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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

erklärte sich von freien Stücken sogleich bereit, mit Aurel an dem Bette des Kranken die Nacht über zu wachen, was jener nur mit Dank annahm.

Gleich der zärtlichsten Schwester erfrischte sie die fieberheißen Lippen des Bewußtlosen mit kühlem Wasser und netzte die brennenden Schläfen mit duftendem Essig, während sie jede seiner Bewegungen mit liebevoller Sorgfalt beobachtete, seine unverständlichen Wünsche zu errathen suchte.

Mit steigender Bewunderung beobachtete Aurel die sanfte Geduld, die rührende Opferfreudigkeit, das echt weibliche Mitgefühl des stillen, blassen Kindes, das ihm wie ein vom Himmel in der höchsten Noth gesandter Engel erschien. Fast unerklärlich und räthselhaft mußte ihm der schmerzliche Antheil vorkommen, den das seltsame Mädchen an dem kranken Robert nahm, da Aurel zu bemerken glaubte, daß zuweilen, wenn sie sich unbemerkt wähnte, Thränen ihre bleichen Wangen netzten, so daß er geneigt war, ihren Schmerz wie ihre Sympathie dem vor Kurzem erst erlittenen Verlust eines geliebten Todten zuzuschreiben.

Während Aurel, von unwillkürlichem Interesse gefesselt, diese Betrachtungen anstellte, saß sie selbst stillschweigend an dem Lager des Kranken und lauschte seinen wilden unheimlichen Fieberphantasien. In seiner bewußtlosen Verwirrung verrieth der abwesende Geist das tief verborgene Geheimniß des Herzens. Die brennenden Lippen murmelten und flüsterten den theuren Namen der Geliebten.

„Charlotte!“ rief er wiederholt im sinnbestrickenden Delirium, die abgezehrten Arme ausbreitend und nach dem wesenlosen Schatten mit zitternden Händen haschend.

Bei dem Klange dieses Namens zuckte das junge Mädchen zusammen, als ob es ein plötzlicher Schlag berührt hätte, und seine blassen Wangen wurden noch bleicher.

„Warum fliehst Du mich?“ stöhnte der Kranke mit geschlossenen Augen. „Ich verlange ja nichts weiter, als Dich zu sehn, zu hören. Zu Deinen Füßen will ich sitzen wie ein Kind, ohne Wunsch und Verlangen. Laß mich nur den Saum Deines Gewandes küssen. Nein, nein! Ich bin nicht würdig solchen Glückes. Zürne mir nicht, Corinna!“

Mit dieser Aufregung wechselte eine noch peinvollere Stille, wenn er schwieg, nur unterbrochen von den heftigen Athemzügen der gequälten Brust.

„Mein armer Bruder!“ klagte Aurel.

„Die heilige Madonna wird ihn beschützen,“ versetzte das Mädchen, mit gefalteten Händen zu dem Bilde der hülfreichen Gottesmutter betend, das über dem Bette des Leidenden hing, beleuchtet von dem schwachen Schimmer der darunter brennenden Lampe.

„Was willst Du, Teresina?“ flüsterte der Kranke von Neuem. „Armes Kind! Ich kenne Deine Schmerzen, die Qualen der unglücklichen Liebe. Wir müssen Beide elend sein. Wir können nicht vergessen und daran sterben wir.“

Ueberwältigt von ihrem Schmerz, schlich jetzt die treue Pflegerin leise aus dem niedrigen Zimmer, unter dem Vorwande, frisches Wasser zu holen. Als sie wiederkehrte, fand sie den Kranken ruhiger; eine wohlthätige Krisis, die bei solchen Fieberanfällen nicht selten plötzlich einzutreten pflegt, schien auch hier einen günstigen Ausgang erwarten zu lassen. Gegen Morgen war der Kranke in einen sanften Schlaf verfallen, der nach dem Ausspruche des erfahrenen Wirthes die Abnahme des verderblichen und öfters tödtlichen Fiebers verkündigte.

Zu der That erwachte Robert nach einem mehrstündigen, erquickenden Schlummer mit vollem Bewußtsein, wenn er sich auch noch so schwach und angegriffen fühlte, daß er sein Lager nicht verlassen konnte. Als er die Augen aufschlug, erkannte er seinen Bruder, dem er mit mattem, freundlichem Lächeln die Hand reichte. Zugleich fielen seine Blicke auf die Gestalt des jungen Mädchens, das, ohne seinen Dank abzuwarten, schnell durch die geöffnete Thüre sich entfernen wollte.

„Teresina!“ rief er mit lauter Stimme, so daß Aurel die Rückkehr der kaum geschwundenen Phantasien befürchtete.

Wie gebannt blieb sie stehen, das bleiche Gesicht mit den dunklen Augen nach dem Kranken unwillkürlich wendend.

„Nein, nein!“ sagte er beschwichtigend. „Ich träume nicht mehr, ich täusche mich nicht. Du bist es. Ich habe Dich wieder erkannt.“

„O! was thut Ihr, was wollt Ihr von mir?“ murmelte sie, sich wider Willen nähernd, als würde sie von einer geheimen magnetischen Gewalt angezogen.

