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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

wie auf ihr Thema zurücklenkend setzte sie sinnend hinzu: „So etwa denke ich mir, Ihre Anna Lee, ich meine zur Zeit ihrer Spiele mit Enoch und Philipp, da wo sie, um den Zwist Beider zu schlichten, ihnen verspricht: sie wolle ja gern Beider kleines Weib sein.“

„Auch könnte ein Maler das Mädchen füglich als Modell dazu benutzen, Majestät,“ gab Tennyson zur Antwort.

Er war stehen geblieben, um die Königin an einer Regenlache vorüber zu lassen, und die hohe Frau, bei dem kleinen Wellengekräusel auf der Lache sich eines schönen Gleichnisses in Tennyson’s Königsidyllen erinnernd, citirte die betreffende Stelle Wort für Wort.

„Aber heißt das nicht Enoch?“ fragte die Königin, im Vorübergehen die Inschrift eines der grün bemoosten Leichensteine, welche rechts und links vom Wege lagen und standen, mit ihrem Blicke streifend und dann ihre Frage selber bejahend: „Freilich heißt es Enoch! Es ist doch eigen, wie uns plötzlich etwas bedeutend scheint, was wir vorher mit völliger Gleichgültigkeit betrachteten; so dieser Name z. B., den ich, wie oft! auf meinen Streifereien zwischen anderen Namen aus dem alten Testament von den Grabsteinen ablas, ohne mir je etwas dabei zu denken.“

Und dann weiter suchend, setzte sie hinzu: „Schade, daß Ihr Philipp hier nicht auch noch einen Namensvetter hat; die Sage würde sich desto eher zu Gunsten dieses Kirchhofes geschäftig erweisen und die Scene Ihres Gedichts, wer weiß, in den Schatten dieser Nußbäume verlegen! Aber was haben Sie mir auf alle meine Bedenken zu antworten, Mr. Tennyson?“

„Sehr wenig, Majestät.“

„Und zwar?“

„Daß es mir leid sein würde, Majestät, wenn jenes kleine Mädchen dort mit dem Makel unehelicher Abkunft behaftet wäre.“

„Welches kleine Mädchen?“

„Das eben dort hinter der Hollunderecke verschwindende, Majestät; ich meine die kleine blonde Reisigträgerin.“

„Und was hat jenes Mädchen mit Ihrem Gedichte zu thun?“

„So viel wie irgend möglich, denn wenn es nach dem Wunsche des Bischofs von N. gegangen wäre, so gälte die kleine Anna dort oben für ein in ungültiger Ehe erzeugtes Kind.“

Die Königin war stehen geblieben.

„Sie wollen doch nicht sagen, Mr. Tennyson,“ versetzte sie, „daß hier auf unserer kleinen Insel eine Geschichte wie Ihr Enoch Arden wirklich passirt sei?“

Und da Tennyson einen Augenblick schwieg, fuhr sie fort: „O, ich weiß, Sie geben ungern auf dergleichen Fragen Bescheid. Aber wirklich: Enoch Arden hätte hier gelebt? Läge wohl gar unter jenem Stein dort begraben?“

„Majestät,“ sagte Tennyson, „es giebt in den engsten und dürftigsten Verhältnissen gar manchen Zug des Heroismus, um welchen die Geschichtschreiber den stillen Beobachter des Volks beneiden könnten. Wohl dem, der für solche Züge ein einfältig kritikloses Verständniß hat; wohl dem, der sie im Liede wiedererzählen darf, ohne allzu viel an ihrer schlichten Ursprünglichkeit zu verderben; wohl dem vor Allen, dem das Lied sie nachrühmen kann! Sein Andenken streut himmlischen Samen aus.“

Die Königin war über den Rasen zu dem Grabsteine hinübergegangen und legte die Hand auf die bemooste Kante desselben. Sie stand eine lange Zeit schweigend da, den Blick auf die Stelle gerichtet, wo der Verschollene seinen Frieden gefunden hatte. Endlich sagte sie, indem sie sich wieder aufrichtete und zum Heimgang anschickte: „Gott lohne ihn! Er hat doch recht gehandelt.“

E. D.




Blätter und Blüthen.


