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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

dem vornehmen Profil nur noch kühler und strenger, wie es ihm wenigstens vorkam, die Mama, eine kleine, schüchterne, sehr einfache Frau und nur der Schatten ihres Mannes, noch um etwas gedrückter in ihrer Haltung, als sonst. „Cornelie hat keinen Zug von ihr, sie ist die Tochter ihres Vaters,“ murmelte er vor sich hin. „Und ich habe mir jemals einbilden können, diese kühle Statue wäre eine Frau für mich? Gottlob, daß mir noch bei Zeiten die Schuppen von den Augen gefallen sind!“

Der Wagen war längst vorübergerollt, und noch stand der einsame Späher unter dem Thorweg und starrte ihm nach. Wohin sollte er sich auch wenden? Wenn er noch zeitig genug an den Rhein kam, um den Dampfer zu erreichen, der stromab fuhr, zu Hause mochte er sich noch nicht wieder sehen lassen. Er hatte gegen seinen alten Verwalter, ein Erbstück von der seligen Tante, allerlei Winke fallen lassen, daß er wohl zu Zweien wiederkommen würde, und schämte sich, nun so unverrichteter Sache als ein trübseliger Korbträger heimzukehren. Es blieb nichts übrig, als in der Stadt zu bleiben und die Sache vorerst zu beschlafen. Nur graute ihm davor, in einen der großen Gasthöfe zu gehen, in denen er aus früherer Zeit bekannt war und wohl auch am Wirthstische Bekannte getroffen hätte. Endlich fiel ihm ein kleines, spießbürgerliches Weinstübchen ein, „zum Mäusethurm“, dessen Wirth neben dem Weingeschäft eine bescheidene Herberge hielt. Er hatte vor Zeiten, als sein Beutel noch schmal war, dann und wann hier eingesprochen und jüngst ein Faß von seiner besten Lage an den Wirth verkauft, ohne ihn persönlich dabei kennen zu lernen. Da hoffte er wenigstens einen unverfälschten Schlaftrunk und einen stillen Winkel zu finden, wo er ungestört dem Groll um verlorene Liebesmühe nachhängen könnte.

Auch fand er, als er eintrat, daß er sich nicht getäuscht hatte. In den großen vorderen Zimmern saßen an blankgescheuerten Tischen lauter Stammgäste in behäbigen Jahren, rauchend, spielend und von der Zeitung schwatzend. Dahinter war noch ein kleineres Cabinet, nur durch ein einarmiges Gaslämpchen erleuchtet und die beiden Tische darin ganz leer. Der Wirth, ein rühriger kleiner Mann mit spärlichem Haupthaar und buschigem Backenbart, der selbst den Kellner machte und jeden Schoppen frisch vom Faß heraufholte, complimentirte den jungen Gast in dies Hinterstübchen, mit dem Bedauern, daß an den anderen Tischen kein Platz frei sei.

Gabriel nickte zerstreut und warf sich auf einen Stuhl am Fenster, eine Flasche von seinem eigenen Gewächs bestellend. Indessen ging der Mond auf und beleuchtete den Wandkalender, der in der Fensternische hing, und warf den Schatten eines großen Geraniumtopfes zierlich auf die weiße Tischplatte, auf der ein Vorgänger des einsamen Zechers in einer unbewachten halben Stunde zwei verschlungene Initialen eingeschnitten hatte, um sie herum ein Herz mit einer großen Flamme. Ob ihm wohler dabei war, als unserm Freunde? Wer konnte es sagen! Gabriel aber seufzte tief, als er diese Fährte eines angeschossenen Wildes entdeckte. Er wechselte den Platz, um sie nicht immer vor Augen zu haben, ließ das volle Glas unberührt vor sich stehen und vertiefte sich, die Augen zugedrückt und das Gesicht in beide Hände gestützt, in seine bitterbösen Gedanken.

„Haben Sie Zahnweh, Herr?“ hörte er plötzlich eine muntere Stimme dicht neben sich fragen.

Er blickte in die Höhe und sah ein Mädchen vor sich stehen, etwa achtzehnjährig, das runde Gesicht ganz vom Monde versilbert, der zierliche Kopf mit dicken, blonden Zöpfen umwunden. Welche Farbe die Augen hatten, konnte er nicht unterscheiden. Jedenfalls erschienen sie dunkel gegen die zarte, fast kinderhafte Stirn und Wange, und das Ganze hätte nach einem blonden Puppenkopf ausgesehen, wenn nicht der Mund mit den etwas derben, rothen Lippen Kraft und Leben geathmet hätte.

„Wie kommst, Du zu der Frage, Mädchen?“ erwiderte Gabriel, nachdem er sie eine Weile starr angesehen hatte. „Ich wollt’, es gäbe nichts Schlimmeres unter dem Monde, als Zahnweh.“

„Sie hielten sich die Backe so, daß ich meinte, Sie hätten Schmerzen,“ sagte das Mädchen. „Nun, desto besser. Ich zwar kenne es nicht,“ und dabei lachte sie, daß sie ihre sämmtlichen weißen Zähne zeigte, „aber die Pathe leidet oft daran und wird dann wie unsinnig vor Wehleid. Wollen Sie etwas zu Nacht speisen?“

„Ich danke Dir. Ich habe keinen Appetit.“

„Ei nun, man sagt l’appétit vient en mangeant.“

„Kannst Du auch Französisch?“ fragte er.

