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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Die Jagdpferde, vornehmlich der Damen, sind merkwürdig gut abgerichtet und sehr häufig wissen sie mit allen Schwierigkeiten des Terrains zu Stande zu kommen. Die Abrichtung der Pferde geht hier überhaupt weiter, als bei uns. Nicht nur die Dressur der Damenpferde, die auf Commando Trab oder Galopp gehen, auch die Pferde, mit denen die Fleischer umherfahren, ist auffällig; ebenso sind die Pferde der Milchmänner und wer sonst noch seine Waaren in Wagen ausfährt – man liefert hier Alles in’s Haus – wie Hunde abgerichtet. Sie kennen die Häuser der Kunden, sie bleiben ruhig stehen, während ihr Führer die Ablieferung der Waare besorgt, gehen auf seinen Zuruf zum nächsten Hause, wenn’s in der Nähe ist, und eilen, wenn er wieder aufsteigt, um eine längere Strecke zu fahren, im Galopp davon, weil der Fleischer sowie der Milchmann ein Interesse daran hat, seine Waare überall rechtzeitig abzuliefern. Diese Fleischerkarren sind zu gewissen Zeiten an Straßenübergängen und abschüssigen Stellen böse Gäste.

Tolles Fahren ist zwar hart verpönt, aber der Fleischer- und der Postkarren, der die Briefe aus den Briefpfeilern zusammenholt, beide haben in der That eine Entschuldigung für ihr rasches Fahren, und man hört nicht von Unfällen.

Die vielen Luxuspferde, die Carossen, die Wappenschilder an Kutschenthüren und im Siegel, die Hunde und die männlichen Bedienten werden theuer versteuert, am theuersten der Haarpuder der Bedienten und der goldene Knopf auf ihren langen Rohrstöcken. Die rothen Kniehosen und weißen Strümpfe, in denen ihre Waden hinten auf den Kutschen paradiren, sind bis jetzt noch nicht besteuert, durch Disraeli und die abessinische Expedition aber ernstlich mit einer Auflage bedroht.

Das Bedientenwesen oder -Unwesen – denn Müßiggang ist aller Laster und vieler Verbrechen Anfang – geht in der That sehr weit. Der Volkswitz hat auch für den Bedienten ein eigenes Schimpfwort, welches in den Wörterbüchern nicht aufgeführt wird, nämlich flunkey so viel als dienstbarer Geist. Bedientengeist und Bediententhum heißt dann Flunkeyism und ist im Witz der Volksberedsamkeit eine unentbehrliche Würze geworden.

Der Kellermeister (butler) nimmt den ersten Rang des edlen Hausgesindes ein und führt im Erdgeschoß bei Tische den Vorsitz. Manchmal scheint ihn jedoch der Jockey zu überholen. Der berühmte Jockey Grimshaw bekommt eintausend Pfund Sterling Gehalt; kein Butler bringt es über hundert Pfund und hat in der Regel nur vierzig Pfund. Der Jockey bringt aber auch bei den Wettrennen wieder enorme Summen ein, wenn er sich wirklich so bewährt, wie Grimshaw, der schon wiederholt den ersten Preis davongetragen hat.

Um sich einen Begriff von der Ausbildung des Bedientenwesens zu machen, braucht man blos die Titel des Gesindes aufzuzählen. Es wäre naiv, wenn Einer dächte, mit Knecht, Magd, Kutscher, Koch und Bedienten auszukommen. Der Jäger oder Wildhüter ist verschieden von dem Parkhüter, wo z. B. Hunderte von Fasanen und Rebhühnern von Hennen ausgebrütet werden, die dann Wald und Feld bevölkern und dem Bauer den Weizen ausfressen. Vom Parkhüter ist wieder der Gärtner verschieden, und der hat seinen Untergärtner. Der Jockey ist nur für die Rennpferde, der Reitknecht (groom) nur für die Reitpferde, der Kutscher nur für die Wagenpferde. Die eigentlichen Bedienten sind Valet und Laufbursche (footman), der Koch verläßt die Küche nicht, der Aufwärter bei Tisch ist zunächst und zuoberst der Kellermeister, dann der Valet und Laufbursch und unter beiden der Page. Bei kleinen Gesellschaften ist hinter jedem Stuhl ein Bedienter. Mägde im Eß- und Drawing Room erscheinen zu lassen, ist ganz ungehörig und ordinär. Die Aufwärter bei Tisch haben in Uniform oder in schwarzem Frack und weißer Halsbinde zu erscheinen. Daher der Ausdruck: Er kann eine weiße Halsbinde tragen, ohne wie ein Bedienter auszusehen. Die Herren Geistlichen haben diese Anstrengung zu machen; bei großen Gelegenheiten freilich Jeder, wo es denn auch eigene Putzhemden giebt.