Der Schimmel des Königs. Der in Nr. 50 Ihres geschätzten Blattes, Jahrgang 1867, mitgetheilte Artikel: „Aus einem Fürstenschlosse“, giebt dem Unterzeichneten Veranlassung, zu beliebigem Gebrauch Ihnen von einer edelmüthigen That eines Fürsten zu erzählen, der neben den Schwächen, die er mit seinem Stamme theilte und die seinen Sohn schließlich aus dem Lande trieben, auch manche Züge der größten Menschenfreundlichkeit zeigte, welche es wohl verdienen, in weiteren Kreisen bekannt zu werden.

In dem kleinen hannover’schen Städtchen S. lebte zu Anfang der vierziger Jahre ein junger Arzt B., welcher durch übergroße Anstrengung bei Ausübung seines Berufes sich einen schweren Typhus zugezogen hatte. Da er vollständig ohne eigenes Vermögen und nur auf den Ertrag seiner Praxis angewiesen war, so stellte sich in seiner aus Frau und drei kleinen Kindern bestehenden Familie bald Noth und Mangel ein. Als nach glücklich überstandener Krankheit der Zustand des Kranken aber starke Bouillon, Wein etc. erheischte, konnte die arme Frau solche nur beschaffen, indem sie ein Stück aus dem Haushalte nach dem andern verpfändete.

Da will es der Zufall, daß ein früherer Universitätsfreund des Arztes, S., dessen Weg ihn hier durchführt, seinen Freund besucht. Obwohl die Frau den Zustand ihres Haushalts nach Kräften zu verbergen sucht, so durchschaut S. doch bald die Sachlage, und B. ist offen genug, ihm mitzutheilen, daß er keine Hülfe für sich sehe, da er auch nach vollständiger Genesung seine Praxis auf den umliegenden Ortschaften nur wieder aufnehmen könne, wenn er ein Pferd besitze, ein solches aber nicht anschaffen könne. S. theilt, nach Hannover zurückgekehrt, seinem Vater, der Kammerdiener des Königs Ernst August ist, die Lage seines Freundes mit und bittet ihn, den königlichen Herrn auf letzteren aufmerksam zu machen. Das geschieht. Ernst August läßt darauf durch den jungen S. in aller Stille die Pfandscheine, welche die Frau B. ihm einhändigen muß, einlösen und seinen Oberstallmeister zu sich kommen.

„Welches ist das sanfteste Pferd in meinem Marstalle?“ redet er ihn an.

„Das ist der Schimmel, den Ew. Majestät immer reiten,“ lautet die Antwort.

„Soll gesattelt werden, will’s fortschicken!“

„Aber, Majestät,“ wendet der Stallmeister ein, „das können Ew. Maj. gar nicht entbehren, da Sie dasselbe schon seit längeren Jahren reiten und nur an dieses Pferd gewöhnt sind.“

„Ganz einerlei,“ erwidert der König, „haben wollen, keinen Widerspruch leiden.“

Zwei Tage darauf wird Morgens frühzeitig an der Thür des Arztes in S. geklopft. Die Frau sieht hinaus, erblickt aber Niemand. Dagegen ist an den Thorweg ein Schimmel festgebunden. In den Satteltaschen findet sich weiter nichts, als die quittirten Pfandscheine und zwei Scheine des Kornhändlers N. und des Weinhändlers O. zu S. Der erste lautete: „Gegen Vorzeigung dieses Papiers liefere ich dem Inhaber einen Wispel Hafer,“ und der Weinhändler verspricht dem Ueberbringer vierundzwanzig Flaschen Chateau Lafitte. Beide haben jedoch nie erfahren, wer die genannten Gegenstände bei ihnen kaufte und bezahlte, und erst nach dem Tode des Königs Ernst August hat die Frau ihrem Manne den Namen seines königlichen Wohlthäters nennen dürfen.

