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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

unter den sächsischen Unternehmungen dieser Art einen obersten Ehrenplatz behauptet. Unmittelbar an der Zwickau-Schwarzenberger Bahn und von der Zwickauer Mulde bespült, breitet in Kainsdorser Flur das Areal sich aus, über welchem seit nun sechsundzwanzig Jahren die rauchenden Thürme als Tempelschmuck dieser Werkstätte des Vulcan sich erheben.

Vor wenigen Wochen führte ein heiterer Tag mich in das essenstrotzende Thal von Zwickau und von da zur Marienhütte. Von alter treuer Freundeshand bewillkommnet, trat ich unter sachverständiger Führung durch das Hüttenwerk eine Wanderung an, von welcher ich den Lesern wenigstens das zur Erklärung unserer trefflichen Illustration Nöthigste im Allgemeinen mittheile, um den diesem Artikel vergönnten Raum hauptsächlich einer Glanzpartie des Werkes zu widmen.

Mit seinem ersten Roheisenabstich wurde das Werk am 30. Juni 1842 eingeweiht. Das Etablissement begann in bescheidenem Umfange, erweiterte sich aber rasch, namentlich seitdem es in den Alleinbesitz der Familie von Arnim übergegangen war, und gegenwärtig sehen wir auf dem gegen eintausend Quadratruthen fassenden und von einer hohen Mauer rings umschlossenen Hüttenplatze: drei Hohöfen mit dazu gehörigen Erzplätzen, eine Kokerei mit mechanischer Kohlenwäsche, eine Gießerei mit Schlosserei, Tischlerei und Emailhütte, eine Bessemerstachlfabrik, ein Schienenwalzwerk mit Appretur, ein Feineisenwalzwerk, eine Maschinenbauwerkstatt und ein chemisches Laboratorium; ferner eine Ziegelei, welche, um dies gleich hier zu erwähnen, jährlich etwa vierthalb Millionen Pfund Thon zu feuerfesten Ziegeln für Hüttenwerksbauten verarbeitet, und endlich eine Gasanstalt, zugleich für das nahe Steinkohlenbauern-Palastdorf Bockwa. – Die Zahl der Beamten, Vorarbeiter und Arbeiter übersteigt anderthalbtausend; die Knappschaftscasse derselben besaß am Schlusse von 1867 ein Vermögen von vierundsechszigtausend Thalern. Die zum Betriebe des ganzen Werkes thätigen einundvierzig Dampfmaschinen mit ihren einundfünfzig Dampfkesseln entwickeln eine Leistung von nahezu einhundert Pferdekraft. Auf dem Hüttenhofe liegen über eintausend Fuß Schienengeleise zum Betrieb für Eisenbahnwaggons und es gehören dazu dreiundzwanzig Weichen; außerdem liegen mehrere tausend Fuß Schienengeleise als Nebenbahnen für den Transport von Coak, Roheisen etc.

Unser erster Gang führte uns zu dem äußerlich imponirendsten Bau, den beiden Hohöfen, die, je 16,5 Meter (etwa sechsundfünfzig Fuß) hoch emporragen, und von welchen der eine jährlich fünfzehn Millionen Pfund weißes Roheisen zum Verpuddeln, der andere zehn Millionen Pfund graues Eisen zur Bessemerstahlfabrication erzeugt. Beide sind mit Apparaten zum Abfangen der Gase versehen und oben durch eine eiserne Brücke verbunden. Zu dieser stiegen wir auf der schiefen Ebene hinauf, auf welcher mittels Wasser täglich sechs- bis achthundert eiserne Wagen aufgezogen werden, in denen Coak und Eisensteine zur Füllung der Oefen einhaken sind. Wie von einer eisernen Hochwarte aus überschaut man hier das ganze Hüttenwerk mit dem wohlgeordneten Ineinandergreifen seiner vielverzweigten Thätigkeit. Noch weite, unbenutzte Räume für bedeutende Ausdehnung der Werke umschließt der Mauerkranz, und jenseits desselben erfreut überall den Blick die Anmuth eines Hügellandes, aus dessen lachendem Grün, in den Thälern wie auf den Höhen, der Fleiß für das Glück und das Glück für den Fleiß dampfende Werkstätten und friedliche Wohnungen gebaut hat. Besonders nach Zwickau hin bezeichnet, wie einst die Pappelalleen die Nähe von Residenzen, eine ganze Reihe von Essen den Weg zu einer Industrieresidenz.

Im Dienste der drei Hohöfen stehen drei Gebläsemaschinen mit zusammen dreihundertundvierzig Pferdekraft und mit vierzehn Dampfkesseln. Diese und noch neun Winderhitzungsapparate werden sämmtlich durch die Hohofengase geheizt. Von hier wanderten wir die schöne, auf schlanken Pfeilern ruhende Brücke entlang, auf welcher das meiste Coak von der Kokerei zugeführt wird. An dieser vorüber gelangten wir zu der mechanischen Kohlenwäsche, in welcher täglich dreitausend Centner Kohlen gewaschen werden, um sie zur Verkokung in den dreiundfünfzig bis jetzt vorhandenen Koköfen vorzubereiten; und wandten uns nun der Gießerei zu.

Diese liefert bei einer Jahresproduktion von über sechs Millionen Pfund mit einer Mannschaft von zweihundert und fünfzig Mann aus drei Cupolöfen und einem Flammofen: Maschinenteile (bis zu fünfunddreißigtausend Pfund), Walzen, Oefen, namentlich aber, und nur stehend gegossen, Gas- und Wasserleitungsrohre, deren Absatz auch im fernen Auslande zu suchen ist.