Die Titel der Mägde sind noch zahlreicher, als die der Diener. Garderobenmädchen, Stubenmädchen, Kammermädchen, Aufwaschmädchen, Waschmädchen, Küchenmädchen, Scheuermädchen, Kindermädchen, Ober und Unterkindermädchen, Amme, Stillamme, Oberamme, Vorrathskammermädchen (stillroommaid), Büffetmädchen, Schenkmädchen, Kellnerinnen, Haushälterinnen, Leinzeugfrauen, Köchinnen, feine Köchinnen, einfache Köchinnen, d. h. für englische Hausmannskost etc. etc., denn

„Wer kennt die Aemter, nennt die Namen
Der Herren Bedienten und der Damen?“

Es herrscht eine strenge Rangordnung unter ihnen, mit der sie es eben so ernstlich nehmen, wie ihre Herren mit Nobility, Gentry und Handelsleuten oder Gewerbsleuten. Eine vornehme Familie kam mit ihrem ganzen Haushalt nach Brighton und nahm ein großes Hans an der Seepromenade für einhundert Thaler die Woche, welches dafür natürlich glänzend eingerichtet war. Die Dienerschaft war bisher zufrieden gewesen. Hier brach plötzlich eine Unzufriedenheit über sie herein, wie eine Epidemie. Zuerst erschien der Butler und sagte den Dienst auf. Angenommen. Dann der Kutscher. – Das ist unbequem! müssen ihn aber doch gehen lassen. – So folgte Einer nach dem Andern, die Mägde ebenfalls. Dies war unerklärlich. Endlich als auch Sophy, das Kammermädchen der Lady, erschien, verließ diese den kalten Geschäftston des: „Gut!“ und „Angenommen!“ mit den Worten: „Aber was in der Welt habt Ihr denn, und was ist es mit Dir, Sophy? Ich weiß doch, daß Du zufrieden bist; warum willst Du, und warum wollt Ihr mit Einem Male Alle fort?“

„Wir können nicht bleiben, denn wir können uns nicht zum Essen setzen. Der Eßtisch ist unten rund, und da weiß Niemand, wo oben oder unten ist und wo er nach seinem Range sitzen soll.“

„Da schlag’ ich vor,“ sagte die Dame lächelnd, „daß wir ihnen einen richtigen Eßtisch anschaffen!“ Und der Grund des Aufruhrs war gehoben.

Auf den Landsitzen der Reichen emancipiren sich die Angestellten so weit, daß eine Freundin uns erzählte, sie sei nicht im Stande, ihre eigene Butter zu erlangen, und müsse, obgleich sie die schönsten Milchkühe hielte, in der Stadt kaufen lassen; einige Spanferkel erobert sie indessen manchmal und theilt uns davon mit.

Das ärgste Beispiel einer solchen einreißenden Unabhängigkeit ist aber wohl dieses: Wir pflegten im Sommer nach Kent zu gehen in das Gehölz von Pembury auf einen uralten Pachthof der Pfarrei, der Pelletgate hieß. In der Nähe ist der prächtige Park von Summerhill, den seiner Zeit Cromwell dem Richter Karl’s des Ersten, Bradshaw, geschenkt hat, der dann aber in die Hände der Firma Alexander und, als die einmal liquidirte, an den alten Isaac Goldsmid kam, der von Einigen auf fünfzig Millionen Pfund Sterling geschätzt wurde, jedenfalls aber ein fabelhaftes Einkommen hatte, denn Summerhill und die umliegenden Pachtgüter sollten ihm jährlich viertausend Pfund Sterling einbringen. Der Verwalter, dessen Name dem von Cromwell sehr nahe kommt, war aber weit entfernt davon, die Pachten richtig einzutreiben. Die Leute gewöhnten sich daran, umsonst zu wohnen, ja, einige berechneten noch Fuhren und Dienstleistungen für den Grundherrn, und der alte Herr Goldsmid hatte vier Jahre lang seine viertausend Pfund Sterling nicht erhalten, ohne den Ausfall zu empfinden und ohne sich zu beschweren, daß er noch dazu bezahlen mußte, – als seine Söhne den Zustand entdeckten, die Sache untersuchen und den Verwalter absetzen ließen. Die Stelle hatte ihm dreihundert Pfund eingetragen und man sollte denken, er hätte Ursache gehabt, sie sich zu erhalten. So gehen aber die Engländer mit ihren großen Gutsherren um. Adel bringt Lasten, noblesse oblige!

Fahren und Reiten wird von Herren und Damen kunstgemäß und kunstlos stark ausgeübt. Man sieht sehr viel schlechte Reiter, mehr gute Reiterinnen; auch lenken junge und alte Damen vielfältig ganz allein ihr Geschirr, ohne daß man von Unfällen hörte. Sie füttern die Pferde mit Zucker und Zwieback und machen sich so vertraut mit ihnen, daß die Pferde selbst ein Gefühl der Galanterie gegen sie fassen und ihnen schon darum nicht durchgehen. Ich habe mich selbst von pferdeerfahrenen Schönen spazieren fahren lassen und ihre Geschicklichkeit in allen Schwierigkeiten bewundert. Zu Wagen, zu Fuß und zu Pferde hat man links auszuweichen:

„Geh’ links, so bist Du recht,
Gehe rechts, so bist Du links!“

Die Reiterinnen weichen natürlich schon wegen ihres langen Reitkleides links aus. Prr! heißt Woh!

Die Damen tragen beim Reiten schwarze Tuchhosen, einen stehenden weißen Halskragen, einen runden Herrenhut und das bekannte fliegende Reitkleid. Dies ist meist schwarz, aber auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_295.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)