Seite:Die Gartenlaube (1868) 262.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Gäste aufgenommenen Musiker zu bezahlten Creaturen herab. Sie wurden zur Belebung der Fröhlichkeit nicht mehr eingeladen, sondern gemiethet. Die Stadtpfeifer bildeten eine Zunft, die fahrenden Künstler dagegen sahen sich genöthigt, als Genössen der Seiltänzer, Possenreißer und Bänkelsänger öffentlichen Festen und Jahrmärkten nachzuziehen.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts findet man in Leipzig die ersten Spuren der Harfenmädchen, die aber damals ebenfalls zur Straßenmusik gehörten und von Haus zu Haus gingen. Später spielten und sangen sie größtentheils in Wirthschaften, wie auch jetzt noch. Noch vor vierzig Jahren trugen die Harfenistinnen ein bescheidenes Kattunkleid, wie es die eigene Hand geschaffen, und das dunkle Haar deckte ein einfaches Häubchen. Dabei lachte aber das freundliche Auge des Preßnitzer Schmidt-Resels oder Plodky-Vrenerls so schelmisch und herzerwärmend aus den hübschen gebräunten Gesichtchen heraus, daß es der jungen Männerwelt bei der letzten Strophe des Liedes „Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben“ in der Brust ganz warm wurde und Jeder das Geständniß der frischen Lippen auf sich bezog. Dies war jedoch ein großer Irrthum. Die Mädchen verhehlten nicht, daß fast Jede von ihnen daheim in Preßnitz einen Schatz hatte, dem sie Treue gelobt, und wenn sie auf ihren musikalischen Wanderungen etwas zusammengespart, sollte die Hochzeit sein. Und hatte man seine Spende auf das Notenblatt gelegt, dann war die Künstlerin zufrieden und dachte bald daran, die Harfe heimzutragen in das bescheidene Quartier, wo unter dem Schutze einer mitgebrachten Ehrenmutter wohl ein Dutzend Harfenistinnen gleich der Glucke mit ihren Küchlein zusammenwohnten.

Das Alles ist jetzt anders geworden. Die Harfenistinnen sind junge Damen, an deren ausgeschnittenem Seidenkleids nicht selten eine goldene Uhr prangt, deren Finger Diamantringe, deren Ohren, Arm und Hals goldene Bijouterien schmücken. Unter dem koketten Hütchen glänzt das herausfordernde Auge der sich fühlenden Künstlerin. Und auch eine Leibwache fehlt diesen Priesterinnen der heiteren Muse nicht. Gewöhnlich bildet dieselbe um das Orchester einen Kreis und besteht aus Herren der verschiedensten Jahrgänge, neben sich ein Glas Schlummerpunsch, im Munde die Cigarre, aus deren Dämpfen Spiel und Gesang der oft unsichtbaren Künstlerinnen wie aus einer olympischen Wolke ertönt. Ist aber der Radetzkimarsch mit seinen: „der Käser Franz Juseph und Käsrin Lisabeth“ oder die Frage des Preußen, ob man seine Farben kenne? aus Mund, Harfe, Geige und Guitarre heraus, dann ist auch die beringte Schwanenhand mit dem unverwüstlichen Notenblatte sicherlich so viele Male dagewesen, wie es in Deutschland noch Staaten zu annectiren giebt. Beim Nachhausegehen werden den alten Herren der bevorzugten Runde gewöhnlich die Instrumente anvertraut, während der jüngere Theil der Leibwache den Künstlerinnen den persönlichen Schutz octroyirt.

Die Musikcorps, welche früher während der Leipziger Messen die Straßenmusik besorgten, bestanden fast nur aus sächsischen Bergleuten, insgemein wohlgeschulten Männern, die daheim des Sonntags auf den Dörfern zum Tanze aufspielten und außer den wenigen Wochen, wo sie ihr Meßgeschäft machten, im finstern Schooße der Erde nach Metallen wühlten. Selten sieht man noch ein solches Bergmannscorps. Dagegen strömten, seit etwa einem Jahrzehnt, aus allen Gegenden der Windrose musikalische Rattenkönige nach Leipzig, deren ganzes Wissen sich oft nur auf die unbestreitbare Wahrheit gründete, daß für Blasinstrumente Luft und für Streichinstrumente ein Bogen erforderlich sei. Man kann sich denken, durch welche Kunstgenüsse diese musikalischen Wilden die Stadt in Aufruhr versetzten. Ihre Quartiere pflegten diese „in der Nachahmung von Naturtönen und Thierstimmen“ unübertrefflichen Künstler in einer nicht gerade von der haute volée Leipzigs bewohnten Straße unfern des bekanntlich mit allerhand Meß- und Schaubuden besetzten Roßplatzes aufzuschlagen, in welcher seit Menschengedenken für das weniger bemittelte Künstlerthum bescheidenen Ranges Massenquartiere eingerichtet waren. Ich habe vor Jahren Gelegenheit gehabt, einen Blick in ein solches Asyl der Meßkunstwelt zu thun. In dem geräumigen, aber niedrigen Zimmer der Kunsthütte stand ein Bett, welches ein Feuerfresser, der am kalten Fieber litt, ein blinder Leierkastenmann, der sich das Achselbein ausgefallen, und noch ein dritter Mann eingenommen hatten, dessen Nase in allen Farben spielte und sich nur mit einer ungeheueren, verdorbenen Samengurke vergleichen ließ. Auf einem Strohlager wälzten sich ein halbes Dutzend kleine, in Lumpen gehüllte menschliche Schmutzklumpen mit Kinderköpfchen, und neben ihnen, auf verschiedenen Holzbänken, saßen Männer, Frauen, Mädchen und halbwüchsige Buben, sich reinigend, Kleider und Strümpfe ausbessernd, lachend, singend, plaudernd, essend – Alles in fröhlicher Genossenschaft. Nicht weniger als zwölf Musikanten gehörten zur Gesellschaft, von welchen nicht einer eine Ahnung hatte, was eine Note sei. Auch der Raum unter dem Bette war besetzt. Dort hatte man – es war Morgens zehn Uhr – eine betrunkene Frau untergebracht, wahrscheinlich eine Bänkelsängerin, denn sie sprach in Versen von Mord und Todtschlag in einem unterirdischen Gewölbe.

