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Englische Sitten.

2. Behandlung der Hausthiere und des Gesindes.

Der Engländer ist Aristokrat, er ist es schon oder er sucht es zu werden. Daß er jetzt, durch Disraeli verführt, den Versuch macht, Demokrat zu werden, hat ihm noch wenig von seiner Elle aus dem Rücken genommen. Der krumme Rücken des Franzosen ist ihm ein Gräuel. Eine Dame beklagte sich, die Franzosen wären grob geworden. „Das ist ein Fortschritt,“ sagte ihr Gemahl, „wenn das wahr ist, so kann noch etwas aus ihnen werden.“ Wenn die Engländer zugeknöpft und vornehm sind, so wissen sie sehr gut, warum. Und wir können das Stimmrecht der Hausbesitzer, Aller, die eine Thür nach der Straße haben, diesen Schritt zur Demokratie, ebenso gut als einen Schritt zur Aristokratie ansehen. Jeder will Herr werden, vor allen Dingen sein eigener Herr. Der Herr braucht nun aber den Diener und – die Hausthiere. Wie Einer zu Gelde kommt, gleich schafft er sich Hunde, Pferde und Bediente an, während ein Schweizer, der plötzlich eine große Erbschaft that, sich in’s Bett legte und Rothwein trank.

Jedem Fremden, der nach England kommt; fällt gewiß die Fülle der galonnirten Bedienten, Carossen, Luxuspferde und Hunde auf. Wenn er dann vollends erst einige Male über die Hunde gefallen ist, die ihm nicht aus dem Wege gehen, – was sie sich natürlich von ihren Herren abgesehen, – ja die nicht einmal dem Stocke ausweichen wollen, so wird er sich auch überzeugen, daß diese Thiere hier eine andere Stellung haben, als auf dem Continent. Wo der Edelmann obenauf ist, da ist es auch der Hund. „Ein Junker hielt sich ein paar Hunde.“ Hier in England hält er sich gleich einen ganzen Hundegarten (kennel). Vor der Stadt Brighton, wenn man nach dem römischen Lager hinaufgeht rechter Hand, sieht man ein geräumiges Viereck eingemauert. In dem wandern und sitzen eine Menge Fuchshunde umher. Sie haben ordentlich Steige darin gelaufen. In der einen Ecke ist ein Verschlag. Hier füttert und regiert sie der Hundemeister. Würde ein Fremder aus Versehen über die Mauer kommen und unter sie gerathen, er wäre verloren und würde unfehlbar zerrissen; die Hunde sind hier allein, und weit und breit wäre keine Hülfe zu errufen. Der Hundegarten ist aus guten Gründen einsam gelegt. Diese seltsame Anstalt, die dem Lord Chichester, dem großen Dünenlord, gehört, kostet ihm jährlich etwa eintausend Pfund Sterling, sechstausend sechshundert sechsundsechszig Thaler. Der Adel hat seine Lasten. Der edle Lord muß den Fuchsjägern die Hunde füttern.

Solche Rolle spielt der Hund, und durch die ganz besondere Hundepflege ist es nun ein weitverbreitetes Vorurtheil in England geworden, daß der Hund Menschenverstand habe, und ich höre fortdauernd versichern, es sei nicht zweifelhaft, daß er denken könne.

Die Schätzung der Hunde durch die Herren und Damen führt zu Hundemoden und Hundepreisen, die fabelhaft sind. Die Häßlichkeit wurde geradezu für Schönheit erklärt, und so wurde sie Mode. Die schottischen Dachshunde (terriers sieht man alle Tage unter den verlorenen Artikeln auf der ersten Seite der Times. Bei ihnen ist man in Zweifel, welches Ende Kopf, welches Schwanz sein soll, und je mehr diese Vollkommenheit erreicht ist, desto höher wird das Meerwunder geschätzt, zu zehn, zwanzig, dreißig Pfund Sterling. Die Bullenbeißer-Terriers sind wo möglich noch ärger, glatte, schiefbeinige, großköpfige kleine Kobolde, und werden besonders geschätzt, weil sie Ratten, Katzen und Garotter höchst wirksam anfallen.

Auch die Preise der Schooßhündchen sind fabelhaft. Eine Dame meiner Bekanntschaft hatte für einen kleinen schwarzen Kläffer, eben weil er so klein war, fünfzig Pfund (dreihundertdreiunddreißig Thaler zehn Silbergroschen) gezahlt. Was dem edlen Lord Chichester seine Jagdhunde kosten, habe ich schon erwähnt.

Die theuren Hunde werden nun natürlich auf die schlaueste Weise gestohlen und dann entweder an den Eigenthümer selbst wieder verkauft oder auf der Eisenbahn weit weg- und einem fremden Liebhaber zugeführt. In London ist ein eigener Agent, der jeden abhanden gekommenen Hund wiederschafft, wenn ein annehmbares Gebot gethan wird.

