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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zu befreien, wozu es vor Allem der Rücksprache mit dem Vater Teresina’s bedurfte.

Am nächsten Morgen bestieg Robert das zu diesem Zweck gemiethete Pferd, während Teresina auf einem bescheidenen Maulesel Platz nahm, begleitet von den Segenswünschen der älteren Schwester und Francesco’s.

„Reitet mit Gott!“ sagte der Räuber, „und wenn Euch in den Gebirgen ein Brigante begegnen sollte, so nennt ihm nur meinen Namen und zeigt ihm diese Münze, die Euch mehr nützen wird, als ein Paß des Gouverneurs.“

Mit diesen Worten überreichte er dem Maler eine alte, vielfach in Form eines Kreuzes durchlöcherte Kupfermünze, die dieser sorglos in die Tasche steckte, da er eine solche Gefahr nicht fürchtete, obgleich das Unwesen noch immer nicht verschwunden war und die verwegenen Gesellen bis an die Thore der Stadt schweiften.

Schweigend ritten die Reisenden durch die noch menschenleeren Straßen über die öde Campagna, die, in dichten Herbstnebel gehüllt, einem wogenden Meere glich. Nach und nach schwanden die wallenden Schleier und die aufgehende Sonne beleuchtete mit ihrem rosigen Schimmer das weite Gefilde mit seinen uralten Trümmern prachtvoller Villen, zerfallener Grabdenkmäler und riesiger Wasserleitungen, diesen erhabenen Zeugen einer untergegangenen großen Welt. Rings umher herrschte das Schweigen des Todes, nur ein Falke, der sich hoch in den blauen Lüften wiegte, ließ seinen grellen Schrei in der Oede hören, gleich dem Geiste eines jener beutelustigen Barbaren, die sich einst gierig auf das vor ihnen zitternde Rom niederstürzten.

War es sittliche Befangenheit oder das Gefühl jener Melancholie, welches unwillkürlich die Seele beim Anblick dieser erhabenen Trümmerstätte beschleicht, daß Keines von Beiden das fast beängstigende Stillschweigen unterbrach, so lange sie durch die traurige Campagna ritten, welche nur von Heerden breitstirniger, gluthäugiger Stiere und ihren bewaffneten Hirten bewohnt erschien?

Erst als sie den Fuß des Gebirges erreichten und die Straße immer höher stieg, athmete in der reinen Luft die gepreßte Brust wieder auf, löste sich der auf ihnen lastende Bann bei dem wunderbaren Schauspiel, das sich bei jedem weiteren Schritt vor ihnen aufthat. Zu ihrer Linken erhoben sich die Höhenzüge der Albanerberge in ihren classischen Linien, mit ihren zahllosen Städten, Dörfern und weißen Villen terrassenförmig emporsteigend, während zur Rechten das blaue Meer ihnen entgegenblitzte.

„Herrlich!“ rief Robert entzückt, indem seine Blicke wie blüthentrunkene Bienen von einer Schönheit zur anderen schweiften.

„Dort liegt Frascati,“ zeigte Teresina mit der Hand, „jene hellen Mauern, über denen der silberne Wasserfall schwebt, ist Grotta Fernata, dahinter Rocca di Papa und die Thürme von Castel Gandolfo. Ist das nicht schön?“ fragte sie mit jenem Stolze, den auch der geringste Italiener auf sein herrliches Heimathland besitzt.

„Wunderbar!“ versetzte der Maler. „Wir wollen hier ein wenig ruhen, da ich gern diese herrliche Aussicht zeichnen möchte.“

„Nicht hier,“ sagte das mit der Gegend wohlbekannte Mädchen, „wo Euch die Sonne blendet und Euren Augen schaden kann. Wenn wir hier noch zehn Minuten weiter reiten, so kommen wir in den kühlen Wald, wo Ihr ungestört im Schatten weilen könnt, so lange Ihr wollt. Wir kommen immer noch zeitig genug nach Sonnino.“

Unter ihrer Führung erreichte der Maler einen wie zum Ausruhen von der Natur geschaffenen Halteplatz, rings von dichten Ulmen und prächtigen Kastanienbäumen umgeben, durch deren Zweige das Azurblau des wolkenlosen Himmels schimmerte. Ein sanfter Windhauch wehte in den Blättern, wie wenn die Hand des Geliebten mit den Locken seines Mädchens spielt. Durch die grünen Zweige stahlen sich die goldenen Sonnenstrahlen und malten zitternde Schattenbilder, helle Kreise und Ringe auf dem weichen, thaugetränkten Moose des Waldes.

In der Nähe einer alten verfallenen Capelle, auf deren Altar ein bekränztes Bild der Madonna stand, fand Robert einen geeigneten Punkt für seine Arbeit. Vor ihm lag das Gebirge, gleichsam eingerahmt von zwei mächtigen, uralten Ulmen. Zu seinen Füßen gähnte eine düstere Schlucht, an ihren steilen, mit wilder Myrthe und Lorbeerbüschen bekleideten Wänden rieselten die silbernen Quellen mit melodischem Fall.

