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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zwar zehn Silbergroschen als Entschädigung, beide Theile belästigten aber einander so lange mit Klagen und Anzeigen, bis sie wegen Querulirens in eine ganz gehörige Geldbuße genommen wurden, ein Mittel, das sie endlich beruhigte.

Leider gehören solche erheiternde Vorgänge zur Minderheit; der fröhliche Eindruck wird oft nur zu bald durch eine Menschensorte verwischt, welche fast das halbe Stadtgericht für sich allein in Anspruch nimmt. Ich meine die sogenannten Commissionäre, ein Wort, das man im Berliner Sinne meist so übersetzen muß: Leute, die zu einem festen Berufe unbrauchbar sind und nun ihren Lebensunterhalt durch Alles, am liebsten durch „Eintreiben“ gewinnen. Der Leser wolle mir gestatten, eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen näher zu beschreiben.

Ein armer Handwerker ist in Noth, mit zehn Thalern wäre ihm geholfen. Der Commissionär hört davon und erscheint sofort. Nachdem er sich überzeugt, daß die vorhandenen Hausgeräthe mehr als genügende Sicherheit gewähren, schafft er das Geld herbei. Das arme Opfer muß nun „Wechsel mit Unterlage“ geben, d. h. er unterschreibt einen Wechsel, zu dessen Sicherheit er außerdem noch seine bewegliche Habe verpfändet. Kann er nun am Verfalltage nicht zahlen, so heißt es: „Das schadet ja gar nichts; Sie sind ja ein sicherer Mann.“ Der Wechsel wird ein, zwei, drei Mal bereitwilligst prolongirt, bis seine Summe den Werth der verpfändeten Sachen erreicht hat. Jetzt aber wird bitterer Ernst aus der Sache, nun hilft kein Weinen, kein Flehen mehr. Dem armen Manne wird Hab und Gut genommen, zehn Thaler haben ihn völlig ruinirt, und das Alles von Rechts wegen! Das Gesetz gewährt durch Aufrechterhaltung der Schuldhaft die Mittel, einen armen Menschen zu hetzen wie ein Stück Wild, es giebt niederen Charakteren Gelegenheit, ihren Opfern nicht nur Hab und Gut, sondern auch die Freiheit zu nehmen. Jeder kann jetzt seinen Nachbar, den er haßt, unter Umständen fünf Jahre lang in Schuldknechtschaft halten, wenn es ihm gelingt, eine ausgeklagte oder wenigstens klagbare Forderung gegen ihn zu erwerben. Welcher Spielraum dadurch den niedrigsten Leidenschaften eröffnet wird, braucht nicht erst betont zu werden.

Nächst diesem Geschäftszweige cultiviren unsere Biedermänner, die Commissionäre, den Pferdehandel und die Vermittelung von Heirathen mit großer Vorliebe. Es ist für Berlin höchst charakteristisch und wenig schmeichelhaft, daß die Heirathen immer mehr und mehr als reine Geschäftssache behandelt werden. Ich habe eine ganze Anzahl von Fällen erlebt, in denen Commissionäre ihre Gebühren für Heirathsvermittelungen einklagten. Eine Klage war in Ausdrücken abgefaßt, die ich doch der Nachwelt erhalten möchte:

„Verklagter kam eines Tages zu mir und theilte mir mit, daß er eine Frau brauche mit wenigstens tausend Thaler Vermögen. Ich sagte ihm, daß ich derartige Personen mehrere vorräthig habe, worauf mich Verklagter mit der Vermittelung des Geschäftes beauftragte mit dem Versprechen, mir, wenn es zu Stande käme, eine Belohnung von fünfzig Thalern zu zahlen. Ich habe nun“ etc. (NB. ganz wörtlich.)

Verklagter, nunmehr glücklicher Ehemann, war aber keinesweges zu zahlen bereit, behauptete vielmehr, die Verabredung sei dahin gegangen, daß die zu beschaffende Frau körperlich gesund und ohne Fehler sein solle. Aerztliches Attest beweise nun, daß seine Frau der Zähne fast ganz entbehre, er sei also zur Zahlung nicht verpflichtet. Von solchem Uebereinkommen wollte der Commissionair schlechterdings nichts wissen, allein das war auch gleichgültig. Das ganze Geschäft wurde mit Recht als unsittlich angesehen und der Kläger abgewiesen.