Wenn man in der Zeitung liest: „Hundeversammlung beim Teufelsgraben am 1. April!“, so ist das nicht etwa ein Scherz, sondern heißt: dort werden sich die Fuchsjäger versammeln und sich für die Jagd natürlich mit Champagner und Ale stärken. Die Einnahme Mister Tacker’s, des jovialen Wirths am Teufelsgraben, ist bei solchen Gelegenheiten bedeutend. Er hat mir seine Keller gezeigt und mir die Geheimnisse solcher Tage verrathen.

Am Morgen einer angesagten Fuchsjagd strömen dann nach dem Frühstück, d. h. von zehn bis elf, von allen Seiten Reiter in scharlachrothen Fracks, auch im gewöhnlichen Reitcostume, und junge und ältere Damen zu Pferde mit und ohne Reitknechte zusammen. Kein Wetter, kein weiches Feld hält sie ab. Diese Jagdtage sind Festtage für Müßiggänger, die so das Einerlei der Langeweile unterbrechen und sich Appetit zu ihrem Abendessen holen, das sie aber Mittagessen nennen. Schießgewehre werden gar nicht mitgenommen, und man giebt dem Fuchs eine gute Strecke vor, ordentlich als wolle man ihn anständig behandeln und den Hunden, die das Feld wie eine Heerde Schafe bedecken, nicht zu leichtes Spiel mit ihm geben. Die Fuchshunde sind keine Windhunde, sondern eher unsere Jagd- und Hühnerhunde.

Die Jagd ist in der That mehr ein Spiel, als eine Fuchsvertilgung. Es kommt dabei mehr auf eine wilde Reitpartie und gelegentlich auf Courmacherei mit den jungen Damen an, als auf den Fuchs. Der ist nur das flüchtige Ziel, nach dem Alles jagt und rennt; das Jagen und Rennen ist der Zweck.

Reinecke aber kennt die Gefahr. Er macht keine unnöthigen Umwege und weiß, daß der grade Weg zu irgend einem Bau der kürzeste ist. Dies bringt die Verfolger oft in Verlegenheit. Doch über Hecken und Gräben, über Hohlwege und Verschläge, durch Sumpf und Busch verfolgen die Heerde von Hunden und ein ganzes Regiment von Reitern den einen armen Reinecke, der in der Regel bald verloren und dessen Ruthe das Siegeszeichen dessen ist, der zuerst bei dem Zerrissenen anlangt.

Dies grausame und halsgefährliche Spiel mit dem Leben eines armen Fuchses wird viel angefeindet. „Fuchsjäger“ ist wie unser „Junker“, ja noch schlimmer, aber nichts ist populärer, als dieses Jagdvergnügen. Der Geist, welcher sich mit Gesetzen und Strafen gegen die Hahnenkämpfe und das Boxen gewendet hat, kann hier noch nichts leisten, und der Spott der Humanisten und Fuchsfreunde hat keine Macht über die Eitelkeit, mit der Aristokratie herumzureiten und, wenn man nicht adelig ist, sich auf diese Weise selbst zu adeln. Wer Zeit und ein Pferd hat, kann mitreiten. Was das Mitreiten aber sagen will, sieht man aus Folgendem.

In Lewes traf ich neulich einen alten Herrn im Wirthshause der Eisenbahn. Da er die rothe Jacke anhatte, fragte ich: „Ist die Jagd denn schon aus?“

„O nein, aber mein Pferd wurde lahm und zwei Mal bin ich gestürzt. Sie sehen, wie ich aussehe. Da bin ich nun umgekehrt, habe mein Pferd in die Cur gegeben und will mich selbst mit einem Glase Burton-Ale pflegen; dies Bier zieh’ ich doch dem Champagner vor!“

So tröstete er sich über seine Unfälle.

Kurz darauf kam ein junger Rothrock; schien ein Officier zu sein. Der war weniger gut gelaunt. Er suchte vergebens seine Stimmung durch Pfeifen zu vertuschen; man hörte es ihm an, daß es nicht richtig war, und der Alte fragte: „Nun, was ist? Warum trinken Sie nicht eins?“

„Bin nicht aufgelegt!“ – neues Pfeifen – „hab’ mein Pferd erschossen; kostet mich hundert Pfund; war auf einen Pfahl gesprungen und hatte sich gespießt.“

Nach und nach erschienen auch die Anderen, die bis zu Ende ausgehalten und auf die der Zug bei Brighton wartete. Alle hatten mehr oder minder an Leib und Gut gelitten, aber der Fuchs war doch um’s Leben und – um seinen Schwanz gekommen! Wie viel junge Damen bei der Gelegenheit ihr Herz verloren, ist mir natürlich nicht bekannt geworden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_294.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)