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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ehrfurchtsvoll saß nun der geputzte Zwanziger neben seinem höchsten Vorgesetzten, und fort ging’s über die Dorfschaften dem berühmten Jagdschlosse zu.

Auf diesem Wege grüßten in zutraulichster Weise die Landleute ihren heute stolz zu Wagen sitzenden alten Bekannten, den Haidefried, während der schlichte Oberlandjägermeister schon oft unerkannt und darum unbeachtet dieselbe Straße gefahren war. Um so erstaunter blickte dieser deshalb heute seinen ausstaffirten Zeugdiener an und sagte in seiner höchst gemüthlichen, derben und lustigen Art: „Ich glaube gar Kerl, man denkt Du in Deiner schönen Uniform bist der Oberlandjägermeister und ich sei Dein Bedienter, weil das Bauernvolk heute solche Complimente macht. Du hast ja aber auch,“ fuhr er fort „eine Menge Silber auf Deinem Hute, als wärst Du unser allergnädigster König selber.“ Und wohlwollend betrachtete er seinen getreuen, höchst verlegenen Untergebenen vom Kopf bis zum Fuß auf’s Neue.

Rasch ging’s nun dem Friedewald zu, der den Moritzburger Thiergarten umschließt. Am Schlosse wurden wir abgesetzt und gingen direct nach dem nahegelegenen Jagdzeughause, wo die bereits versammelten Stellleute und sonst dazu gehöriges Personal die Tücher, Lappen, Stangen, Forkeln, Schlägel, überhaupt alles dazu nöthige Geräth schon auf Wagen luden, um dann sofort mit ihren Ladungen nach dem sogenannten „Alten Thiergarten“, welcher Theil des Wildparkes eben eingestellt werden sollte, zu fahren. Unter solchen Zurüstungen war es bereits völlig finster geworden, die Wachtfeuer brannten deshalb schon längs der Stelllinie und die dahin geschafften Tücher wurden nun eiligst emporgerichtet, ehe noch die zur Fütterung gegangenen Sauen den Rückwechsel antreten und somit für das bevorstehende morgige Jagen verloren gewesen sein würden. Hierbei war unser unermüdlicher Haidefried so recht in seiner Sphäre. Mit Ueberblick und raschester Gewandtheit gingen die Arbeiten unter seiner thätigsten Mitwirkung von statten. Dabei war er, der Veteran, lustig und guter Dinge, wie einer der Jüngsten unter der Schaar. Durch Scherzen und Singen wußte er einen so belebenden Geist unter die wackern Arbeiter zu bringen, der sie über das Schwerste spielend hinwegkommen ließ, denn es war kein Spaß, bei beißender Kälte und brausendem Sturme, der sich mit dem Abende erhoben hatte und nun die Wipfel über uns ganz gewaltig schüttelte oder manchmal jäh in die bauschige Leinwand fuhr, das Zeug fest zu stellen. Auch mir ward hierbei eine Rolle zugetheilt: ich mußte mit dem Kienkorbe zur Arbeit leuchten, dazu Forkeln darreichen oder sie mit dem Schlägel festrammen, um die Windleinen daran zu befestigen. Alles dies that ich mit Liebe und nicht ohne Geschick, wodurch ich mir den Beifall meines würdigen Freundes erwarb, trotzdem daß meine Augen noch oft genug bei ganz anderen Dingen weilten, als bei der mir zugetheilten Arbeit.

Lag doch aber auch für mich ein ganz besonderer Reiz darin, dieser nächtigen Scene beiwohnen zu können, die in der That eine seltene prächtige Wirkung bot. Hoch loheten die an der ganzen Stelllinie, welche über Bruch und im Holze sich hinzog, unterhaltenen Feuer empor, hier tiefschwarzes, dahinjagendes Gewölk, dort die geschlossenen ächzenden Kronen alter Föhren und Fichten über sich, während die Fackeln der hülfeleistenden Arbeiter wie nächtige Irrlichter hin und her schwankten und mit ihrem rothen, flackernden Schein gespenstig die hellen Tücher beleuchteten, vor denen die lebendigen Gruppen rastlos arbeitender Gestalten hin und her huschten. Dazu die grell beschienenen Pferde und Zugochsen, die, vor die Zeugwagen gespannt, schnaubend dem Trosse folgten, während der eisige heulende Novembersturm das Rufen und Lärmen der Geschäftigen übertobte. Alles dies zusammengenommen gab dem lebensvollen Nachtbilde eine so wunderbar eigene Stimmung, daß ich davon hochentzückt ward, worüber mein Haidefried die herzlichste Freude empfand.