Zum Schlusse noch einige allgemeine Betrachtungen. Bagatelle (vom französischen bagatelle, Kleinigkeit) ist bei uns im processualischen Sinne ein Streitobject bis zu fünfzig Thalern. Es liegt in der Sache selber, daß die Parteien meistens den arbeitenden Classen angehören, für welche fünfzig Thaler wahrlich keine Bagatelle sind. Wie oft hängt der letzte Blutstropfen eines Arbeiters an solcher Summe, die ihm vielleicht ein reicher Mann böswillig vorenthält! Der reiche Bankier dagegen, der einundfünfzig Thaler, die für ihn wirklich eine Bagatelle sind, einklagt, genießt gewisser Rechtsmittel, welche jenem versagt sind. Bagatellsachen werden nämlich von einem Richter abgeurtheilt, gegen dessen Erkenntniß nur der Recurs zulässig ist, ein Rechtsmittel, das seiner innern Natur nach sehr selten hilft. Die Sache des Bankiers dagegen wird von drei Richtern sehr gründlich bearbeitet, ihm stehen zwei Appellationen zu Gebote, die ungleich vortheilhafter sind, als der Recurs.

Das ganze Institut des Bagatellprocesses hat Preußen der französischen Gesetzgebung, der es überhaupt in neuerer Zeit vielfach gefolgt ist, entnommen. Daß es dem deutschen Volksgeiste entspricht, glaube ich nicht. Es ist ein Grundzug des deutschen Volkscharakters, dem Großen und Kleinen gleiche Sorgfalt zuzuwenden; weshalb geschieht das nicht auch hier?

Und wie steht die Sache weiter? Zehn Bagatellcommissionen, jede mit drei Richtern besetzt, erledigen jährlich neunzigtausend Processe, so daß ihrer dreitausend auf jeden Richter kommen. Nehmen wir an, daß jeder Streit nur einen Termin erfordere, und rechnen wir das Jahr selbst zu dreihundert Arbeitstagen, so ergiebt es sich, daß der Richter in den zwei täglichen Terminstunden zehn Termine abzuhalten hat. Weitere Betrachtungen sind überflüssig, wenn wir der noch zu Rechte bestehenden gesetzlichen Vorschrift erwähnen, daß der Richter, um recht gründlich verfahren zu können, täglich blos eine Sache bearbeiten soll. Ein anderes Gesetz, daß ein Bagatellproceß in der Regel nur sechs Wochen schweben soll, mußte bei dieser Unzahl von Terminen natürlich den Boden seiner Anwendung verlieren; ob zum Vortheil des Publicums, wird man beurtheilen können, wenn man erwägt, daß es hier eine ganze Kaste ehrenwerther Leute aus allen Ständen giebt, die kleine Summen grundsätzlich nicht eher zahlen, als bis ihnen der Executor von ferne droht.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 25. Ein Zwanziger.
Von Guido Hammer.


„Aha, einem Capitalhirsche gilt’s!“ werden die meisten meiner jägerlichen Leser beim Anblick obiger Ueberschrift denken. Aber fehlgeschossen! Kein Zwanzig-Ender ist darunter gemeint, sondern eins der letzten Glieder einer fast gänzlich ausgestorbenen – Race hätte ich beinah’ gesagt – Classe von Jagdbediensteten der alten sächsischen Jägerei. Sie führten ihren eigenthümlichen Namen ursprünglich von der bestimmten Anzahl, aus der das kleine, besondere Contingent gebildet war; dann aber auch von ihrer täglichen Auslösung bei Jagden, die einen „Zwanziger“ (zwanzig Kreuzer) betrug. Mit sonst keinerlei weiterem Sold bedacht, wohl aber mit gewissen ihnen ausschließlich zustehenden Servituten auf Dresdener Haide, in deren unmittelbarer Nähe sie in den daran grenzenden Walddörfern als Häusler oder Besitzer sonstiger kleiner Anwesen sammt und sonders wohnten, belehnt, bestanden ihre Dienstleistungen nur darin, bei eingestellten sogenannten Hofjagden „das Zeug zu stellen“.[1] Dadurch hatten sie in der noch guten alten Jägerzeit unter Kurfürst Friedrich August, nachmaligem Könige von Sachsen, eine ganz besondere Rolle gespielt.

Aus dieser Vergangenheit ragten denn nun eine Anzahl dieser erfahrenen Jagdkämpen noch herüber in unser mageres, nüchtern verschnittenes Waidwesen, bis einer nach dem andern von ihnen durch den Tod vom Etat verschwand, natürlich ohne durch Nachfolger ersetzt zu werden. So waren denn nach und nach nur noch wenige von dem kleinen Regimente übrig geblieben,[2] als ich einen von diesen Braven, den eben, von dem ich heute erzählen will, näher kennen lernte.

  1. „Zeug“ ist die allgemeine Benennung alles Jagdzeuges, als: Netze, Tücher, Lappen etc. Dasselbe „stellen“ aber heißt: nach besorgtem Aufladen und Transport des Jagdzeuges einen bestimmten Jagdbezirk, worin Wild steht, damit einhegen.
  2. Ein paar dieser alten Garde leben noch.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_267.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)