„Welcher Zufall hat Dich hergeführt?“ fragte er verwundert.

„Ich glaubte, Du wärst nach Sonnino zurückgekehrt und längst die Gattin Caputi’s geworden.“

„Um seinen neuen Bewerbungen zu entfliehen, habe ich meinen Vater bewogen, die Heimath zu verlassen und zu meinem älteren Bruder zu ziehen, der sich schon vor einigen Jahren in den pontinischen Sümpfen angesiedelt und verheirathet hat. Während er und seine Frau draußen mit den Knechten die Ernte besorgen, hüten wir das Haus.“

„So habe ich Dir und Deinem Vater die Rettung meines Lebens zu verdanken?“

„Wir thun nur unsere Christenpflicht,“ erwiderte Teresina. „Der Himmel hat Eure Schritte wunderbar zu uns gelenkt, zu Euren alten Freunden.“

„Du hast Recht. Auch ich glaube an ein Wunder der waltenden Vorsehung,“ versetzte Robert, in Gedanken versinkend.

Trotzdem die Gewalt des Fiebers gebrochen war, fühlte sich der Kranke noch zu erschöpft, um seine Reise sogleich fortzusetzen, wogegen sich auch der besorgte Bruder entschieden erklärte. Er selbst war um so mehr mit diesem Entschluß einverstanden, da die Gegenwart Teresina’s ihn eher beruhigte, als aufregte, obgleich ihr Anblick ihn unwillkürlich an seine früheren Leiden erinnerte.

In dem ganzen Wesen des jungen Mädchens lag für ihn etwas Besänftigendes, eine wohlthuende Milde und sanfte Resignation, die ihn zugleich befremdeten und anzogen. Sie schien ihm wie verwandelt, ernster, tiefer und reifer geworden, so daß er nicht mehr jene geistige Beschränktheit an ihr zu tadeln fand. Der Ausdruck des schönen Gesichts kam ihm gleichsam veredelt und verklärt vor, auch in ihren Reden und Bewegungen glaubte er eine gewisse Feinheit und Gemessenheit zu entdecken, die er sonst an ihr vermißt hatte. Dazu kam noch, daß Aurel nicht müde wurde, die liebevolle Sorgfalt, die treue Pflege und innige Theilnahme Teresina’s in ihrer Abwesenheit ihm anzupreisen.

Deshalb war Robert um so mehr geneigt, noch einige Tage in ihrer Nähe zu verweilen, um sich erst vollständig von seiner Krankheit zu erholen. Gern nahm er die Gastfreundschaft des würdigen Vaters und Teresina’s an, die in ihn drangen, dem nahen Erntefest beizuwohnen, welches nächstens stattfinden sollte.

An einem heiteren klaren Abend, der mit seinem goldenen Licht selbst die öde Gegend zauberhaft verschönte, ging der genesene Maler in Begleitung Teresina’s und Aurel’s den heimkehrenden Schnittern entgegen. Bald erblickte er den reichbeladenen Erntewagen, gezogen von den prächtigen Stieren. Jetzt hielt das Gespann auf Befehl des Herrn, der Teresina’s Bruder war. Einer der Knechte sprang herab und hemmte mit kräftigem Ruck, gegen das Joch gestemmt, den Schritt der widerstrebenden Thiere, während ein Zweiter, bereit ihm beizustehen, in seinen Händen den eisernen Stachel gebieterisch wie ein König seinen Scepter schwang. Zur Seite schritten zwei gebräunte Mägde, in rhythmischer Bewegung zu den Tönen des Pisseraro tanzend, der die lustige Schalmei der Hirten ertönen ließ. Gleich einer Fürstin in ihrem goldenen Stuhl thronte die Frau des Hauses auf erhöhtem Sitz mit mütterlichem Stolz auf den Säugling an ihrer Brust niederblickend. Schnitter mit Sicheln bewaffnet und Arbeiterinnen mit goldenen Aehrengarben beladen schritten zu beiden Seiten des Wagens, gleich Priestern der fruchtbaren Erde. Die ganze Scene, vom Abendschimmer verklärt, athmete den wunderbaren Frieden der Natur, eine unaussprechlich sanfte Heiterkeit, indem sie zugleich an die patriarchalischen Zustände der Bibel, wie an das goldene Zeitalter der Menschheit erinnerte.

„Wer doch wie diese glücklichen Menschen leben könnte!“ flüsterte Robert seinem Bruder zu. „Eine angemessene Thätigkeit, ein holdes Weib, ein lächelndes Kind erscheinen mir als der Inbegriff aller erlaubten Wünsche. Was darüber geht, ist Thorheit und Verblendung, die sich früher oder später an uns rächt.“

Nach dem Abendbrod, wobei der Herr mit seinen Knechten an derselben langen Tafel saß und an dem auch Robert und sein Bruder sich betheiligten, erschallten von Neuem die Klänge des Pisseraro, zwei ländliche Tänze aufspielend. Der Hausherr mit seiner schönen Frau eröffnete den Reigen, dem sich die Schnitter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_275.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)