H.




Goldelse in England und Rußland. Zugleich mit der dritten Auflage von E. MarlittGoldelse“, einer sogenannten Volksausgabe, ist eine englische Uebertragung des Buches erschienen – aus der Feder von W. C. Wrankmore – und wird, wie wir vernehmen, eine Uebersetzung in die russische Sprache vorbereitet – Beweis genug, daß man auch außerhalb Deutschlands die Bedeutung der trefflichen Erzählung zu würdigen weiß.




Kleiner Briefkasten.

B. B. in Dorpat. Verfügen Sie anders über Ihre Erfindung. Poste-restante-Pakete sind unzulässig. Für uns selbst unbrauchbar.

Schfd. in Egbg. Wenn Ihre Aufstellungen ebenso richtig sind, wie Ihre Vermuthungen, so ist es mit Ihrer Sache schlecht bestellt. Karl Schurz ist nicht Verfasser des Artikels über den Präsidenten, doch ist der Name unseres in Washington lebenden Correspondenten nicht weniger ehrenvoll bekannt, als der des Befreiers Kinkel’s. Wir bewundern übrigens Ihre weitgreifenden Studien in der Schimpfographie.




Für die Hinterlassenen der verschütteten Lugauer.


Es sandten ferner ein: Die Redaction des Goslarer Allgem. Anzeiger 48 Thlr. 19 Sgr.; einige Seminaristen in Breslau 3 Thlr. 13 Sgr.; Sänger und Musiker in Rothenburg (durch A. Hörbar) 16 Thlr.; Schroth in Uniona (Minnesota) 9 Thlr.; Sammlung des Wetterauer Boten 2 Thlr. 27 Ngr.; von Calw, Rest einer größern Sammlung 3 Thlr. 18½ Sgr.; aus Hammelburg 1 Thlr.; Sammlung in Guntersblum 13 Thlr. 8 Sgr.; Club Alphea in Hamburg 2 Thlr.; aus Lage 5 Thlr. 15 Sgr.; Sammlung des Pfarrers Lackner in Belgrad 2 Ducaten; H; W. in Gotha 15 Thlr.; Riecker in Pforzheim 1 Thlr. 28 Sgr.; S. K. in Augsburg 5 Thlr.; Turnverein in Suhl 2 Thlr. 11 Sgr. 2 Pf.; „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt“ 2 Thlr. 15 Sgr.; eine Barmerin 1 Thlr.; S. in Wolfenbüttel 1 Thlr.; Redaction des Ammerländers in Westerstade 1 Thlr. 15 Sgr.; Gymnasiallehrer Rob. Hähnel in Nicolajeff 3 Thlr.; Sammlung durch Stadtschultheiß Schatz in Tuttlingen 10 Thlr. 17 Sgr.; Expedition des Ortenauer Tageblattes, zugleich Lahrer Wochenblattes 16 Thlr. 10 Sgr.; B. H. G. 5 Thlr.; Sammlung der Hessischen Morgenzeitung, zweite Sammlung 28 Thlr.; H. in Wien 1 Thlr.; Lützener Bürgervereins-Mitglied 9 Sgr.; eine Wittwe in Speyer, deren Sohn in weiter Ferne 10 fl.; Gesellschaft Aula in Homburg v. d. H. 1 fl.; heitere Gesellschaft im Adler in U. 1 fl.; aus Temeswar 5 fl. öster.

Der Gesammtertrag der Sammlung für Lugau beziffert sich auf 1834 Thlr. 14 Sgr., von denen wir dem Comité in Chemnitz 1634 Thlr. 14 Sgr. und laut einer frühern Mittheilung dem Hülfs-Comité für die Zeche Neu-Iserlohn 200 Thlr. übersandten.

Die Redaction.




Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_272.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)