Endlich stand das Zeug. Bestimmte Leute erhielten nun gemessenen Befehl, dabei die Nacht über, in festgesetzten Zeiträumen sich ablösend, zu wachen. Deshalb wurden auf’s Neue mächtige Scheite, ja ganze Stämme, namentlich birkene, in das Hauptwachtfeuer geworfen, daß die sprühenden Funken prasselnd der gewaltigen, vom Sturm dahin gewirbelten Rauchsäule folgten. Noch ein gemeinsamer Trunk in der Runde, dann trennte man sich, ein Jeder, der nicht zur Nachtwache gehörte, seiner nahen oder fernen Stätte zueilend. Auch Freund Zwanziger und ich machten uns auf den Weg und schritten bald vereinsamt durch den finstern Wald einer nicht allzufernen Thorwärterwohnung zu, wo wir zu übernachten gedachten. Noch immer stürmte es hohl durch den nachtschwarzen Forst. Manchen schweren Ast hörten wir knackend und prasselnd durch das Gezweig stürzen, der dann unsern lichtlosen Pfad kreuzte, doch unversehrt erreichten wir das gesuchte bescheidene Asyl. Tiefe Stille trat noch in selbiger Nacht ein und die schweren Wolken hatten sich dafür in weiße Flocken aufgelöst, – eine frische „Neue“ deckte am andern Morgen den Boden; ein Umstand, der das jägerliche Herz hoch erfreute, da dies ja ganz besonders für die zu erwartende „Nachsuche“[1] nach abgehaltener Jagd von nicht genug zu schätzendem Vortheil war.

Manche Saue ward an diesem Tage geschossen, wobei heute ausnahmsweise auch Freund Zwanziger, der geprüfte Jäger, als Büchsenspanner bei einem der hohen Jagdgäste, einem englischen Pair, amtirte. Mir war dies insofern höchst angenehm, als ich dadurch Gelegenheit fand, mit meinem freilich höchst subalternen Gönner, als wie zu seiner Beihülfe geltend, in den Schirm hinter den hochgebornen Schützen treten und so dem Gange der Jagd in unmittelbarer Nähe folgen zu können. Dieselbe begann nun und wurde den ganzen Tag über mit bestem Erfolge fortgesetzt; denn gegen Abend lag eine ganz bedeutende Anzahl der capitalsten Sauen, durch das sichere Blei der Schützen erlegt, auf der Strecke.[2] Nur der biedere Lord, hinter welchem zu stehen ich die Ehre genoß, hatte den ganzen Tag über zwar viel, sehr viel geschossen – ein seltener Anlauf zeichnete seinen jedesmaligen Stand aus –, aber leider war durch seine Hand noch kein einziges Opfer gefallen. Da kam endlich das letzte Jagen heran. Gedrängt von den schreienden Treibeleuten ging ein starkes Rudel Sauen direct auf unsern Stand los und machte dann plötzlich auf Schußweite im lichten Stangenholze Halt. „Päng, päng!“ knallte die Doppelbüchse des Engländers sofort unter das stehende Rudel – doch wieder – ohne Erfolg. Ein zweites ihm sofort dargereichtes Gewehr entsendete den nun unaufhaltsam durchbrechenden Sauen noch seine Geschosse nach, wobei ein dritter, fast à tempo fallender Schuß aus der eigentlich für seinen Herrn schon wieder bereit gehaltenen Büchse Haidefried’s einen der stärksten Keiler niederstreckte. Der alte ergraute Waidmann hatte es nicht mehr mit ansehen können, daß sein unglücklicher Brite – der übrigens ein vortrefflicher Flugschütze gewesen sein soll – um mit Haidefried zu sprechen, „so gar nichts todt brachte“.

Jetzt wurde Halali geblasen. Die Treiber kamen heran und machten vor der Schützenlinie „Gang“. Das erlegte Wild, zweiunddreißig starke Sauen, einige Frischlinge und ein paar Damthiere waren inzwischen bereits auf die Schloßrampe zur Strecke gefahren worden, wo sie dann der Monarch und sein hohes Gefolge bei Fackelschein – der Abend war bereits eingebrochen – in Augenschein nahmen, um dann zur Tafel zu gehen. So fand diese Jagd ihren Abschluß.

Noch manches Jahr nachher habe ich mit meinem alten freundlichen Grünrock in herzlichstem, öfterem Verkehr gestanden, bis mich eine längere Abwesenheit von der Heimath von ihm trennte – für immer, weil ich ihn bei meiner Rückkehr nicht mehr unter den Lebenden fand. Einem einst gehabten Traum folgend, nach welchem er in einer Andreasnacht einmal einen weißen Raben schießen sollte, dessen Herz dann, bei sich getragen, ihn nicht nur vor allem Leid und Ungemach schützen, sondern ihm auch die Macht verleihen würde, jedwede Krankheit heilen zu können, war der alte Mann, wie schon manches Jahr zuvor und wie auch Jedermann wußte, hinausgewandert in den sturmdurchheulten, winterlichen Wald, hoffend, dort endlich doch noch sein geträumtes Vogelherz zu erobern. Er war nicht wieder heimgekehrt. Des anderen Tages hatten ihn Holzmacher weit hinten in der Haide, auf pfadloser Schneeeinöde todt aufgefunden. Sein sonst so warmes Herz war erstarrt, im Suchen nach einem eingebildeten, glückverheißenden Herzen, das jenem alles Weh für alle Zeit verbannen sollte. Und war so nicht dennoch sein Traum in Erfüllung gegangen? – Der Winter – ein weißer Rabe – hatte

  1. Auf der sogenannten Nachsuche wird das auf Jagden angeschossene, noch lebende oder auch schon verendete Wild aufgesucht.
  2. Strecke heißt: das geschossene Wild vor dem Jagdschirm oder sonst wo in eine Reihe legen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_270.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)