorge eines Diebstahls aber ein messingernes machen lassen, welches noch allda ist. Uebrigens hat er dabey die Armen reichlich bedacht.“

An dieses Halsband nun wurde der zu „Verhansete“ angeschlossen und feierlich „verhanset“. Er hatte dann Pathen (Göthen am Rhein) zu ernennen, welche als Hansezeugen ihm während der Ceremonie beistanden. Man legte darauf dem Verhanseten die Frage vor: „ob er mit Wasser oder mit Wein getauft sein wolle?“ Die Antwort: „mit Wasser“ trug ihm das Vergnügen ein, wider Willen ein Kopfbad aus einigen Kübeln kalten Rheinwassers aushalten zu müssen; man wollte dem Neuling dadurch den „Geizteufel“ austreiben. Auf die Antwort: „mit Wein“ folgte eine Contribution in Form eines Beitrags zur Armenbüchse, welche neben dem Halsband an der Hauptwache angebracht war, und der Verhansete wurde sodann feierlich in die Matrikelbücher des Hanseordens eingetragen. Die Aufnahme gegenzeichneten die „Göthen“ des Getauften. Diese Einzeichnung aber geschah unter einem besonderen Ceremoniel. Eine vergoldete Krone auf dem Haupte, hörte der Verhansete die Gesetze des Hanse-Ordens, die ihm vorgelesen wurden, mit an und trank dann aus einem mit perlendem Weine gefüllten „silbernen Becher, dem großen Hansebecher, welchen die Königin Christina von Schweden, oder, wie Andere wollen, eine gewisse Königin in Engelland, als sie vorbeigereiset, zum Andenken soll verehret haben, woraus er 1. des Kaisers Caroli Magni, 2. der Königin von Engelland oder Schweden, 3. des regierenden fürstlichen Hauses Hessen-Cassel, als des Orts Landesherrn und 4. der Pathen und der sämmtlichen Gesellschaft Gesundheit trinken mußte.“ Hierauf belehnte man „lebenslang“ den Neuaufgenommenen mit der „Jagd auf der Bank“, einem Felsen mitten im Rhein (Rheinstrudel), der nur wenig über den Stromspiegel hervorragte, und mit dem „Fischfang hoch oben auf der Lurlei und auf der Kemeler Haide“, einem ziemlich unwirklichen Plateau auf der rechten Rheinseite. Die Festlichkeit schloß in der Regel ein lustiges Gelage in einem Gasthof der Stadt, entweder im Grünen Wald oder in der Lilie, welch’ letzteres Haus heute noch existirt, als eines der ältesten Gasthäuser des Rheins. Bei diesen Trinkgelagen war noch ein anderer werthvoller Becher mit im Gebrauch, den das fürstliche Haus Hessen-Rheinfels und der Kurfürst von der Pfalz im Jahre 1595 gestiftet halten, woraus dann der „Verhansete“ die vorerwähnten Gesundheiten wiederholt trinken mußte. Letzterer Becher ist mit Wappen sämmtlicher Grafen und Ritter aus dem Gefolge des Kurfürsten geziert und trägt die Inschrift:

„Zu Ehren Sanctgoar am Rhein
Ist gar wohl und fein
Der Landgräflichen Verhanse-Stadt
Dieß Trinkgeschirr gemacht.“

Dieser Becher befand sich bisher im Besitz des Numismatikers Bohl in Coblenz. Ein zweiter Beitrag in die Armenbüchse, als „freywillige Beysteuer“ wurde während des Trinkgelages erhoben und diente „alsdann zur Verpflegung der armen Vorbeyreisenden in dem dasigen uralten Spital“. Es wurden so fünfzig bis hundert Gulden jährlich erlöst. In den Zeiten der Messe veranlaßte diese Ceremonie natürlich ein lustiges Leben und Treiben in dem Städtchen St. Goar. Die Besatzung der mit St. Goar durch Mauerwerk verbundenen Festung Rheinfels ließ sich, den Commandanten und die Officiere an der Spitze, „von den ältesten Zeiten her“ in den Hans-, Hals- oder Burschband-Orden aufnehmen. Der Orden selbst hatte Statuten, welche bei jedem Regierungswechsel von dem jeweiligen Landesherrn ausdrücklich bestätigt wurden. Kein Handelsmann durfte kraft dieser Statuten die beiden St. Goarer Messen mit Waaren beziehen, ehe er seine Aufnahme in den Hanse-Orden ordnungsmäßig bewirkt hatte.

Nach Tausenden zählten die Namen der Mitglieder in den Matrikelbüchern, und auch fürstliche Namen und jene hervorragenden Persönlichkeiten waren nicht selten. So fanden sich darin eingezeichnet: Kaiser Karl der Fünfte, Philipp der Großmüthige, Götz von Berlichingen, Franz von Sickingen etc. Viele der Namen waren beglaubigt durch das beigedrückte Petschaft des Unterzeichners. Die Landgrafen von Hessen-Rheinfels und Hessen-Cassel ließen ihre Aufnahme in den Orden in der Regel durch Bevollmächtigte bewerkstelligen. Kurfürst Friedrich der Vierte von der Pfalz ließ sich und seine Gemahlin auf einer Durchreise im Jahre 1595 in den Orden aufnehmen, bei welcher Gelegenheit er oben erwähnten Becher stiftete. Einen ähnlichen kostbaren Pocal stiftete Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels, Graf von Niederkatzenellnbogen, im Jahre 1683, bei Gelegenheit seiner Aufnahme in den Orden. Er ist noch heute im Besitze der Stadt St. Goar. Ein noch kostbarerer Becher, den man als ein Geschenk Karl’s des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_238.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)