Nachdem die Thiere festgebunden waren, breitete der Maler seine Zeichenmappe aus und begann die Skizze der romantischen Gegend flüchtig aufzunehmen, während Teresina lieblich plaudernd an seiner Seite in dem Gefühle ihrer sicheren Unschuld saß.

„Diese Schlucht,“ sagte sie, „war noch vor einem Jahre der Schlupfwinkel des grausamen Gasparone und seiner Briganten.

Ich selbst bin schon einmal mit Maria-Grazia hier gewesen, als der arme Francesco noch ein Ausgestoßener war. Aber ich habe mich nicht hingewagt unter die verwegenen Männer. Nur die Schwester ist hinabgestiegen, während ich an der Capelle niederkniete und zu der gebenedeiten Madonna für die Unglücklichen betete.“

„Aber jetzt ist doch die Gegend sicher?“ meinte der Maler, in die unheimliche Tiefe blickend.

„Seit Gasparone gefangen, hat man von keinem Anfall mehr gehört? Die Briganti sitzen jetzt im Gefängniß und die Wenigen, die entkommen, haben sich über die Grenze geflüchtet, wo sie nur noch die Reisenden auf dem Wege nach Neapel beunruhigen.“

„Wir haben also nichts zu fürchten!“ scherzte Robert, ruhig weiter malend. „Im Nothfall besitzen wir ja den kupfernen Empfehlungsbrief von Freund Francesco an seine früheren Spießgesellen.“

„Ihr dürft nicht über solche Dinge spotten,“ sagte das junge Mädchen ernst. „Oft ist die Gefahr näher, als man glaubt, und ein Wort zur Unzeit kann uns Unglück bringen.“

„Du mußt nicht so abergläubisch fein. Was kann uns hier geschehen?“

„Horch!“ rief plötzlich Teresina, von ihrem Sitze aufspringend. „Was war das?“

Aus der Tiefe der dunklen Schlucht tönte ein verworrenes Geräusch, wie von Menschenstimmen. Ueber den Rand der jähen Felswand gebeugt, lauschte das junge Mädchen mit angehaltenem Athem, während der Maler gespannt an ihrer Seite stand.

Jetzt klang deutlich ein lauter Ruf nach Hülfe, woraus die frühere Todtenstille wieder eintrat.

„Ich habe mich nicht getäuscht,“ flüsterte Teresina leise. „O, ich kenne sie nur zu gut. Es sind die Briganten, die einen armen Reisenden überfallen haben.“

„Wir müssen ihm zu Hülfe eilen!“ rief der Maler muthig.

„Wo denkt Ihr hin? Es sind ihrer wenigstens drei oder vier, und Ihr habt keine Waffen. Sie werden Euch tödten oder in’s Gebirge schleppen.“

Ohne sich jedoch an ihre Warnung zu kehren, eilte Robert, von Menschenliebe beseelt, den steilen Fußpfad hinab, der, durch das dichte Gebüsch sich schlängelnd, in den Abgrund führte, gefolgt von Teresina, welche die Gefahr mit ihm theilen wollte. Der enge Weg mündete in eine gewölbte Grotte, in die ein schöner junger Mann in Jägertracht, mit gebundenen Händen, von drei Räubern gewaltsam hineingezerrt wurde.

Als die Briganten die nahenden Schritte der Herbeieilenden hörten, ließen sie ihre Beute los, indem sie ihre gespannten Flinten gegen die Brust des Malers richteten.

„Steht,“ rief der Anführer, „oder Ihr seid ein Kind des Todes!“

Ehe aber der Brigant seine Drohung zur Wahrheit machen konnte, war ihm Teresina in den aufgehobenen Arm gefallen, den sie mit dem Muthe der Verzweiflung festhielt. Verwundert über die unerwartete Erscheinung des ihm wohlbekannten Mädchens stieß der Anführer der Briganten einen wilden Fluch aus.

„Was willst Du, Teresina?“ rief er finster blickend, gleich einem Wolfe, der bei seiner Mahlzeit gestört wird.

„Hüte Dich, Cesari,“ versetzte sie trotzig, „diesem Manne nur ein Haar auf seinem Haupte zu krümmen! Er ist ein Freund Francesco’s und steht unter dem Schutze Eures Kreuz-Bundes. Du weißt, was die durchlöcherte Münze zu bedeuten hat?“

„Wenn er Francesco’s Freund ist und das Schutzgeld bei sich trägt, so mag er ruhig seine Straße ziehn. Wir wollen nichts von ihm und verlangen weder sein Gut noch Leben. Geht mit Gott, Signor, und mischt Euch künftig nicht in fremde Händel!“

„Das ist nicht genug,“ erwiderte Robert.

„Was könnt Ihr noch mehr von uns verlangen?“

„Ihr sollt auch den Gefangenen freigeben, der sich in Euren Händen befindet.“

„Nimmermehr,“ erwiderte der Räuber, „das ist ein vornehmer

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