„Nur, was ich so aufgeschnappt habe,“ versetzte sie und strich sich dabei ein krauses Löckchen zurück, das ihr über die Stirn fiel.

„Wir hatten hier einmal einen Kellner aus der Schweiz, der parlirte den ganzen Tag. Schreiben aber kann ich kein Wort.“

„Und wenn ich was essen wollte, was könntest Du mir empfehlen?“ fragte er.

„Je nun,“ sagte sie mit einem lustigen Zwinkern ihrer feinen Nasenflügel, als röche sie schon im Geist den Duft eines Lieblingsessens, „Jeder räth eben, was er selber gern ißt. Ich weiß aber nicht, ob dem Herrn sein Geschmack und meiner zusammenstimmen.“

„Das käme auf die Probe an,,“ sagte er. „Was würdest Du für Dich selbst aussuchen?“

„Ich mag kleine Vögel am liebsten essen,“ antwortete sie flink. „Sie knarpsen so hübsch zwischen den Zähnen, wenn man die Knöchelchen zerbeißt, und darum bleiben sie uns gewöhnlich übrig. Denn bei dene grauhärige Herre da drin steht’s nicht mehr zum Besten mit ihrem Zahnwerk. Sie aber, da Sie kein Zahnweh haben, können, schätz’ ich, einem paar Krammetsvögeln noch alle Ehr’ anthun, und wir haben gerade heut’ sehr gute und ein frisches Kraut dazu.“

„So bringe sie in Gottes Namen. Und höre, noch Eins: Wie heißest Du?“

„Gertraud. Der Wirth heißt mich Traud, und die Wirthin, was meine Frau Path’ ist und eine Kölnerin, nennt mich Drückchen, wie sie ’s dort aussprechen. Nun haben Sie die Auswahl, Herr!“

Damit flog sie davon und nach der Küche, das Verlangte zu bestellen. Fast hätte er ihr nachgerufen, sie solle es nur bleiben lassen; denn er hatte einen so bittern Geschmack auf der Zunge, daß es ihm unmöglich schien, einen Bissen hinunterzubringen. Er dachte, wie sie jetzt in dem schönen Hause in der Rheinstraße um den mit Silber gedeckten Tisch sitzen und die Bedienten in weißen baumwollenen Handschuhen die Speisen serviren würden. Und er, statt, wie er sich eingebildet, den Ehrenplatz einzunehmen zwischen der Frau vom Hause und dem schönen Bäschen, er saß jetzt in einem halbdunkeln Schenkenwinkel vor ungedecktem Tisch mutterseelenallein. Freilich, so eine Kellnerin hätte Manchem ein Dutzend Livreebedienten aufgewogen. Aber ihm, – was waren ihm alle Mädchen auf und ab am ganzen Rhein? Falsche Schlangen, glatte Ungeheuer, lächelnde Basilisken! Das Weib soll die Krone der Schöpfung sein? Jawohl, aber eine Dornenkrone! Wer mit ihr gekrönt wird, hat erst einen langen Passionsweg durchzuwandeln, um zu guter Letzt an ein Hauskreuz geschlagen zu werden. Und er wollte sich noch beklagen, daß sein gutes Glück ihn vor diesem Loose bewahrt hatte? Thorheit! Der Wein ist zu edel, um ihn mit überflüssiger Galle zu vergiften. Es lebe die Freiheit und die Jugend und der Genuß! Vielleicht lachen sie jetzt eben in dem Speisesaal des Hauses in der Rheinstraße über den gutherzigen Narren, den Vetter Gabriel, und dem jungen Herrn aus Bordeaux wird die Geschichte erzählt, wie er das erste Mal aus dem Hause kam und seitdem nicht klüger geworden ist. Aber nur Geduld; wer zuletzt lacht, lacht am besten! Nur die Lese noch vorübergelassen, dann hält uns hier nichts mehr, dann gehen wir nach Paris und London und in die neue Welt, und wenn wir gelegentlich in einer deutschen Zeitung lesen: ,Fräulein Cornelie und Monsieur tel el tel empfehlen sich als ehelich Verbundenes zünden wir uns eine frische Havanna an und bringen dem Gott der Freiheit ein duftendes Rauchopfer! – –

In solchen heroischen Gedanken hatte er schon das zweite Glas geleert, als das Mädchen aus der Küche wieder hereinkam, das Gericht auf sauberem Teller sorgfältig vor sich her tragend, die Augen fest auf die kleinen Vögel geheftet, die so appetitlich in dem weißlichen, feingeschnittenen Kraut lagen, wie ein paar Zwillinge in der Wiege. Sie stellte den Teller mit einem stolzen Schmunzeln vor Gabriel hin, als wollte sie sagen: „Hab’ ich nicht gut gerathen?“ sprach das übliche „Wohl bekomm’s!“ und blieb dann am Tische stehen, wie um abzuwarten, ob der Gast ihre Leibspeise loben würde.

„Höre,“ sagte er, „Du mußt aber mithalten. Komm’, hol’ Dir einen Teller. Wir machen Halbpart.“

„Ich dank’ schön,“ gab sie lachend mit einem muntern Knix

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_306.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)