Von der Gießerei aus besuchten wir die mit ihr verbundene Schlosserei, die Modelltischlerei und die Emaillirhütte, in welcher Pfannen, Töpfe, Tiegel, Rohre mit einem weißen, bleifreien, daher gesundheitsunschädlichen Email versehen werden, welches sich z. B. zur Leitung von Mineralwasser in Bad Elster als gut erwiesen hat.

Alles bisher Gesehene ist, wie großartig an sich, doch, Gott Lob, in Deutschland keine Seltenheit mehr. Unser nächster Schritt führt uns dagegen zur erwähnten Glanzpartie in der deutschen Metallindustrie, die in Sachsen dermalen sogar hier einzig dasteht: die Stahlbereitung in der sogen. Bessemerhütte. Es ist dies die neueste und für die Zukunft wohl die wichtigste Anlage des ganzen Werkes. Die Bessemerhütte wurde erbaut, um durch den von Bessemer erfundenen Proceß graues Roheisen in flüssigem Zustande mittels Durchblasens eines bis auf dreihundert Grad erhitzten Windstromes von dem Kohlenstoff zu befreien und es dadurch in eine Stahlmasse zu verwandeln, welche ganz besonders ein festes, dauerhaftes Material für die Schienenfabrikation liefert. Ehe man hier zur Ausführung schritt, hatte man sich zuvor auf einer ähnlichen, in Kärnthen im Gange befindlichen Hütte vergewissert, daß das hier aus den besten Spath- und Rotheisensteinen erblasene Roheisen zu dieser Art von Stahlfabrikation sich vollkommen eigne. Mit derselben Vorsicht ging man bei der Einübung der Arbeiter zu Wege. Da bei diesem Verfahren die äußerste Pünktlichkeit jeder einzelnen Thätigkeit nöthig ist, die nur aus einem klaren Verständniß des Proeesses hervorgeht und durch ruhige Uebung gewonnen werden kann, so wurden die Arbeiter, wie die Soldaten, erst auf’s Genaueste in allen ihren Verrichtungen ohne Feuer exercirt und konnten dann um so sicherer in’s Feuer geführt werden.

An Feuer fehlt es ohnedies bei diesem Proceß nicht. Als ich die große Halle der Hütte betrat, strahlten mir deren drei entgegen. In einer höher gelegenen Seitenhalle wurde in einem Cupolofen eine Masse von siebentausend Pfund graues Roheisen zur Flüssigkeit gebracht, um seiner Veredelung zu Stahl fähig zu werden. In einer halbrunden Vertiefung in der Mitte der Halle, in welcher im Halbkreise die zur späteren Aufnahme des fertigen Stahls bestimmten sogenannten Coquillen, etwa vier bis fünf Fuß hohe, starke Eisenkästen, bereitstanden, befand sich im Winkel zur Linken ein großes Eisengefäß (Pfanne nannten’s die Fachleute) in einer Feuersgluth, die bestimmt war, dasselbe in einen der Flüssigerhaltung des Stahlstroms entsprechenden Hitzegrad zu erheben, und zur Linken über demselben prangte in einer Ofennische die Hauptfigur des Tages, der sogenannte „Converter“, eine ebenso wie die Pfanne mit feuerfestem Thonbeschlag ausgefütterte eiserne Riesenbirne, deren Hals in der Nähe des fehlenden Stiels ein wenig umgebogen war. „Converter“ heißt diese erst seit 1857 in England einheimische Retorte, weil sie mittels zweier in der Richtung ihrer Queraxe liegender Zapfen im Gleichgewicht hängt und durch ein Räderwerk um diese Zapfen gedreht werden kann. Letztens geschieht mit einer Ruhe und Würde, die unsere Bewunderung erregt. Der Couverter befand sich eben in der angenehmen Lage, mit einem Hitzgrad erfüllt und durchdrungen zu werden, der seiner hohen Bestimmung entsprechen sollte.

Die Feuer hatten ihre Schuldigkeit gethan. Das Eisen war zum Sprung in den Läuterungsschlund bereit, der Converter wurde von der Gluthmasse des Coakes gereinigt, das, von einem feuerfesten Mann mit langstieliger Harke herausgeholt, wie silbern glühende Riesenschneeflocken heraussprang, und die „Pfanne“ war zum Empfange des Stahlquells bereit. Nun wurde der Converter mit dem vieldurchlöcherten Boden für den Durchgang und der starken Decke für die Einsperrung des Luftstromes versehen, und das Werk der Umwandlung begann.

Auf einen Wink des Ingenieurs dieser Hütte neigte sich der Converter, um seinen offenen Rachen für die perlende Eisenquelle in die rechte Lage zu bringen. Zu gleicher Zeit stieß der Mann am Cupolofen oben den Zapfen aus, und mit tropfenaufjauchzendem Lauf schoß, einem Gebirgsbach gleich, die fluchende Eisenmasse in luftigem Sprung im Bette der Rinne hinab plätschernd in den glühenden Rachen des Converters.

Geduldig und wohlbehäbig nahm das wie auf dem Bauch liegende Ungeheuer den Labequell auf, bis die dunkler geröthete Gluth das Ende der Mahlzeit verkündete. Dann erhob es sich, wie von Geisterhänden aufwärts bewegt, und reckte den Hals in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_286.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)