Man wird mir gern eine weitere Schilderung dieses Massenquartiers erlassen. Ich verließ es, als die Musiker ihre „Probe“ begannen, ein Pfeifen, Heulen, Kreischen und Schnauben der Instrumente, als gälte es der Feier eines Hexensabbaths auf dem Blocksberge.

So kam es denn, daß man endlich während der Leipziger Messen sich vor Straßencapellen, Harfenistinnen, falschen und echten Tirolern, Natursängern und ähnlichen Jüngern der Tonkunst nicht mehr retten konnte und hinter jeder Hausthür ein Leierkasten lauerte, aus jedem Vorsaale eine Ziehharmonika jammerte. Da erhob sich plötzlich die Polizeigewalt und donnerte dem musikalischen wilden Heere ein lähmendes Halt! entgegen. Die Muse, welche so lange das weinende Haupt verhüllt, öffnete die verstopften Ohren und athmete freudig auf, mit Allem, was nicht taubstumm oder vom Meßdusel umfangen war. Traf auch das Donnerwort nur die Musikcorps, welche bisher die Straßen unsicher gemacht hatten, so wurden doch dadurch ganze Stämme der musikalischen Wilden ausgerottet, denn es galt nichts Geringeres, als eine öffentliche Probe vor musikalisch gebildeten Beamten abzulegen. Der stille Raum des kleinen Polizeihofes wurde zum Tempel der Erkenntniß erhoben. Dort entscheidet der ernste „Ruf von oben“, ob die Leistungen der Künstler ausreichen, eine von musikalischem Geiste und Meßfröhlichkeit so lebhaft durchdrungene Stadt wie Leipzig zu befriedigen, oder ob das ästhetische Gefühl der Richter die Examinanden zwingt, den Staub von den Stiefeln zu schütteln und ihre Instrumente in Zonen zu tragen, wo Jeder fiedeln und blasen kann, wie es ihm gefällig ist. Ernst und von der Wichtigkeit des Augenblicks durchdrungen sieht man die Künstler die geheiligte Stätte betreten, um zu erfahren, ob ihnen die Muse den blühenden Lorbeer um den Schädel winden, oder ein Polizeidiener den nächsten Weg nach dem Thore zeigen werde. Wie ferne Geisterstimmen vernimmt man in dem unnahbaren Raume den unreinen Ton der Posaune, das neckende Capriccio der Clarinette, das Grunzen der Baßgeige und die herzzerreißenden Schmeichellaute verstimmter Geigen. Wem aber der Stempel des Künstlers aufgedrückt wurde, der tritt mit stolzem Selbstgefühl hinaus in die belebten Straßen, welche der Schauplatz seines Ruhmes werden sollen, und empfindet im innersten Herzen die Bedeutung, in einer Stadt, wo ein Conservatorium der Musik, ein Alumneum der Thomasschule, ein Gewandhausconcert vorhanden ist, wo ein Hiller, Schicht, Mendelssohn und so viele andere Koryphäen im Reiche der Töne gelebt und gewirkt, die öffentliche Weihe der Kunst

empfangen zu haben.

O. M.     




Eines deutschen Mannes Bild.

3. Unter den badischen Liberalen. – Wieder in der Fremde. – Minister.

Als der Schulmeister von Grenchen, der am 3. Februar 1868 als erster Minister Badens starb, an jenem düstern Decembermorgen des Jahres 1840, dem Rufe der Freunde folgend, in die Heimath zurückkehrte, bedurfte diese seiner in der That. Winter, der liberale Minister, war gestorben, Nebenius, ebenfalls freisinnig, aber in bureaukratischer Form, zurückgetreten, v. Blittersdorff stand an der Spitze der Geschäfte, und dieser Name sagt Alles. Er bedeutete für Baden die Herrschaft der Schule Metternich’s, die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_262.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)